Als ich heute den Laden in der Avenida America in Cochabamba aufsuchte, sah es irgendwie anders aus als gewöhnlich. Ein ganzer Gang war mit schwarzen Tüchern verhängt. Es war die Alkoholabteilung.

“Was ist denn hier los?” fragte ich den Ladenbesitzer. “Sind Sie Mormone oder Adventist des Siebten Tages geworden?”
“Nein”, lächelte er, „das ist das Gesetz. Vor und während des Referendums dürfen wir keinen Alkohol verkaufen.“ Er bezog sich auf die Abstimmung am 21. Februar 2016 über die vorgeschlagene Verfassungsänderung, die die erneute Wiederwahl des Präsidenten nach seiner jetzigen dritten Amtsperiode erlauben würde.
Tatsächlich hat die bolivianische Wahlkommission eine Verordnung erlassen, die den Verkauf und den Verzehr von Alkohol für den Zeitraum von 48 Stunden vor bis zum Mittag nach einer Wahl oder einem Referendum verbietet. Sie verbietet auch das Tragen von spitzen, scharfen oder stumpfen Gegenständen, öffentliche Auftritte und Versammlungen und jeglichen motorisierten Verkehr am Wahltag.

Das Alkoholverbot soll sicherstellen, dass Wähler einen klaren Kopf haben, wenn sie am Sonntag ihre Entscheidung treffen. Als der kreative Topjurist, der ich bin, versuchte ich zu argumentieren, dass ich von dem Verbot ausgenommen sei, weil ich als Ausländer sowieso nicht wählen darf. Es wäre also egal, wie benebelt ich morgen sein werde. Das Gesetz sieht solch eine Ausnahme nicht vor, also argumentierte ich, dass eine “reducción teleológica” vorgenommen werden müsse, eine teleologische Reduktion, mittels derer der Anwendungsbereich einer Norm über den Wortlaut hinaus eingeschränkt wird, wenn Sinn und Zweck einer Vorschrift dies verlangen. Den Begriff auf Spanisch musste ich dabei erraten, aber glücklicherweise ist er dem deutschen ähnlich.
Ich muss wohl kaum gesondert erwähnen, dass meine Argumente nicht durchdrangen und ich keinen Whiskey bekam.
Wahrscheinlich hatte der Mann hinter der Theke sogar Recht mit seiner Ablehnung, denn ein weiterer Zweck des Alkoholverbots liegt womöglich darin, den Ärger und die Gewaltbereitschaft zu vermeiden, die aus der Kombination von Abstimmungsniederlage und Alkohol entstehen können. Und in solche Auseinandersetzungen kann auch ich als Ausländer mit hineingezogen werden, was basierend auf meiner Neigung, mich in die Politik anderer Länder einzumischen, gar nicht so weit hergeholt ist.
Obwohl Bolivien seit Mitte der 1980er Jahre eine relativ stabile Demokratie ist, wird hier angesichts der vorangegangenen turbulenten Geschichte mit Dutzenden von Revolutionen, Putschen und Gegenputschen vielleicht lieber auf Nummer Sicher gegangen. Andererseits macht das Verbot von öffentlichen Versammlungen und des öffentlichen Nahverkehrs einen Militärputsch noch einfacher, weil sich die Opposition schwerer organisieren könnte. Aber wir wollen jetzt nicht den Teufel an die Wand malen, sondern uns vertragen, egal ob wir morgen mit SI oder mit NO stimmen. Dann können wir Montag Abend auch wieder etwas trinken.
Ich konnte nicht herausfinden, ob während des Alkoholverbots der Verkauf der Kokablätter ansteigt.
Dieses Wochenende sollte auch interessante Daten darüber liefern, ob es weniger oder mehr Unfälle (den autofreien Wahlsonntag natürlich ausgenommen), weniger oder mehr Straftaten, weniger oder mehr Krankenhauseinweisungen als an vergleichbaren Wochenenden gibt.
Links:
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