Immer, wenn mir jemand – und das passiert meist ungefragt – mitteilt, er sei „stolz, ein Deutscher zu sein“, so ermuntere ich wenn schon keine Diskussion, so doch zumindest eine Reflektion darüber, indem ich die folgenden kurzen, aber umso prägnanteren Sätze aus Thomas Manns ‚Doktor Faustus‘ (Kapitel XIV) zitiere:
Begeisterungsfähigkeit ist etwas sehr Gutes und Gläubigkeitsbedürfnis etwas der Jugend sehr Nützliches, aber eine Versuchung ist es auch, und man muss sich die Substanz der neuen Bindungen, die heute, wo der Liberalismus abstirbt, überall angeboten werden, sehr genau ansehen, ob sie auch Echtheit hat, und ob denn das die Bindung schaffende Objekt auch etwas Wirkliches ist oder vielleicht nur das Produkt einer, sagen wir einmal: Strukturromantik, die sich ideologische Objekte auf nominalistischen, um nicht zu sagen fiktionalistischem Weg schafft. Meiner Meinung, oder meiner Befürchtung nach sind das vergötzte Volkstum und der utopisch gesehene Staat solche nominalistischen Bindungen, und das Bekenntnis zu ihnen, also sagen wir: das Bekenntnis zu Deutschland, hat etwas Unverbindliches, weil es gar nichts mit der personalen Substanz und Qualitätshaltigkeit zu tun hat. Nach der wird überhaupt nicht gefragt, und wenn einer ‚Deutschland!‘ sagt und das für seine Bindung erklärt, so braucht er gar nicht nachzuweisen und wird von niemandem gefragt, auch von sich selbst nicht, wieviel Deutschtum er eigentlich im personalen und das heißt: qualitativen Sinn verwirklicht und wieweit er imstande ist, der Behauptung einer deutschen Lebensform in der Welt zu dienen. Das ist es, was ich Nominalismus, oder besser: Namensfetischismus nenne, und was nach meiner Meinung ideologischer Götzendienst ist.
Leider ist bisher empirisch nicht feststellbar, wie sich diese Begegnung mit einem deutschen Nobelpreisträger, die bei manchen der auf das Dichter- und Denkerland so stolzen Zeit- um nicht zu sagen Volksgenossen die erste Begegnung mit ebenjenem und ebendiesem zu sein den Eindruck nicht ganz zu vermeiden vermag, auf den eingangs zitierten Nationalstolz auswirkt. Weil auch Optimismus eine deutsche, ja vielleicht sogar – noch knapp vor dem Humor – die allerdeutscheste aller Eigenschaften ist, gehe ich davon aus, dass sich der oder die Betreffende sogleich begeistert in der kommunalen Bibliothek inskribieren wird, um die Werke des Dichters mit Vorfreude auszuborgen und die Leihe jeweils rechtzeitig zur Vermeidung von Säumniszuschlägen um einen Monat zu verlängern, was selbst bei den großzügigsten Stadtbibliotheken nicht zur Lektüre ausreichen wird, wenn der auf derartige Weise zum Kulturbeflissenen gewordene Mitbürger den Fehler begangen haben sollte, unter den Werken Thomas Manns sich für „Joseph und seine Brüder“ zu entscheiden. Denn daran sind schon ganz andere, darunter, ohne mich selbst auf ungebührliche Weise in den Mittelpunkt dieser Gedanken schieben oder drängen zu wollen, auch ich, verzweifelt und gescheitert. Aber sind nicht Verzweifeln und Scheitern seit jeher deutsche Tugenden?

Links:
- Noch prägnanter hat es Arthur Schopenhauer ausgedrückt.
- Falls Ihr jetzt Lust auf Bücher bekommen habt, hier gibt es ein paar Empfehlungen. Und Verrisse.
- Und ein erhellendes Gespräch mit jemandem von der „ich bin so stolz, Deutscher zu sein“-Fraktion.
- Falls es noch nicht aufgefallen sein sollte: Wenn irgendetwas deutschtümelnde Gefühle bei mir auslösen sollte, dann ist es die deutsche Sprache. Kaum eine andere Sprache ist so präzise, so schön, so poetisch, so kurz, knapp und bündig.
Sehr geehrter Herr Moser,
Ihre kluge Reflexion über die Gefahren des „Namensfetischismus“ und die ideologische Leere vieler nationalistischer Bekenntnisse verdient Respekt – gerade weil sie Thomas Manns intellektuelle Tiefenschärfe aufruft. Doch vielleicht lohnt ein zweiter Blick auf das, was oft unter „Stolz auf das eigene Land“ verstanden wird. Denn nicht jede Form von Nationalstolz ist gleichzusetzen mit ideologischer Aufladung oder identitärem Pathos.
