To the English version of this article.
Zwei Wochen Israel, fünf verschiedene Hostels/Guesthouses, mit den unterschiedlichsten Erfahrungen. Beim letzten, dem Al-Yakhour-Hostel in Haifa, wird mir die Erkenntnis eingehämmert, und zwar buchstäblich eingehämmert, warum „Hostel“ auch der Titel eines Horrorfilms ist.
Dabei hatte es gut begonnen: ein schönes altes Templer-Haus mit großzügigen, hellen Räumen. Beste Lage in der Ben-Gurion-Straße unterhalb des Bahai-Tempels. Moderne und saubere Toiletten und Duschen. Eine große Küche. Sofas im Garten. Ein freundliches Willkommen der netten arabischen Jungs, die das Hostel erst vor einem Monat eröffnet haben. Und – immer die beste Hostel-Überraschung, die mir bei dieser Israel-Reise 2015 bereits mehrere Male zuteil geworden ist – ich bin allein im Vierbettzimmer. Ein Einzelzimmer zum viertelten Preis also. Noch wichtiger als die Sparfuchsfreude bedeutet das die Garantie auf eine Nacht, in der ich mal durchschlafen kann. Kein schnarchender Zimmergenosse, der mich stundenlang wachliegen lässt (so erlebt in Jerusalem und Tiberias), keine spätnachts zurückkehrenden und dies mit höchster Lautstärke ankündigenden Erasmus-Studenten (schlimme Erinnerungen an meine WG in Bari werden wach).

Aber ich habe die Rechnung ohne den Rundum-Service des Al-Yakhour-Hostels gemacht: Die Nichteinschlafgarantie ist im Preis inbegriffen. Von einem frühen Abendspaziergang nach Hause kommend, kann ich die versprochene Küche und den Aufenthaltsraum mit Bibliothek schon nicht mehr nutzen. Überall lungern andere Gäste, die jedoch offensichtlich nicht wie ich 31 $ pro Nacht zahlen, sondern die sich auf ihre Freundschaft, Bekanntschaft, Verwandtschaft, Verschwägerung oder (anbahnende) Beziehung zu den Betreibern des Hostels berufen. Ich werde entweder keines oder eines Was-will-der-Fremde-hier?-Blickes gewürdigt.
Der Aufenthaltsraum wird mit Girlanden verziert. Ein Geburtstag? Jahrestag der Nakba? Ein überlebtes Selbstmordattentat? Hoffentlich ein einmaliger Anlass und keine allabendliche Regelmäßigkeit.
Ich ziehe also wieder von dannen, suche mir eine Pizzabude. Den jungen Leuten gebe ich großzügig ein paar Stunden und komme erst kurz vor Mitternacht zurück.
Bei meiner Rückkehr ist das Hostel zur Disko abgestiegen. Jungs und Mädels tanzen, trinken, saufen, grölen, singen, und ein Laptop spielt arabische Dudelmusik so laut, dass man es noch im Libanon hört.
Wie soll ich da einschlafen? Vielleicht ist es mein Fehler, dass ich keine Ohrenstöpsel dabei habe, aber es würde nicht viel nützen. Lärm ist nämlich nicht die einzige Beeinträchtigung meiner Nachtruhe. Bei jedem Bass erzittert das Eisengestell meines Betts im Obergeschoss. Selbst wenn ich den Kopf unter dem zugegeben weichen Kissen vergrabe, lassen mich die höchstwahrscheinlich auch von der Erdbebenwarte gemessenen seismischen Bewegungen nicht an Schlaf denken.
Ich verstehe ja, dass Leute feiern wollen, – na gut, ehrlich gesagt verstehe ich es nicht, aber man muss tolerant gegenüber anderen Lebensentwürfen sein – aber wenn man Geld dafür verlangt, dass jemand ein Zimmer zum Schlafen (!) mietet, dann sollte man den Kunden nicht aktiv an der Erreichung dieses vertragsimmanenten Zwecks hindern.
