Ein heißer Nachmittag. Die Zeit, zu der in Italien alles geschlossen ist und sich nichts bewegt. Totenstille, während ich die Insel La Maddalena mit dem Fahrrad erkundete. Ein Wegweiser, der eine Ortschaft names Panoramico versprach. Es war schon mein dritter Tag auf der Insel, und ich wollte einfach eine schöne Bucht zum Schwimmen und Lesen finden. Panoramico klang gut.
Aber erst einmal bot sich mir ein deprimierendes Bild, alles andere als ein Panorama: die Wagen und Figuren eines Karnevalsumzugs. Sie sahen aus, wie wenn sie übereilt zurückgelassen worden waren. Die Wagen waren chaotisch über den großen Platz verstreut geparkt. Der Wind blies durch die zerschlissenen Planen, die Stille bedrohlich unterbrechend. Ein Stück Metall knarzte. Die überlebensgroßen Pappmachéfiguren starrten in die Luft, in die Ferne oder in das Nichts. Sie waren alle tot.
Hier mußte ein Massaker stattgefunden haben. Am meisten erschüttert war ich vom Anblick eines Reporterkollegen, der noch das Mikrofon in der Hand hielt. Tot. Er hatte bis zum letzten Atemzug berichtet, obwohl er wußte was auf ihn zukam. Sein Blick verriet den Horror.
Zwei riesige Figuren fochten einen stummen Kampf um die Herrschaft über die Szenerie, jede von ihnen hoch auf ihrem Wagen, sich weigernd, unterzugehen wie die anderen. Pinocchio und ein unidentifizierbares Skelett.
Oder waren ihre erhobenen Hände gar kein Zeichen des Streits, sondern ein letzter Abschied? Schwelgten sie in der Erinnerung an die Zeiten, als sie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der ganzen Insel standen?
Wie lange das wohl her sein mochte? Der Ort sah so verloren, so verlassen, so ausgeschlachtet aus, daß ich auf mehrere Jahre tippte. Bis ich an einem der Wagen dieses Schild entdeckte:
Dies waren die Überreste des diesjährigen Karnevalsumzugs. Es war Ende Mai 2014, also konnte das Ereignis noch nicht zu weit zurückliegen.
Später am gleichen Tag, als ich in die Stadt zurückkehrte – aber erst nachdem ich tatsächlich die wunderbare Bucht gefunden hatte, nach der ich gesucht hatte -, sah ich in der Bäckerei ein kleines und offensichtlich nicht mehr aktuelles Poster, mit dem für Spenden und Unterstützung für den diesjährigen Karneval gebeten wurde. Das Datum des Umzugs war der 2. März 2014, also nicht einmal vor drei Monaten.
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