Es gibt einen Stolz, der nicht aus Abgrenzung entsteht, sondern aus Verbundenheit. Wer ein Land liebt, liebt oft nicht einen abstrakten Namen, sondern das gelebte, kulturelle Erbe – Sprache, Literatur, Musik, Denker, Freiheitsbewegungen. Charles Taylor etwa beschreibt das menschliche Bedürfnis nach Zugehörigkeit als essenziell für Identitätsbildung. Es geht dabei nicht um Überlegenheit, sondern um ein „Zu-etwas-Gehören“, das Halt gibt – gerade in Zeiten, in denen Globalisierung und Entwurzelung viele verunsichern.
Jürgen Habermas bietet mit seinem Konzept des Verfassungspatriotismus einen Ausweg aus dem Dilemma. Man kann ein Land bejahen, nicht weil man es biologisch repräsentiert, sondern weil man seine Werte mitträgt – Demokratie, Menschenwürde, Pluralismus. Das ist kein leerer Nominalismus, sondern gelebte Ethik im Alltag. Und wenn jemand sagt: „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“, könnte genau das gemeint sein – Stolz auf ein Land, das sich seiner Geschichte stellt, aus Schuld Verantwortung zieht und aus Vielfalt Stärke.
Auch Václav Havel sprach von einer „verantwortungsvollen Liebe zur Heimat“, die mit Kritik vereinbar ist, ja: sie sogar verlangt. Patriotismus bedeutet dann, das Gute zu bewahren und das Schlechte zu überwinden – nicht, sich auf einem Namen auszuruhen. Orwell unterschied einst klar zwischen Patriotismus (als Liebe) und Nationalismus (als Machtwille) – eine Differenzierung, die auch Thomas Manns Kritik zugutekommen würde.
Und nicht zuletzt: Wer sein Land liebt, möchte es nicht verherrlichen, sondern verbessern. Aleida Assmann zeigt, wie kollektive Erinnerung Identität stiftet – nicht, um in der Vergangenheit zu verharren, sondern um die Zukunft gemeinsam zu gestalten.
Wenn Stolz also nicht aus Herkunft, sondern aus Haltung erwächst – wenn er sich auf das stützt, was ein Land aus sich selbst heraus an Gutem hervorgebracht hat und noch hervorbringen kann –, dann ist er kein „ideologischer Götzendienst“, sondern ein Ausdruck lebendiger, verantwortungsvoller Teilhabe.
Beste Grüße
Zuerst einmal muss ich die „kluge Reflexion“ entschieden und kategorisch zurückweisen, denn ich habe ja nur ein paar Sätze aus „Doktor Faustus“ abgeschrieben, nachdem ich bei der morgendlichen Lektüre darüber gestolpert bin und sie für nicht ganz unzeitgemäß hielt.
Mein Problem mit dem „Nationalstolz“ liegt vor allem im zweiten Wortbestandteil.
Ich finde, man kann nur stolz auf etwas sein, das man selbst erschaffen, geschafft oder vielleicht auch vermieden hat. (Ich bin zB sehr stolz darauf, es schon fast bis zum 50. Geburtstag geschafft zu haben, ohne Kinder in die Welt zu setzen.) Stolz kann man sein auf schulische Leistungen (außer man ist ein natürliches Genie), auf Alpenüberquerungen und vor allem auf gute Taten in schwierigen Situationen (Menschen aus dem tosenden Fluss retten und so).
Aber die Nationalität ist bei den allermeisten Menschen absoluter Zufall. Für mich ergibt das so wenig Sinn, wie wenn ich in die Welt posaunen würde, dass ich stolz bin, ein Mann zu sein. Oder stolz darauf, über 1,80m groß zu sein.
Man kann sich über solche Dinge durchaus freuen. Man kann auch (gegenüber wem/was auch immer) dankbar sein. Aber Stolz auf absolute Zufallsereignisse, das scheint mir deplatziert. Man ist ja auch nicht stolz auf einen Lottogewinn, oder? Sondern eben glücklich, dankbar, happy.
Gegenüber Patriotismus bin ich weniger skeptisch, wenn man Patriotismus als Einsatz fürs große Ganze, für die Gemeinschaft versteht. Wobei ich mich dann auch frage, warum ich mich für andere Deutsche mehr einsetzen soll als für einen Tschechoslowaken oder eine Mexikanerin.
Wenn jemand sagt, er/sie sei stolz, Deutscher/Amerikaner/Brasilianer zu sein, dann möchte ich immer eine Frage stellen: „Wärst du genauso stolz darauf, Franzose/Mexikaner/Senegalese zu sein, wenn du dort geboren wärst?“
Wenn die Antwort „ja“ ist, dann verstehe ich den Sinn dahinter nicht, den Stolz auf das eigene Land verbal so zu betonen.
