Personenkult in Bolivien

Es ist nicht so schlimm wie in Diktaturen, aber für eine Demokratie ist der Personenkult um Präsident Evo Morales doch etwas stark ausgeprägt. Am Flughafen in Cochabamba sieht man schon vom Rollfeld aus ein riesiges Poster des Präsidenten, und überall im Land hört, sieht und liest man „Evo“. Das ist zum Teil aufrichtige Bewunderung und Sympathie für den ersten indigenen Präsidenten, der auch nach Meinung einiger, die ihn niemals wählen würden, Boliviens Wirtschaft voran gebracht und lange vernachlässigte soziale Probleme angegangen hat. Zum anderen kommt es mir aber manchmal wie ein Ersatz für ein politisches Programm vor. „Er ist einer von uns“ anstatt Diskussionen über Bildung, ungleiche Vermögensverteilung, die Abhängigkeit von Rohstoffexporten u.s.w.

Nicht nur wegen dieses Personenkults stehe ich der geplanten Verfassungsänderung skeptisch gegenüber, mit der Präsident Morales die Möglichkeit der erneuten Wiederwahl des Präsidenten, also ganz konrekt seiner eigenen dritten Wiederwahl, einführen will. Hierüber findet am 21. Februar 2016 ein Referendum statt, dessen Ausgang ich als knapp erwarte, wobei die NO-Kampagne in den letzten Wochen durch einige Skandale Morales‘ Aufwind bekommen haben dürfte.

Darüber in den nächsten Tagen mehr (weil ich gerade auf Reisen im Osten Boliviens bin), aber um auf den Personenkult zurückzukommen, möchte ich Euch dieses Beispiel nicht vorenthalten, das ich heute Mittag im Bahnhof von Santa Cruz fotografiert habe.

Evo Morales dios.JPG

„Der Herr Präsident, möge Gott ihn auf ewig erleuchten.“ Etwas zwiespältig ist allerdings das kitschige Bild mit dem Baby auf dem Arm, denn einer der kürzlich aufgedeckten Skandale dreht sich um ein (weiteres) nichteheliches Kind des Präsidenten.

(Read this in English.)

Über Andreas Moser

Travelling the world and writing about it. I have degrees in law and philosophy, but I'd much rather be a writer, a spy or a hobo.
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6 Antworten zu Personenkult in Bolivien

  1. Pingback: Personality Cult in Bolivia | The Happy Hermit

  2. da)v(äx schreibt:

    is ja krass…

  3. Tim schreibt:

    Wie geht das mit den Postkarten? Muss man eine bestimmte Summe überweisen?

    • Andreas Moser schreibt:

      Hallo Tim,

      danke für die Nachfrage! Ich wollte bald mal einen Artikel darüber schreiben, wie das abläuft, aber schon ab einer Spende von 15 $/€ versende ich eine persönliche Postkarte von wo immer in Südamerika ich mich gerade aufhalte.

  4. Dirk schreibt:

    Immerhin: Das zweitdemokratischste Land der Welt!
    In einem Fernsehinterview auf „ATB“ betonte „Evo“, dass man beim Referendum prinzipiell auch mit „nein“ stimmen könne. Das beweise ja schon den demokratischen Charakter dieser Abstimmung. Außerden habe ein Vergleich aller Verfassungen durch Experten ergeben, dass Bolivien „ungefähr das zweitdemokratischste Land der Welt“ sei. – Also höchste Zeit, die Verfassung zu ändern, oder?

    • Andreas Moser schreibt:

      Danke für den Hinweis! Diesen Verfassungsvergleich würde ich mir gerne mal ansehen, wobei allein der Text der Verfassung nicht viel über die Wirklichkeit in vielen Ländern aussagt.

      Das Thema der unbegrenzten Wiederwahl bzw. der Atmszeitbeschränkungen ist demokratietheoretisch auch durchaus kompliziert. Rein formell wäre auch die 12. Wiederwahl, da sie nur mit Mehrheit erfolgen kann, demokratisch legitimiert. Das Problem ist in meinen Augen, dass sich die Ausgangssituation ändert, wenn ein Kandidat mit einem Amtsbonus (und unter Zuhilfenahme staatlicher Gelder und Behörden im Wahlkampf) antritt und man kein „level playing field“ mehr hat.

      Mein Hauptkritikpunkt richtet sich eher gegen das Ego eines Menschen, der sich selbst für unverzichtbar hält und in 10 Jahren nicht mindestens einen potentiellen Nachfolger aufgebaut hat.

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