Vier Tage lang hatte ich jeden Vormittag bei Magmatrek angerufen, um zu erfragen, ob am jeweils nächsten Tag eine Exkursion auf den Stromboli stattfinden würde. Drei Tage lang wurde ich vertröstet. Es war März, das Wetter in Sizilien zu stürmisch und zu unstet. Jedes Mal fragte mich Beatrice, die Mitarbeiterin des Reiseveranstalters, ob mein Vater auch wirklich fit genug sei, wie alt er sei, und erwähnte, dass die Besteigung des Stromboli eine anstrengende Wanderung darstelle und dass sich das Unternehmen das Recht vorbehalte, unfit erscheinende Personen vor Ort abzuweisen.
Als sie, nachdem die rauhe See sich für einen Tag beruhigt hatte und die Überfahrt nach Stromboli möglich war, meinen Vater und mich durch die Tür des kleinen, aber bis oben hin mit Wander- und Bergsteigerausrüstung vollgestopften Büros treten sieht, muss Beatrice lachen: „Ok, jetzt sehe ich, dass meine Sorgen unberechtigt waren!“ Mein Vater ist zwar fast 70, aber die Bergerfahrung steht ihm ins gebräunte Gesicht geschrieben. Der ungezähmte Bart, die Bergschuhe und die Fleece-Jacke tun ihr übriges, um alle Bedenken auszuräumen.
Nach der Zusammensetzung der Reisenden zu urteilen, die sich um die Aufnahme in die abendliche Besteigung des aktiven Vulkans bewerben, sind Deutsche und Franzosen die Outdoor-Nationen Europas. Kurz vor dem Abmarsch wird noch ein japanisches Paar auftauchen, dessen eine Hälfte schwanger ist und dessen beide Hälften wirklich unzureichend ausgerüstet sind. Bergstiefel, Wanderstöcke und Taschenlampen kann man natürlich mieten, aber wer nicht mal einen Pullover hat, bleibt besser am Strand.
Die Exkursion geht erst um 15:30 Uhr los, wir haben also noch ein paar Stunden, um uns den Ort Stromboli anzusehen. Nur am kleinen Hafen herrscht der für Häfen von nur mit dem Boot erreichbaren Inseln typische Trubel von auf ihre Kinder wartenden Angehörigen, auf Kisten mit Konservendosen wartenden Wirten und auf Zeitungen wartenden Rentnern. Nach Entgegennahme der Pakete düsen die Inselbewohner dann auf ihren Vespas, Dreirädern und Golfcarts davon. Die engen, steilen Gassen lassen keine größeren Fahrzeuge zu.
Etwa 600 Menschen leben auf Stromboli, trotz des immer wieder eruptierenden Vulkans. Es gibt viele Inseln mit Vulkanen, aber Stromboli ist der Vulkan. Die 924 Meter über dem Meeresspiegel sind nur die Spitze des Vulkans, der sich fast 3 Kilometer tiefer vom Meeresboden abhebt. Daher die charakteristische Kegelform der Insel.
Der Vulkan bestimmt Leben und Wirtschaft auf Stromboli. Gebaut wird nur nah am Wasser, von wo aus man notfalls schnell mit dem Boot fliehen kann, die steilen Hänge sind unberührt. Gelebt wird von den Besuchern. Viele der schmucken weißen Häuser mit blau bemalten Türen und Fensterrahmen sind Pensionen, Gaststätten, Hotels. Bunte Schilder bieten Bergführungen, Inselumrundungen mit dem Boot und frischen Fisch. Die Straßennamen sind auf kunstvollen Keramikschildern angegeben, wie in einem Künstlerdorf. Es ist sehr ruhig, fast verschlafen, zumindest jetzt im März.
Der Strand ist schwarz. Die unteren zwei Drittel des Vulkans sind bewachsen mit Büschen, kleinen Bäumen und Gras. Im oberen Drittel liegen nur schwarze Asche und schwarzes Gestein. Dort gibt es kein Leben mehr. Rauch steigt aus dem Krater, weiß wie Wolken vor dem blauen Himmel. Das ist also der Vulkan, durch den die Protagonisten in Jules Vernes Reise zum Mittelpunkt der Erde zurück auf die Erdoberfläche katapultiert wurden.
Um 15:30 Uhr versammeln sich 12 Leute und zahlen jeweils 35 Euro. Zwei junge Südkoreaner sind zu den noch immer die Mehrheit stellenden Deutschen und Franzosen gestoßen. Jeder wird mit Helm und Schutzbrille ausgestattet. Bis auf eine Höhe von 400 Metern darf man den Stromboli ohne Bergführer besteigen, aber wer schon mal hier ist, will natürlich ganz hinauf. Die heutige Expedition wird geleitet von Zazà, einem nicht mehr ganz jungen Mann, dem man seine Fitness aber ansieht. Mit eiligen Schritten läuft er voran, sein jüngerer Kollege bildet die Nachhut.
Das Tempo ist schnell, wie wenn die Vulkanvorstellung zu einer bestimmten Uhrzeit dicht machen würde. Zwei- oder dreimal gibt es eine kurze Verschnaufpause. Alle trinken Wasser, nur die beiden Koreaner trinken Milch. Nach ein paar Minuten geht es weiter. Manche Teilnehmer werden merklich langsamer. Es wird kälter und windiger.