Kurz vor 1 Uhr gehe ich deshalb demonstrativ in die Küche, um meine dort vorab deponierte Flasche Eistee abzuholen. Ich bleibe ein wenig stehen, gucke in die Runde (attraktive Mädchen), setze einen Blick zwischen verärgert, verwundert und vorwurfsvoll/verständnislos auf (man muss mich kennen, um ihn zu fürchten) und hoffe auf eine Reaktion, egal ob Entschuldigung, Erklärung, Einladung, Anerkenntnis meiner (zahlenden und damit das Gelage finanzierenden) Gegenwart oder – mein größter Wunsch – eine Verringerung der Lautstärke. Nichts von alledem. Lauter unhöfliche Schofel.
Ich verziehe mich auf das Zimmer und gebe die Hoffnung nicht auf, dass das letztgenannte meiner Ziele mit etwas zeitlicher Verzögerung eintreten wird. Stattdessen wird es lauter. Der Gesang der Besoffenen übertönt jetzt schon den des aus dem YouTube-Video stöhnenden Sängers.
Um 1:45 Uhr reicht’s mir. Entweder ich mache jetzt Schluss mit dem improvisierten Woodstock oder ich fertige aus dem Schlafentzug wenigstens eine Besprechung dieses Hostels. Diese beiden Ziele vor Augen gehe ich mit Notizbuch und Stift in die Küche, die gerade leer ist (alle sind im Diskoraum oder draußen), schenke mir ein Glas Jaffa-Orangensaft ein, setze mich an den großen Esstisch und beginne die Niederschrift dieser Zeilen.
Wer zum Kühlschrank will, muss vor meinen Augen vorbei, die sich jeweils mit dem oben beschriebenen, jetzt vielleicht noch ein bisschen ärgerlicheren Blick auf den Bierabholer richten. Bis der junge Betreiber des Hostels durch die Küche läuft, mich angrinst und „Hi“ sagt, wie wenn alles in Knoblauchbutter sei.
Mit betont finsterem Blick frage ich: „Es ist hoffentlich nicht jeden Tag so laut?“
In einem Ton, wie wenn er die Beschwerde nicht bemerkt hat, antwortet er: „Nein, nur am Freitag.“
Ich kläre den laut Eigenwerbung „kenntnisreichen Mitarbeiter“ auf, dass heute Donnerstag ist.
Und diese kalendarische Belehrung wirkt tatsächlich! Nach ein paar Minuten erlischt die Musik, und einzeln oder paarweise verabschieden sich die Gäste über die nächsten 45 Minuten. Sie müssen alle vor mir durch die Küche. Ein Junge sagt giftig: „Jetzt hast du es ruhig“, wie wenn der Wunsch eines zahlenden Gastes, nachts um 2 Uhr schlafen zu können, seine Jugend zerstört hat. Nur zwei Mädchen wünschen höflich „gute Nacht“, aber auch sie sehen mich an wie einen Spielverderber, einen Großvater oder einen komischen Kauz.
Allein sitze ich am Küchentisch mit mehr als zwei Dutzend leerer Flaschen Becks-Bier. Daneben liegt eine Broschüre über das palästinensische „Leben unter der Besatzung“. Die Ironie, dass ihre Volksgenossen im Gazastreifen nicht wegen Israel, sondern wegen der Hamas kein Bier trinken dürfen, entgeht den jungen Leuten wahrscheinlich völlig.

Am nächsten Morgen ist die Musik schon wieder laut. Die kleine Schwester der großen Party von gestern ist in vollem Gange. Und nun ist wirklich Freitag, das wird also unerträglich heute Abend.
Aber da kommt Farid und entschuldigt sich aufrichtig. Für die verbleibenden Nächte quartiert er mich um in ein schallisoliertes Nebenhaus, das eigentlich für eine vom Raketenbeschuss traumatisierte Großfamilie gedacht ist und 130 $ pro Nacht kostet. Ich werde es für mich allein und für 31 $ pro Nacht haben. Und ich werde richtig gut schlafen.
Links:
- Mehr Berichte aus Israel.
- Das Al-Yakhour-Hostel, falls Ihr es ausprobieren wollt. Mittlerweile ist laut Website Alkohol verboten. Entweder sind Farid und seine fünf Freunde erwachsen geworden, oder das Hostel wurde von der Hamas erobert.
- Falls Ihr auf der Suche nach einer Unterkunft seid: Bei AirBnB könnt Ihr über diesen Link 25 € sparen.
