Die Städte in Europa werden sich immer ähnlicher. Die gleichen Geschäfte, die gleiche Mode, die gleichen Filme in den Kinos, die gleichen Restaurants, die gleiche Musik, das gleiche Essen.
Um diesem Einheitsbrei zu entkommen, gehe ich gerne auf Friedhöfe, wo die Zeit 50 oder 100 Jahre hinterherhinkt und jedes Land noch seine eigenen Traditionen pflegt. In Bari entdeckte ich einen Friedhof, der größer war als manche Orte, in denen ich schon gewohnt hatte. Eine richtige Stadt der Toten. So steht es auch auf dem Schild neben dem prunkvollen Eingang: Necropoli.
Und tatsächlich ist der Friedhof wie eine Stadt aufgeteilt. Rechtwinklig zueinander angelegte Alleen und Boulevards führen unter schattenspendenden Bäumen durch das Reich des längst Vergangenen.
Im Zentrum stehen die Prachtbauten und Paläste mit Gräbern, die schöner und größer sind als die Wohnungen mancher lebendiger Zeitgenossen.
Den Kontrast dazu bilden die Plattenbausiedlungen. Hier liegen die Toten auf fünf Reihen gestapelt, jeder in einem exakt gleich groß bemessenem Steingrab. Vermutlich ein durch die sozialistische oder kommunistische Partei angeregtes Projekt.
Selbst die Treppe muss man sich in diesen Vierteln mit der ganzen Nachbarschaft teilen.
Mittlerweile wird der Platz knapp, so dass auch in der Totenstadt mehrstöckig gebaut werden muss. Von außen sehen diese Häuser aus wie normale Wohnblocks, aber wenn man einen Blick durch das Fenster wagt, sieht man auch hier auf bis zu vier Stockwerken die Leichen gestapelt.
Praktischerweise gleich mit Stühlen für die Besucher, die darauf warten dass eine der Wohnungen bezugsfertig wird.
Selbst im Keller findet man hier keine Fahrräder oder Schallplattensammlungen, sondern – man ahnt es (Achtung Wortspiel!) – die von uns gegangenen Ahnen.
Bei denen, die es sich leisten können, geht der Trend jedoch wieder zum Einzelgrab. Im Hintergrund sieht man den Baukran als Beweis der andauernden Expansion.
Die auf den Gräber aufgestellten Fotos, die man in diesem Neubaugebiet sieht, sind übrigens keine neue Mode. Schon vor 100 Jahren gab es in Italien diesen Brauch, wobei die älteren Bilder stilvoller und vorteilhafter gegenüber den Toten gehalten sind. Man merkt, dass man früher noch zum Fotografen ging, während heute jeder seine eigenen Fotos mit dem Mobiltelefon anfertigt.
Auch die Bildhauer hatten früher mehr zu tun.
Wie in jeder Stadt gibt es auch in der Nekropolis den einen oder anderen Nachbarn, der mit Geschmacksverirrungen für Gesprächsstoff aber auch für leichtere Wegbeschreibungen sorgt. („Nach dem häßlichen rosa Glashaus rechts.“)
Apropos Wegbeschreibung: Alles ist bestens organisiert. Tafeln zeigen an, in welcher Sektion und in welchem Sektor man sich befindet und welche Hausnummern man im Häuserblock vor sich finden kann. Städte mit durchnummerierten Straßen wie Manhattan und Mannheim haben diese Idee wahrscheinlich von diesem Friedhof in Bari.
Und wer sich doch verläuft, fragt nach der Polizeistation, wo einem gerne weitergeholfen wird (obwohl jeder tot war, als ich vorbeischaute).
Die alte (nicht nur) italienische Tradition, Juden in ein Ghetto zu zwingen, wird auch nach deren Ableben konsequent umgesetzt.
Die Grabsteine fallen hier – zur Enttäuschung der Weltfinanzjudentumverschwörungstheoretiker – deutlich bescheidener aus,
Auch ein Pharao ist übrigens in Bari begraben.
Das Schild, das den Weg zum Ausgang weist, mögen manche der immobilen Bewohner dieser Stadt als zynisch empfinden, doch mir wies es nach Stunden des Wandelns in dieser für Italien eigenartig ruhigen und verkehrsarmen Stadt den Weg durch eines der Stadttore.
Die Stadt der Toten schien alles zu haben, bis mir mein Magen meldete, was fehlte: eine Pizzeria.
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Danke für die schönen Fotos. Friedhöfe haben etwas sehr beruhigendes, ich mag sie gerne. Die Plattenbauten gibt es auch in Berlin, das sind häufig anonyme Gräber – der Sankt Matthäus Kirchhof hat sie, unten die Plattenbauten, weiter oben prachtvolle Gruften.
Wie gut, dass sich die Toten selbst dafür nicht mehr interessieren.
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Toller Beitrag! Gerade erst über Google gefunden.
Das ist ein wahnsinnig schöner Friedhof. Ich war 2018 dort
Dann freut es mich, dass ich insofern die Erinnerungen an die Reise wecken konnte. Und dein Kommentar hat mich auch wieder an Bari erinnert, danke dafür!
Wer sich für Friedhöfe interessiert, kommt bei meinem Blog übrigens voll auf seine Kosten: https://andreas-moser.blog/tag/friedhof/