Auf dem Gipfel herrscht ein orkanartiger Wind, der dramatischerweise in Richtung der Seite des Grates bläst, auf der sich fünf aktive Krater befinden. Der Stromboli ist ständig aktiv. Wir sollten jetzt das Feuer sehen, das die Erde an wenigen ausgewählten Stellen nach oben schleudert, um uns Menschen zu unterhalten. Aber es ist zu diesig. Sind es Wolken? Ist es Nebel? Oder doch Rauch? Die Lunge fungiert als Sensor, schon nach wenigen Sekunden schmerzt sie. Ich muss husten und verspüre einen stechenden Schmerz wie bei einer Bronchitis. Die Nase rinnt.
Jetzt werden Atemschutzmasken verteilt. Einer der Südkoreaner hat seine eigene dabei, um das Stereotyp vom europareisenden Asiaten zu erfüllen.
Zwölf Leute sehen gespannt in den Dunst, durch den man nichts erkennen kann. Zwölf Augenpaare starren in den Abgrund wie auf einen Kinofilm, dessen Beginn sich verzögert. Zwölf Gesichter husten und rotzen vor Kälte, Wind und Schwefel. Diejenigen, und das ist die Mehrheit der Gruppe, die ihre Kameras auf den Berg geschleppt haben, sind enttäuscht über den Mangel an film- und fotografierbarem Material, obwohl alle 20 Minuten eine Explosion wie ein Donner grollt. Nur einer aus der Gruppe nimmt die Atemmaske ab und zündet sich eine Zigarette an. Das muss ein Bergarbeiter sein, so dass er das gewohnt ist.
Neben all den Fotografen stehe ich mit meinem Schreibblock zwar etwas altmodisch da. Aber jetzt sind meine Utensilien aus dem vergangenen Jahrhundert besser geeignet, die Situation zu beschreiben als all das nutzlos 900 Meter heraufgeschleppte Gerät.
Mehr Nebel zieht vom Meer herauf und vermischt sich mit der schnell herabsinkenden Dunkelheit. Hinter uns scheint der Mond, es ist zwei Tage vor Vollmond. Ob das genug Licht geben wird für den Abstieg in der Nacht? Ich erkenne schon nicht mehr die anderen Mitglieder der Gruppe, wenn ich nicht direkt neben ihnen stehe. Bald werde ich meinen Notizblock nicht mehr erkennen und das Schreiben einstellen müssen.
Die Krater liegen auf 700 Metern, die Fontänen aus Lava werden bis zu 350 Meter hoch in die Luft geschleudert, erklärt Zazà, der sich mehrfach dafür entschuldigt, dass es heute nichts zu sehen gibt. Mir macht das gar nichts aus, ich finde die Geräuschkulisse und die Dämpfe beeindruckend genug.
Die Bergführer raten jetzt zum Abstieg. Der Vulkan meldet sich noch einmal mit einer Explosion. Diesmal ist das Grollen deutlich lauter und vor allem länger. Wie Donner und Explosion und ein entgleisender Zug in einem.
Wir steigen auf einer anderen Route ab, gleiten rasch und mit langen Schritten durch die feine, schwarze Asche. Wie am Monte Kaolino in Hirschau, nur in groß und in schwarz. Während des Abstiegs frage ich Zazà, wie oft er auf den Stromboli steige. Etwa 200 bis 230 Tage im Jahr. „Aber wieviele Tage im Jahr arbeiten Sie denn?“ entgegnet er mit der Routine von jemandem, der diese Frage schon oft beantwortet hat und nicht ahnen kann, dass er an einen Faulenzer geraten ist, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, so wenig wie möglich zu arbeiten. Er gibt aber gerne zu, dass er schon Glück gehabt hat mit diesem Job.
Zurück im kykladischen Stromboli erhellt der Mondschein die weiß getünchten Häuser. Eine Katze bleibt seelenruhig sitzen, als wir im Gänsemarsch an ihr vorbeilaufen. Ein motorisiertes Dreirad drängt sich uns in der engen Gasse entgegen und verströmt den Duft von Diesel.
Jeder ist hungrig und durstig, die Teilnehmer streben in verschiedene Richtungen, um ein Wirtshaus oder ein Restaurant oder eine Bar zu finden. Nach und nach trudeln sie alle in der selben Kneipe ein, der einzigen, die geöffnet ist. Während des Aufstiegs hatten wir nicht die Puste, uns kennenzulernen. Während des Abstiegs mussten wir auf jeden Schritt achten. Jetzt, beim Bier und einer einfachen und überteuerten Nudelmahlzeit, stellen wir uns endlich vor.
Da wir die spektakulären Lavafontänen wegen des Dunstes nicht gesehen haben, bieten uns die Veranstalter an, es morgen nochmals zu versuchen. Aber jeder hat schon andere Pläne. Alle werden wir morgen auf der Fähre sein, um weiter nach Lipari oder Milazzo zu fahren. Stromboli ist eine Insel mit nur einer Attraktion und kaum jemand bleibt mehr als eine Nacht. Nur Ingrid Bergman und Roberto Rossellini blieben etwas länger, als sie 1949 den Film Stromboli drehten. So wenig gab es auf dieser Insel zu unternehmen, dass Frau Bergman davon schwanger wurde.
Dieser Film zeigt, was Ihr an klaren Tagen auf Stromboli sehen könnt:
Links:
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- Eine Anleitung zum Abenteuer.
- The English version of this report.
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