Hahaha „Nebenhaus für vom Raketenbeschuss traumatisierte Großfamilie“.
In Hostels hätte ich immer Angst das mir jemand was klaut xD
Ich habe ja nichts, was jemand klauen wollte. 🙂
Viele Hostels haben mittlerweile aber abschließbare Schränke für jeden Gast auf dem Zimmer.
Pingback: Horror Hostel | The Happy Hermit
Oh nein 😕 das ist richtig ärgerlich ! Ich übernachte sehr oft in hostels und hatte bis jetzt sehr positive Erlebnisse hinter mir 😉allerdings nie ein Zimmer nur für mich und sehr oft Nachbarn , die mitten in der Nacht einquartiert worden sind oder auszogen. Es war immer irgendwie lauter als Hotels und turbulenter😄
Ich versuche, „laut und turbulent“ mit „sehr positiv“ zusammenzubringen, und es gelingt mir nicht ganz. 🙂
Mein Problem scheint zu sein, dass ich echt nicht gut einschlafen kann, wenn sonst noch jemand im Raum ist. In Lissabon war ich dieses Frühjahr in einem Hostel, das hatte dicke Vorhänge vor den Betten, da ging es das erste Mal prima, obwohl zwei andere Jungs im Zimmer waren. Und die waren auch noch nett, interessant und rücksichtsvoll.
Grundsätzlich sind Hostels für mich eine Notlösung, wenn finanziell nicht mehr drin ist.
Am meisten Glück hatte ich bisher auf Pico, wo ich die ganze Woche ein Zimmer und meistens sogar die ganze Jugendherberge für mich allein hatte: https://andreas-moser.blog/2020/04/05/pico/
Das musste tatsächlich fantastisch sein, ein ganzes Zimmer und sogar Hostel für dich ! Komischerweise schlafe ich immer ein, egal was um mich so geschieht 😅 und mein bestes Hostel vor ungefähr 2 Jahren war 12 Mädels Zimmer in einem Melbourner Hostel . Wir waren aus verschiedenen Ecken der Welt, aber irgendwie passte auf Anhieb alles. Wir hatten immer eine private Party im Zimmer, aber ziemlich leise Party 😉 erzählen bis Morgengrauen. Ich nehme immer hostels , weil ich da schneller Anschluss finde als im Hotel. Ich hatte bis jetzt auch wirklich viel Glück mit mit – schlafenden und Parties. Wenn welche stattgefunden haben, war ich freundlicherweise eingeladen oder weit weg vom „Party – epizentrum „
Ich bin auch grundsätzlich nicht so der Party-Typ.
Für Anschluss setze ich mich einfach in den Park: https://andreas-moser.blog/2020/04/23/fremde-im-park/ 🙂
Und Couchsurfing nutze ich auch wirklich gerne.
Couchsurfing muss toll sein !!! Ich war als Jugendliche viel auf fremden Couchen gelandet, durch viele Kirchen -reisen . Es war immer so lustig! Einmal in Budapest mit 2 großen Hunden, die es liebten nah an mir zu schlafen und leider viel zu viel pupsten 😅 das stimmt , Anschluss findet man auch sehr oft draußen im Café & im Park . Andreas, dein Leben ist aber wirklich sehr faszinierend !!! Du machst viele tolle Sachen!
Oh, vielen Dank! Ich bemühe mich, aber ich muss mich auch manchmal selbst dazu bringen.
Couchsurfing hat wirklich viele meiner Reisen bereichert, weil man eben gleich einen Ansprechpartner vor Ort hat. Vor allem in Ländern, wo man die Sprache nicht kann und nicht viel weiß, hilft das enorm. Und man trifft so verschiedene Leute. Mein jüngster Gastgeber war 17 Jahre alt, aber ich war auch schon bei zwei über 70-Jährigen zu Hause.
Und wenn ich nicht selbst unterwegs bin, ist es eine schöne Abwechslung, sich so die Welt ins Haus zu holen.
