Endlich weiß ich jetzt auch, wie es sich anfühlt, zu einer Gruppe von Ausländern zu gehören, auf deren Kosten Wahlkampf gemacht wird. Es fühlt sich komisch an. Trotz des Bewußtseins, nicht persönlich gemeint zu sein, fühle ich mich immer betroffen, wenn ich in Italien an diesen Plakaten vorbeilaufe:
„Europäer nicht Deutsche“, mit diesem Slogan wirbt die Partei Italia dei Valori („Italien der Werte“) um Stimmen bei der Europawahl 2014. Dabei ist das eigentlich keine rechte, grundsätzlich fremdenfeindliche Partei (von denen es in Italien auch ein paar gibt), sondern einer eher linksliberale Partei, gegründet von Antonio Di Pietro, einem der bekanntesten Staatsanwälte Italiens, der als junger Mann selbst zwei Jahre in Deutschland gelebt und gearbeitet hat. Italia dei Valori stellt derzeit 7 der 73 italienischen Europaabgeordneten, ist also keine irrelevante Splitterpartei.
Als in Italien lebender Deutscher fühle ich mich unwohl angesichts dieser Plakate. Irgendwie ist es ein blödes Gefühl, im städtischen Park zu sitzen, sich mit Italienern zu unterhalten und ihnen zu sagen, daß ich aus Deutschland bin (was ich angesichts meines Akzents im Italienischen nicht verbergen kann), wenn an der Plakatwand hinter uns anti-deutsche Sprüche den politischen Diskurs vergiften.
Wenn eine Partei solch einen Slogan wählt, geht sie davon aus, daß es tatsächlich anti-deutsche Ressentiments gibt. Jetzt bin ich verunsichert, ob unter all den Italienern, die mir gegenüber freundlich auftreten, auch welche sind, die mich vielleicht am liebsten deportieren würden. Bisher habe ich es schon manchmal zu spüren bekommen, daß ich für eine wirtschaftliche Krise oder für Entscheidungen der Europäischen Zentralbank verantwortlich gemacht werde, nur weil ich aus Deutschland stamme. „Geh doch zurück nach Deutschland“ ist ein Satz, der manchmal fällt, was in einem vereinten Europa nicht nur besonders anachronistisch ist, sondern in meinem speziellen Fall, wo ich seit 5 Jahren nicht mehr in Deutschland lebe, noch deplatzierter wirkt als gegenüber deutschen Touristen. Letztere müssen sich aber keine Sorgen machen, denn bis zum Beginn der Haupturlaubssaison sind die Europawahlplakate ja schon wieder weg.
(Mittlerweile gibt es eine Reaktion des Parteivorsitzenden von Italia dei Valori auf meinen Artikel. – This article is also available in English.)
I certainly would be concerned if the situation was reversed. As for it not being a splinter group, well compared to the rest of Europe every political party in Italy is a splinter party, there are so many they have lost count… They also pay themselves twice as much as their German equivalent.
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Schlimm sowas. Mir ging’s so ähnlich (wenn auch in abgemilderter Form) als ich in Berlin „SCHWABEN RAUS AUS PRENZELBERG“-Plakate gesehen habe. Da beschleicht einen schon ein sehr ungutes Gefühl. Später kamen dann ja bekanntermaßen „Kauft nicht beim Schwaben“-Sprühereien und Wolfgang Thierses bekannter „Hier kauf man Schrippen!!“-Ausfall dazu.
Patriotismus (lokal oder national) finde ich IMMER befremdlich und ist eigentlich auch immer nur was für verängstigte Kleingeister.
Ja, auch diesen Lokalpatriotismus fand ich schon immer sehr komisch. Ich komme aus der Oberpfalz, wo das durchaus sehr verbreitet ist, aber ich habe dem nie etwas abgewinnen können.
Meine Herkunft ist nur ein kleiner Teil meiner Identität, und ich habe sicher mit vielen Australiern und Japanern und Bolivianerinnen mehr gemeinsame Werte, Vorstellungen, Ideen und Wünsche als mit vielen Bayern oder Deutschen.
Außerdem finde ich es immer lächerlich, etwas so überzubetonen, das man sich selbst gar nicht ausgesucht hat. Wir sind ja alle nur aus reinem Zufall dort geboren, wo wir geboren sind. Bei niemandem von uns ging dem eine eigene Entscheidung voraus.
Tja, dazu bedarf es aber einer gewissen geistigen Reife, die leider nicht immer allzu verbreitet ist.
Ich finds ja lustig, wenn Italiener die Nazi-Keule auspacken… woher kam nochmal der Faschismus?
Genau das frage ich dann auch immer (wobei das natürlich die deutschen Faschisten in keinster Weise entlasten sollte).
Faschismus kommt aus Köpfen, nicht aus Italien. Das Wort Faschismus hat zwar italienische Wurzeln, die Denkweise ist aber sicher älter und universeller.
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Meine „dolce metà“ hat wie aus der Pistole geschossen geantwortet: die Partei „Italia dei valori“ möchte eben für die Europawahlen kandidieren, jedoch sich vom deutschen „Beigeschmack“ distanzieren. D.h., in etwa „wir finden, Europa ist mehr als nur Merkel“. Ich finde den Spruch zwar trotzdem in un certo modo daneben und schon etwas abgescheuert, aber wer gerne mehr zu Europa beitragen möchte, gerne. Die Italiener begreifen auch, dass eine Politik nicht gleichzusetzen ist mit ihren Bürgern – zumindest die meisten… von daher kann man da drüberstehen.
Es würde auch helfen, wenn Italiener einsehen, daß Deutschland im Vergleich zu Italien auch deshalb eine wichtigere Rolle in Europa spielt, weil Berlusconi (der von Millionen von Italienern wieder und wieder gewählt wurde), Italien auf internationalem Parkett irrelevant gemacht hat.
Und trotzdem wird Forza Italia bei den Europawahlen wieder ne Menge Stimmen abräumen (obwohl man nie jemanden trifft, der zugibt, persönlich für diese Partei gestimmt zu haben).
da hast du leider Recht. Wer im Glashaus sitzt sollte eigentlich nicht mit Steinen werfen 😉 aber man ist ja sehr gut darin, Fehler erst bei anderen zu suchen und dann erst bei sich selbst.
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