Jetzt hat sich ISIS also auch noch Palmyra geschnappt, die antike Oasenstadt in der Wüste Syriens. Ein weiteres Weltkulturerbe steht vor der Zerstörung.
Die Weltgemeinschaft wird sich darüber mehr erregen als über die in Syrien täglich getöteten Zivilisten. Alte Steine erregen mehr Mitleid als syrische Kinder. Wenn es die römischen Säulen auf ein Boot nach Europa schaffen würden, wären sie wahrscheinlich herzlich willkommen.
Aber ich will die bevorstehende Plünderung dazu nützen, um von meinem Ausflug nach Palmyra zu erzählen.
Es war ein paar Jahre vor dem Krieg, ich glaube im Jahr 2006. Ich hatte gerade Weihnachten in Beirut verbracht, war mit dem Taxi durch einen Schneesturm über die Berge nach Damaskus gefahren und hatte mich dabei extrem erkältet, weil die drei Raucher im Taxi während der gesamten Fahrt alle Fenster offen ließen. Ich wollte noch ein paar Tage in Syrien verbringen, das damals – so ändern sich die Zeiten – ungefährlicher als der Libanon war. Jeder, der irgendwie kann, fährt, geht und flieht heute in die umgekehrte Richtung.
Von Damaskus aus wollte ich mit einem der bunten, aus den verschiedensten Teilen zusammengeschweissten Busse einen Tagesausflug nach Palmyra unternehmen. Circa 250 km einfache Strecke, man kann also am gleichen Tag hin und zurück. Bis auf die Ruinen gibt es dort sowieso nicht viel zu erleben, v.a. wenn man kein Arabisch spricht.
Dem Lonely-Planet-Reiseführer entnahm ich, dass es ein Reisebüro gab, das einmal am Tag einen Bus von Damaskus nach Palmyra entsandte, der um 10 Uhr losfuhr und am Nachmittag oder Abend nach Damaskus zurückkehrte. Perfekt. Am Tag vorher machte ich mich zu dem Reisebüro an einer der größeren von der Altstadt wegführenden Straßen auf. Den Namen habe ich nach so vielen Jahren natürlich vergessen.
Es war ein kleines Büro mit einem Schreibtisch, einer Menge Zettel, Kalender und Landkarten an der Wand. Zwei Männer saßen auf Korbstühlen, einer davon mit einem Teller Fleisch und Reis auf dem Schoß. Er aß gerade zu mittag, war also wohl der Eigentümer oder ein Mitarbeiter der Agentur. Auf Arabisch konnte ich nicht mehr als „salam aleikum“ sagen, also schob ich auf Französisch „bon appétit“ hinterher. Ein grimmiger Blick und ein Grummeln bedeuteten mir, dass ich zur Unzeit meine Aufwartung gemacht hatte.
Ich verzog mich also und trieb mich ein wenig auf der Straße herum. Nach einer halben Stunde kam ich zurück. Einer der jetzt satten Mitarbeiter saß hinter dem Schreibtisch. Auf Englisch fragte ich, ob er selbiges spräche. Auf Arabisch verneinte er. Komisch, dass man sich immer dann versteht, wenn man vorgibt, sich gegenseitig nicht zu verstehen. Ich stammelte also etwas mit den Wörtern „Ticket“, „Autobus“, „Palmyra“, erntete aber Unverständnis statt eines Fahrscheins. So ging es hin und her. Wortfetzen auf Englisch, Arabisch und Französisch flogen über den Tisch und wurden zurückgeschleudert wie Tennisbälle, bis es dem Syrer zu bunt wurde. Er stand auf, ging auf die Straße, rief in die Menge und kam mit einem adrett gekleideten Herren mittleren Alters zurück, der Englisch sprach. Er sah aus wie ein Anwalt oder ein Manager, aber für den Moment unterbrach er bereitwillig seine Geschäfte, um den Kauf eines Busfahrscheins zu dolmetschen. Sehr nett.
Dabei erfuhr ich endlich, dass Palmyra auf Arabisch Tadmur heißt. Daher also die Verständigungsschwierigkeiten. Es ging immer noch ziemlich langsam voran, bis klar war, dass ich am nächsten Morgen fahren wollte und am gleichen Abend zurückkommen wollte. Immer wieder wurde mir ein Kalender gezeigt, auf dem ich die Daten ankreuzen sollte. In der Grundschule in Deutschland wird uns ja weisgemacht, dass unsere Ziffern arabische Ziffern seien, anscheinend um den tristen Mathematikunterricht etwas aufzupolieren. Kompletter Unfug. Arabische Ziffern sind genauso seltsam wie arabische Buchstaben. Man erkennt allenfalls die 1 und die 9.
Mit der freundlichen Hilfe des unentgeltlich tätigen Dolmetschers bekamen wir es mühsam hin, ein Ticket in von mir nicht lesbaren Schriftzeichen auszufüllen. Den Preis weiß ich nicht mehr genau, aber es war irgendetwas zwischen einem und zwei Euro. Für insgesamt 500 km. Ich sollte mich am nächsten Morgen um 10 Uhr am Harasta-Busbahnhof einfinden.
Voller Vorfreude las ich mir den Abend über die Geschichte von Palmyra an: Karawanen, Oasen, Syrer, Babylonier, Römer, Seidenstraße, Religionen von denen ich vorher noch nie gehört hatte, Schlachten, Architektur.
Am nächsten Morgen verschlief ich.
So gesellte sich Palmyra zu der Reihe der Orte, die ich fast gesehen hätte. Jetzt ist es zu spät. Verdammte Terroristen! Verdammter Wecker!
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