Couchsurfing finde ich sehr spannend. Bei uns zu Hause landen viele ausländische Schüler. Leider in diesem Jahr wurde es abgesagt, sonst hätten wir gerade 2 texanerinnen bei uns gehabt . Ich mag den Austausch auch sehr gerne, behalte sehr gerne Kontakt mit vielen. Letztes Jahr war ich mit meinen Kindern in Brasilien zu Besuch, bei einer Familie, die ich vor Jahren in Rio auf der Straße kennengelernt habe. Es geht hoffentlich im September nochmal dahin, die Flugtickets nach Recife liegen vorbereitet, nun bezweifle ich langsam, dass es klappen wird 😕 meine Tochter und ich möchten 1 Monat im Norden Brasiliens verbringen… langsam muss ich mich nach Alternativen umschauen 😕
Ich fürchte auch, dass es alles viel länger dauert, und stelle mich auf ein oder zwei Jahre Reisen in Mitteleuropa ein, bevorzugt in der Natur, abseits von Menschenmassen.
Und das auch unabhängig von der Frage, was erlaubt ist oder nicht. Aber wenn ich das Coronavirus bekomme, dann gehe ich doch lieber in ein Krankenhaus in der EU als in Brasilien oder in der Ukraine (wo ich jetzt nach ursprünglicher Planung gewesen wäre).
Mach mir bitte keine Angst 😕 ich hoffe , dass es bald eine Impfung gibt und COVID zur alten Geschichte gehören wird. Krankenhaus in der Ukraine … stelle ich mir nicht toll vor, in Brasilien je nach Ort. Ich spreche Portugiesisch und habe eine sehr gute Krankenversicherung. Davor hätte ich keine Angst. Allerdings habe ich mir schon Azoren oder Madeira als Alternativen angeschaut, du hast mich inspiriert😊
Wenn du Portugiesisch sprichst, dann sind die zu diesem sympathischen Land gehörenden Inseln ja noch besser!
Ich habe mich dort selbst während der Hochzeit der Coronapandemie gut aufgehoben gefühlt. Es schien alles bestens organisiert und kommuniziert.
Aber für den Fall, dass wieder für ein paar Monate die Schiffe und Flüge ausfallen, auf jeden Fall genügend Bücher mitnehmen! 😉
😅 👍hab einen schönen Sommer 🙋🏻♀️
Vor zwei Jahren ist mir in Moskau schlagartig klar geworden, warum ich Hostels nicht ab kann. Ich finde es einfach unerträglich, früh als erstes bärtigen Hipstern über den Weg zu laufen, noch bevor ich mich einigermaßen sortiert und mich selbst im Spiegel gesehen habe. Hipster und Hostel gehören irgendwie zusammen. Je stylischer der Laden (was ja durchaus auch nett sein kann), desto schlimmer.
Das Partyproblem hatte ich auch schon gelegentlich (z.B. beim Zelten an der türkischen Schwarzmeerküste). Ich bin kein Partygänger, fand aber, in solchen Fällen muss man durch und einfach mitmachen, zumindest wenn die Leute einigermaßen sympathisch sind.
In Israel waren wir letztes Jahr mit dem Zelt unterwegs. Man kann da ja überall frei zelten und es gibt wunderbare freie Zeltplätze. Nur dass es zu Pessach war und das ganze Land auf Achse. Die freien Zeltplätze am Roten Meer ähnelten da eher Flüchtlingslagern ;-).
Kannst du dir nicht vorstellen, die Enge und der Lärm!
Danke für die Postkarte übrigens.
Oh, freut mich, dass die Postkarte angekommen ist, und danke nochmal für das Buch von Daniela Dahn!
Und am Roten Meer ist ja sowieso immer Party. Ich war schon ziemlich oft in Israel (wegen eines Jugendaustauschs und später privat), aber nur einmal in Eilat. Ich bin richtig erschrocken. Das war wie Las Vegas, so gar nichts für mich. Und so ganz anders als der Rest des Landes.
Wenn ich im Hostel bin, schlafen die anderen meist noch, wenn ich aufstehe. Als ich zuletzt in Lissabon war, hat sich der junge Zimmergenosse beim Vorstellen entschuldigt, dass er früh aufstehen müsse, weil er in die Arbeit muss. Er stand um 9 Uhr auf. 😀 Da war ich schon lange weg.
Also, manchmal klappt es gut. Aber ein Schnarcher zerstört halt alles.