Die meisten der Souvenir- und Getränkebuden, die den Aufstieg nach Tindari säumen, sind geschlossen. Später April ist in Sizilien noch nicht einmal Nebensaison. Wer an dem Ort, der die Ruinen der antiken Stadt Tyndaris und eine Wallfahrtskirche beherbergt, seinen Laden hat, macht im Sommer (und am 8. September zu Mariä Geburt) genug Geschäft, um so früh im Jahr noch nicht schuften zu müssen.
Sizilien ist reich an antiken Stätten, von denen manche als Städte bis heute überlebt haben, z.B. Syrakus und Taormina. In Tindari hingegen steht das jetzige kleine Dorf in keinem Verhältnis zur Größe und Bedeutung des antiken Tyndaris. Gegründet 396 v. Chr. durch Dionysus I., war Tyndaris erst eine griechische, ab 254 v. Chr. eine römische Stadt. Die Exponate in dem kleinen Museum, von Augustus-Büsten bis zu vor Ort geprägten Münzen, belegen die einstige Hochkultur.
Obwohl ein Teil der Stadt bei einem Erdrutsch im 1. Jahrhundert im Meer verschwand, kann man noch heute ihr einstiges Ausmaß erkennen, ebenso wie den streng rechteckigen Grundriss. Dies war keine zufällig zusammengewürfelte Siedlung. Hier hat sich ein antiker Stadtplaner einen Traum erfüllt, vielleicht inspiriert von einem Schachbrett. Von den langen Straßen zweigen rechtwinklig Gassen ab. Alle so umfassten Häuserblöcke sind gleich groß. An einer der beiden größeren Straßen liegt an einem Ende das Theater, am anderen Ende die Basilika.
Auf dem großzügigen Gelände ist fast niemand zu sehen. Es laufen mehr Angestellte – vermutlich nur dadurch aus der Arbeitslosigkeit gerettete Kunsthistorikerinnen – als Besucher herum. In den Blumenbeeten vor dem Museum liegen unbeschilderte Reste von Säulen und Kapitellen, wie wenn man zu viele davon hat.
Die Ränge des Theaterhalbkreises sind teilweise von gelben Blumen überwuchert. Der Blick erstreckt sich über das Meer auf die Äolischen Inseln, über denen sich drohende Gewitterwolken aufbauen wie die Kulisse für eine griechische Tragödie. Doch die Stille wird nicht zerrissen von Prometheus oder Antigone, sondern vom Gangnam-Style-Klingelton aus dem Handy einer der Angestellten.
Die ehemalige Stadt ist jetzt ein verwilderter Park. Beinwell, wilder Fenchel, Kakteen, Pinien, Eukalyptusbäume wachsen aus den einstigen Wohn- und Lagerhäusern. Die nicht mehr ganz ebene römische Straße zieht sich ins Nichts.
Die detailreichen Mosaike der einstigen Thermen sind jedoch freigelegt. Noch immer imposant ist die Ruine der Basilika, deren ursprünglicher Zweck nicht feststeht.
Dahinter die erst 1979 eingeweihte Wallfahrtskirche, die trotz früherer Erdrutsche und Erdbeben in der Gegend gefährlich nah am Abgrund erbaut wurde. Da hatte jemand viel Gott-, Architekten- oder Betonvertrauen.
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