Urlaub im Sperrgebiet

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Ich hatte mich schon den ganzen Tag gewundert, warum an den Bahnhöfen im Osten Polens so viele Polizisten herumliefen. Und dann piepte das Handy und lieferte die Erklärung.

Sperrgebiet und Schießbefehl, aber immerhin – anders als in der diesbezüglich (und vielleicht allgemein) nicht ganz so freundlichen DDR – mit einer Vorwarnung per SMS.

Die Aufforderung „Turn back immediately!“ klang zwar sehr forsch und eindringlich, aber ich war zu dem Zeitpunkt seit 14 Stunden wach, saß seit 11 Stunden im Zug, und war körperlich und geistig müde. Ehrlich, Zentralpolen ist nicht gerade die spannendste Landschaft Europas. Flach und weit. Sehr weit. Ich hatte also, anders als mein unermüdliches Handy, weder Saft noch Kraft, um sofort umzukehren. Außerdem, wohin auch? Ich muss doch zum Mittelpunkt Europas!

Also stieg ich in Augustów einfach aus und tat, was ich besonders gut kann: Unschuldig wirken. Ich merkte, dass die Polizisten nur Menschen kontrollierten, die wie Ausländer aussahen. Ich bat einen Mitpassagier schnell um eine Zigarette, steckte sie an, und setzte eine fußballbedingt betrübte Miene auf. So kam ich als Anscheinspole durch die – zugegeben nicht sehr strenge – Kontrolle.

Im Park schnorrte ich mir ein paar Megabit aus dem öffentlichen WLAN, um nachzuholen, was ich vor der Reise versäumt hatte: Die Nachrichten lesen. So erfuhr ich, dass Polen an der östlichen Grenze ein Sperrgebiet eingerichtet hat, das Ausländer nicht mehr betreten dürfen. (Deshalb auch die SMS auf Englisch, und anscheinend nur an ausländische Handys, die in der verbotenen Zone unterwegs waren.)

Viele Menschen sind sich dessen nicht bewusst, aber egal, wie man über Ausländer denkt, in den meisten Ländern der Welt ist man selbst einer. In Polen könnte ich zwar notfalls argumentieren, dass wir alle Europäer sind, aber ich fürchte, wenn mich die Soldaten beim Waldspaziergang schnappen, dann geht das nicht so glimpflich aus. Außerdem will man als geschichtsbewusster Deutscher nicht unerwünscht in Polen herum- oder einmarschieren. Die Opas und Omas der jetzigen Polen haben schon genug darunter gelitten, was meine Opas hier einst veranstalteten.

Aber schade ist das schon, denn auf lange Spaziergänge entlang des Augustów-Kanals hatte ich mich am meisten gefreut. Weil der Kanal nach Belarus führt, wird daraus wohl nichts.

Zum Glück fand ich eine Unterkunft, die weder Namen noch Dokumente sehen wollte. Beziehungsweise nur die Dokumente mit dem Konterfei von König Kasimir.

Und jetzt sitze ich hier, mitten in der Suwałki-Lücke, und kann weder vor (weil ich dann erschossen werde), noch zurück (weil ich dann zugeben müsste, dass ich im Sperrgebiet war). Für einen Angestellten im Jahresurlaub wäre das die Traumsituation, weil man so „leider, leider“ den Urlaub verlängern muss und nicht zurück ins Büro oder an die Werkbank kann.

Mich wundert ehrlich, wie wenig kreativ gestresste Arbeiterinnen und Arbeiter sind. Es ist doch so leicht, beim Urlauben in einem weit entfernten Land „aus Versehen“ den Reisepass zu „verlieren“. Oder den Flug zu „verpassen“. Und schwupp, muss man zwei Wochen länger bleiben. Ich habe mal die letzte Fähre von den Azoren verpasst und musste so ganze drei Monate auf der Insel bleiben. Das war wirklich ganz großes Pech. 🙃

Wenn Ihr jetzt fragt, wie man sich diese Reisen leisten kann, dann seht Ihr die Antwort auf meinem Mobiltelefon: Mit jedem nicht gekauften I-Phone hat man eine Weltreise finanziert. Das gute alte Nokia hat mich 6 Euro gekostet und tut jetzt schon seit 15 Jahren seinen Dienst. Außerdem ist es auf Reisen praktisch, weil die Batterie so lange hält, dass man kein Ladekabel mitnehmen muss.

Und ich werde ab morgen mal sehen, was sich in einem Sperrgebiet so an Freizeitaktivitäten anbietet.

Über Andreas Moser

I am a lawyer in Germany, with a focus on international family law, migration and citizenship law, as well as constitutional law. My other interests include long walks, train rides, hitchhiking, history, and writing stories.
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11 Antworten zu Urlaub im Sperrgebiet

  1. hanselmar schreibt:

    Da die Warning nur fuer englisch sprachige Leute gilt sollte es hier keine Probleme geben. Wahrscheinlich wurde die Warnung fuer Leute erlassen die den Brexit erfunden haben und jetzt polnische Gastarbeiter daran hindern wollen auf der Insel zu arbeiten. Dafuer sollte man Vestaendnis haben und bei Gelegenheit mit den Soldiers Piwo trinken. Wer Piwo trinkt der schiesst nicht gleich.