Wenn die Antwort „nein“ ist, dann offenbart sich ja doch eine gewisse Überheblichkeit gegenüber anderen Nationen. Und die ist unschön und ungesund.
Ich finde, Gustav Heinemann hat dazu etwas wunderbar Unpathetisches gesagt: „Ich liebe keine Staaten, ich liebe meine Frau.“
Gerade in Europa ist es ja auch wirklich vollkommen arbiträr, in welchem Land man zufällig zur Welt kommt. Ich habe mal von einer Frau aus Rijeka gehört, die im Laufe des 20. Jahrhunderts mindestens sechs verschiedene Staatsangehörigkeiten hatte – ohne ein einziges Mal die Stadt zu verlassen.
Die ist wahrscheinlich auf keinen Staat stolz, sondern auf ihre Kinder und ihren Kuchen. Und Recht hat sie.
Es gibt Sie die Deutschen die Ihr Deutschtum nicht sinnvoll erklaren koennen. Die sollten tatsachlich lesen was Thomas Mann geschrieben hat. Mir hat einmal ein junger Deutscher afrikanischer Herrkunft erklaert :“ Ich habe das Glueck gehabt in Deutschland geboren zu sein und nicht in Togo dem Heimatland meiner Eltern.“
Ja, ich finde „Glück“ ist ein wesentlich besserer Ausdruck als „Stolz“ für das, was ich diesbezüglich empfinde.
Und zwar Glück hinsichtlich des Landes (gut, ein spannenderer Ort als die Oberpfalz wäre nicht schlecht gewesen 😉 ), aber auch Glück hinsichtlich der Zeit. Kalten Krieg gerade noch erlebt, so dass man jetzt Nostalgie dafür verspüren kann, aber dann deutsche Einheit und v.a. die europäische Einheit. Eine grandiose Zeit, verglichen mit nur zwei oder drei Generationen vorher.
Ich muss J.D. Bennicks Urteil, die klugen Reflexionen betreffend, leider auch gegen den dezidierten Widerspruch des Autors bekräftigen, und das nicht nur mit Bezug auf den „Nationalstolz“-Post! Prägnanz, Kürze und intellektuelle Tiefenschärfe, gewürzt mit der „zweitdeutschesten aller Eigenschaften“ … – wir brauchen mehr solcher Blogs! (ohne darauf stolz sein zu müssen…)
Herzliche Grüße aus Lübeck, HerrMann
Thomas Mann ist halt auch schwere Kost;-)
Die Buddenbrooks fand ich als TV-Serie z.B. stinklangweilig, während ich das Buch nach dem Anleseprozess regelrecht gefressen habe. Derzeit ackere ich mich durch die Jubiläumsausgabe des Zauberbergs.
Das Problem an diesem „Stolz“ ist ja in erster Linie, dass sich die meisten auf besagte gerademal 12 Jahre eines 1000-jährigen Reichs beziehen, während alleine die deutsche Geschichte viel mehr umfasst und dabei oftmals so deutsch oder germanisch gar nicht ist. Die darunterliegende Deutschtümelei als Ausgangspunkt entstand m.E. auch so in der Zeit der Romantik und wurde dann nur in vielfacher Hinsicht aufgegriffen und in allerlei Formen verklärt (Wagner sei da als Beispiel genannt), um das Deutsche aka Germanische/Nordische usw. als das Überlegene einer bestimmten Rasse herauszukehren, was es niemals war.
Es ist ja nicht so, dass andere Länder, Zeiten und Menschen nicht auch herausragende Leistungen hervorgebracht hätten.
Meine Lektüre des Zaubergers zog sich über etwa ein Jahr hin, aber es war ein Vergnügen.
Allerdings habe ich wegen jenes Buchs mit dem Rauchen von Zigarren begonnen.
So ein Zufall:
Gerade sehe ich, dass die Buddenbrooks heute Abend um 20:15 auf Arte kommen.
Ich sitze gerade allein in einem Hotelzimmer in Erfurt, also gönne ich mir das vielleicht.
Aber wahrscheinlich werde ich lieber das Buch ein zweites Mal lesen, nachdem du mich jetzt daran erinnert hast.
Ist ja noch einen Monat in der Mediathek. Allerdings ist das nicht mehr die Originalfassung des ZDF sondern eine Neuverfilmung.
Es war auch nichts Besonderes.
Da hätte ich lieber lesen oder schlafen sollen.
Aber ich finde, zu Abenden in Hotelzimmern während einer Geschäfts- bzw. einer Gerichtsreise gehören eine Pizza aus der Schachtel und lineares Fernsehen.
So war das schon immer.
Wer intellektuell weniger anspruchsvoll ist, wird von Volker Pispers gut bedient:
Wer überhaupt nichts hat. Weder Geld noch einen Funken Verstand, dem bleibt immer noch das Vaterland.