Rumänien hat sich noch nie für eine Basketball-WM qualifiziert.
Als mir meine Vermieter das Schlafzimmer meiner neuen Wohnung in Târgu Mureș zeigten, fragten sie mich unsicher: „Ist das in Ordnung?“ Ja, natürlich, bejahte ich. Es sah sehr gut erhalten und gemütlich aus. Die Unsitte, Wohnungen nackt zu vermieten, hat sich glücklicherweise noch nicht über Deutschland hinaus ausgebreitet. „Wir meinen wegen der Länge des Betts“, erklärte die Vermieterin mit einem Gesichtsausdruck, der „Wie hätten wir das wissen sollen?“ fragte. Meine Antwort „ich denke schon“ kam reflexartig, schließlich hatte ich bisher in fast alle Betten gepaßt. Ich bin 1,83 m und damit wirklich nicht aufsehenerregend groß.
Die Vermieter bestanden freundlich darauf, dass ich vor ihren Augen probeliege. Es ging gerade so. Das Bett ist wohl 1.85 m lang. Mit einem alle am Horizont auftauchenden Probleme im Keim zu ersticken versuchenden Lächeln wies ich darauf hin, dass ich diagonal schlafen kann. In den Tagen darauf bemerkte ich, dass ich den Abwasch am besten im Sitzen erledige, dass der Spiegel im Wohnzimmer meinen Kopf abschneidet, und dass ich mit dem breitkrempigen, schwarzen Roma-Hut, ein Modeutensil, das so verwegen und elegant gleichzeitig aussieht, dass es in den Rest Europas exportiert werden sollte, nicht durch den Türstock passen würde. Trotzdem ist die Wohnung die gemütlichste, die ich je hatte. Man schenke mir nur bitte kein Trampolin.
Diese Gedanken kommen mir gerade wieder, weil ich in einem Kleinbus von Târgu Mureș nach Timișoara sitze und nicht weiß, wo ich meine Beine unterbringen soll. Zwei Verbindungen standen zur Auswahl. Die von mir auserkorene war mit extra-bequemen Sitzen angepriesen worden. Die andere muss für Menschen mit abnehmbaren Beinprothesen sein.
Sieben Stunden, und der Weg in die drittgrößte Stadt Rumäniens führt teilweise über Schotterpisten. Den Bus habe ich nur gewählt, weil die Züge seltener und langsamer fahren als in anderen Ländern während des von einer Spartengewerkschaft angezettelten Bahnstreiks. Egal, fast die gesamten sieben Stunden der Fahrt nehme ich mir vor, in Zukunft wo immer möglich den Zug zu nehmen. Und wenn es doppelt so lange dauert. Wenigstens werde ich mich nicht so eingeengt fühlen. Hoffentlich.
Das einzig Unangenehme an Rumänien – neben den Hunden, aber die machen sich ja überall breit, wo es kein Recht auf freien Waffenbesitz gibt – ist nämlich, dass die physische Grenze, die unbekannte Menschen im Umgang miteinander einhalten, nicht existiert oder zumindest auf nahe Null geschrumpft ist. Mein erster Sitznachbar berührt mit seinem mein Bein, wie wenn er die Tatsache, dass ich im Economist gerade zufällig einen Artikel über die Homo-Ehe in den USA lese, fehlinterpretiert hat. In Alba Iulia wird er ausgetauscht durch eine Beifahrerin, die mit ihrem Ellenbogen, ihrem Arm und ihrer Hand meinen Magen und meine Niere untersucht. Ich okkupiere nur mehr die Hälfte meines Sitzplatzes und klebe am Fenster.
Das sind keine Ausnahmen: Als ich das erste Mal auf einem rumänischen Postamt war, dachte ich, dass drei Damen gleichzeitig bedient würden oder zusammengehörten. Erst als die erste Kundin ging, ohne sich von den beiden anderen zu verabschieden, merkte ich, dass der eine Meter Höflichkeitsabstand am Schalter nicht gilt. Die zwei oder drei nächsten in der Reihe stehen immer direkt neben den aktuellen Kunden, wie wenn sie mit diesem verwachsen wären, und inspizieren seine Dokumente oder hören ganz ungeniert dem Beratungsgespräch zu.
Ich bin ganz anders. Ich lasse zur Vorderperson Abstand, egal wie dicht im Nacken mir der Atem eines Anderen sitzt. Schnell habe ich aber bemerkt, wie nachteilig dieses hier ungewöhnliche Verhalten für mich ist: Wenn man zwischen sich und der in der Schlage vor einem stehenden Person mehr als 5 cm (es sind wirklich nicht mehr!) freiläßt, sehen neu hinzukommende Kunden darin eine planmäßige Lücke, die sie so automatisch füllen, wie wenn dem Ganzen ein Naturgesetz zugrundeläge. Das gleiche geschieht in Schlangen vor einem Kiosk, beim Einsteigen in den Bus, im Kino, im Supermarkt. Ich bin also immer der Letzte.
Sympathisch ist mir dieses Land der kleinen lückenfüllenden Menschen aber dennoch sehr, und das nicht nur weil ich auf der siebenstündigen Busfahrt mehr Leute mit Büchern sehe als in einem ganzen Jahr, in dem ich vorher in Italien in Zügen und Bussen unterwegs war.
In Timișoara angekommen (ich steige natürlich als Letzter aus dem Bus) gehe ich zuerst in den Bahnhof, um meinen Entschluss, vom Bus auf den Zug umzusteigen, sofort umzusetzen. Bevor ich mir schließlich einen Fahrschein nach Belgrad kaufen kann, drängt sich ein junges Paar vor mich, dreht sich um und fragt entwaffnend freundlich: „Sie sind doch hoffentlich nicht in Eile, um ebenfalls den 2-Uhr-Zug zu erreichen?“ Bin ich natürlich nicht. Ich will ja erst einmal einen Tag in Timișoara verbringen, um mir endlich die Beine zu vertreten. Der Fahrkartenschalter ist übrigens auf kinderfreundlicher Höhe angebracht.
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