Egon Erwin Kisch über Präsident Obama

Es ist immer wieder amüsant und aufschlussreich, Egon Erwin Kischs Bücher aus längst vergangenen Zeiten zu lesen. In der Reportage Schwarzer Gottesdienst bei den Negerjuden von New York aus dem Jahr 1940 schreibt er:

Auf Schritt und Tritt von Lenox Avenue stellt sich „das große Problem Amerikas“ zur Schau: die Negerkinder. Sie werden mit größerer Geschwindigkeit und in größeren Quantitäten erzeugt als die weißen, und das ist die einzige Produktionssteigerung, auf welche die Patentpatrioten in den USA nicht stolz sind. „Gefahr ist im Verzuge“, rufen die Faschisten im zweiten Punkt ihres Programms, „in wenigen Jahren wird es mehr Neger als Weiße im Lande geben, das Weiße Haus wird zum Schwarzen Haus werden.“

Diesen Vorwürfen, die man jetzt wieder gegenüber Einwanderern oder in Osteuropa gegenüber den Roma hört, liegt der Trugschluss zugrunde, dass die Kinderzahl von Hautfarbe oder Religion abhänge. Sie geht aber ganz überwiegend mit der wirtschaftlichen Entwicklung einher. Je ärmer Menschen sind, desto mehr Kinder bekommen sie. Auch in Afrika und im Mittleren Osten sind die Geburtenraten in den Ländern mit positiver wirtschaftlicher Entwicklung in den letzten Jahrzehnten dramatisch zurückgegangen. Ganz abgesehen davon stellt sich natürlich die Frage, wieso dunkle Kinder etwas Schlechtes sein sollen, helle Kinder aber gefördert werden müssen.

„Ist es nicht Schmach und Schande“, alarmiert ein faschistischer Senator aus den Südstaaten den Kongress, „dass ein Neger amerikanischer Boxmeister ist? Morgen kann der Präsident der USA ein Neger sein.

Ganz so schnell ging es dann nicht, und auch die vorhergesagte dramatische Bevölkerungsentwicklung trat nicht ein. Von 1940 bis 2008 erhöhte sich der Anteil der Afroamerikaner an der US-Bevölkerung gerade mal von 10% auf 13%. Demographische Prognosen liegen fast immer daneben, und die sture Fortschreibung von aktuellen Zahlen oder kurzfristigen Trends führt immer in die Irre. Am besten läßt man diese Prognosen ganz sein.

Obama family

Über Andreas Moser

Travelling the world and writing about it. I have degrees in law and philosophy, but I'd much rather be a writer, a spy or a hobo.
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Eine Antwort zu Egon Erwin Kisch über Präsident Obama

  1. American Viewer schreibt:

    Auch in Afrika und im Mittleren Osten sind die Geburtenraten in den Ländern mit positiver wirtschaftlicher Entwicklung in den letzten Jahrzehnten dramatisch zurückgegangen.

    Das ist etwas Wahres dran. Die Geburtenzahlen (vor allem innerhalb von Staaten) gleichen sich unter den Ethnien bisher relativ schnell an.

    Ich habe allerdings nie verstanden, warum Obama der erste schwarze Präsident und ein Symbol für die Überwindung von Klassenschranken sein soll. Seine Mutter war weiß. Sein Vater hat die Mutter kurz nach der Geburt mit dem Kind sitzen lassen. Vor allem seine weißen Großeltern haben ihn dann erzogen und ihn auf Hawaii auf eine teure Privatschule (20.000$/Jahr) geschickt. Obama ist klar biracial. Aufgewachsen ist er fast nur unter Weißen, in relativ privilegierten, weißen Milieus.

    Wenn Obama behauptet, er sehe sich nur als Schwarzen, dann wendet er die one-drop rule der Sklavenhalter an. Es ist auch niemals okay, wenn man einen Elternteil verleugnet. Obama hat mit einem schwarzen Amerikaner, der von Sklaven abstammt und im Ghetto groß wurde, ungefähr so viel zu tun wie George Washington mit einem versklavten schwarzen Baumwollpflüger.

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