  2. Reiner Wende schreibt:

    Sehr beeindruckend

  3. Pingback: Holiday in the Danger Zone | The Happy Hermit

  4. Kasia schreibt:

    Lach, ja optisch kommst du wohl in etwa als Pole durch 😉 Von der „Pufferzone“ hatte ich auch schon gehört. Interessant, einen Bericht von jemanden zu lesen, der sich selbst mal dorthin gewagt hat, aus Versehen natürlich… Die Zone wurde eingerichtet, um Migranten aus Belarus abzuhalten, die Grenze zu überqueren. Die Menschen sind immer verzweifelter und Aggressionen häufen sich, zuletzt wurde ein polnischer Grenzer getötet. Ich denke nicht, dass du als deutscher Besucher wirkliche Probleme bekommen würdest, wahrscheinlich würde es nur „Du, du, du!“ heißen und fertig. Da fällt mir ein, ich müsste dringend meinen polnischen Pass verlängern lassen…

    • Andreas Moser schreibt:

      Ich bräuchte auch ganz dringend einen polnischen Pass. 😉

      Wobei es mir dann so erginge wie meinem georgischen Mitbewohner in Malta, der mit einem gefälschten bzw. im Park erworbenen italienischem Personalausweis in der EU war. (Italien hatte damals noch so Papierlappen, wo man einfach ein neues Foto reinkleben konnte.)
      Das funktionierte in Malta ganz okay, aber irgendwann nahm er die Fähre nach Italien. Dort wurde er schon am Hafen von Polzisten angesprochen, die natürlich gleich merkten, dass er kaum Italienisch konnte. => Knast und Abschiebung nach Georgien.

    • Kasia schreibt:

      Eine wahre Geschichte? Na da muss man sich schon an die Profis wenden 😉 Aber glaub mir, einen polnischen Pass brauchst du nicht wirklich. Früher, als der kleine Grenzverkehr noch stattfand zwischen Polen und Belarus, da wäre das noch interessant gewesen, aber heute? Die Sperrzone hast ja so schon gesehen…

    • Andreas Moser schreibt:

      Ja, klar eine wahre Geschichte!
      Der andere georgische Mitbewohner war legal in der EU, der hatte einen lettischen Pass, weil er als Kind eines Rotarmisten zufällig in Lettland geboren war.
      Das waren zwei lustige Käuze.

  5. T. schreibt:

    Gutes und zuverlässiges Modell, aber mir dann vielleicht doch etwas zu unsmart, gerade wenn ich auf Reisen bin. Aber es zeigt, dass Reisen so noch gut funktioniert.

    • Andreas Moser schreibt:

      Und man wird nicht mehr ausgeraubt.
      Denn wenn man überfallen wird, zieht man das Nokia aus der Tasche, lächelt die Herren Räuber mitleidheischend an und sagt: „Jungs, Ihr habt doch eh alle ein besseres Handy als ich, oder?“
      Die lachen sich dann kaputt, lassen einen laufen und schenken einem manchmal noch 10 Pesos.

      (Bisher nicht ausprobiert. Aber ich kann ja nichts dafür, dass ich nie überfallen werde. Oder vielleicht doch?)

    • Andreas Moser schreibt:

      Das einzige an zusätzlicher Technologie, das ich natürlich auch gebraucht erworben habe, ist ein altes „Smartphone“, das ich mangels SIM-Karte aber vom Internet abschneide, um nicht ständig berieselt zu werden.

      Das erfüllt eigentlich nur zwei Zwecke:
      – Kartennavigation mittels GPS. Das finde ich schon sinnvoll, vor allem wenn ich wo zum ersten Mal bin. Verlaufen ist zwar auch schön, aber bei manchen Wanderungen hat man ja ein bestimmtes Ziel vor Augen und will nicht eine Woche im Urwald im Kreis laufen.
      – Deutschlandticket, obwohl ich da wohl bald auf die Chipkarte umsteige, weil es mich nervt, bei jeder Straßenbahnfahrt so ein Elektroteil mitschleppen zu müssen.

      Gerade auf Reisen ist die Abkoppelung vom Internet für mich ein ganz wesentlicher Aspekt, um mich richtig und vollkommen auf die Umgebung, die Eindrücke und die Menschen einzulassen, anstatt weiterhin in meiner Blase von zuhause zu schwelgen.
      Ich betreibe das auch zuhause für mindestens einen Tag in der Woche so, und das ist fast immer der erfüllendste Tag der Woche.

    • T. schreibt:

      Das ist eine gute Idee, werde ich mal drüber nachdenken. Zusätzlich zum Veggie-Day noch einen NOnline-Day

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