Ich mache Bibliothekspause am Maxplatz in Amberg. Egal, wieviel man studieren will, so eine Pause muss manchmal sein. Also sitze ich im Schatten jahrhundertealter Bäume, lese die Süddeutsche Zeitung und rauche eine Zigarre.

Es dauert nur eine Viertelstunde, bis mich ein dünner, dunkler Mann mit Goldzähnen auf Englisch anspricht. Er sei aus Kuba und Musiker, stellt er sich vor.
Als er seinen kleinen Rucksack öffnet, fürchte ich schon, dass er mir eine CD anbieten wird, was ich, weil ich Musik aus Gewissensgründen verweigere, ablehnen werden muss.
Aber nein, er zieht eine große Holzkiste hervor, öffnet sie und präsentiert Cohiba-Zigarren. Die großen. Churchill-Größe.
Die habe ich zuletzt in Bolivien geraucht, wo das Stück nur ein paar Euros kostete. Um nicht zu viel zu rauchen, erwarb ich jeweils nur eine, weshalb der Ladenbesitzer, den Ihr aus dieser alkoholfreien Geschichte kennt, jedes Mal zum Kühlschrank gehen und die Kiste auspacken musste. Es war so ein Tante-Emma-Laden, aber immer, wenn die Kiste leer war, sagte der Verkäufer: „Kein Grund zur Verzweiflung, Señor. Morgen, spätestens übermorgen kommt das Flugzeug aus Kuba“, wie wenn es nur für diesen kleinen Laden in der Avenida America angeflogen käme. Andererseits: Das würde die vielen im Urwald versteckten Rollfelder besser erklären als die bösen Gerüchte vom Drogenschmuggel.
Während ich abgeschweift bin wie ein Flugzeug, das weit unter dem Radar der Zielstrebigkeit über die sanften Wellen des milden Karibikwassers gleitet, hat der Kubaner neben mir Platz genommen.
„Die Lage in Kuba ist miserabel“, sagt er. Deshalb verkaufe er jetzt Zigarren, um seiner Frau Geld fürs Essen mitbringen zu können. „Wenn es überhaupt Essen gibt“, schränkt er ein. „Es gibt nicht einmal jeden Tag Huhn!“ Wer schon in Lateinamerika war, weiß, was das für ein Desaster ist. Ohne mindestens zweimal Huhn pro Tag läuft eigentlich nichts. Ehrlich, nach eineinhalb Jahren in Südamerika konnte ich kein Huhn mit Reis mehr sehen.
Unvorsichtigerweise habe ich ins Spanische gewechselt, obwohl ich eigentlich wissen sollte, dass ich Kubaner (und Argentinier) nicht verstehe. An die Pluralkongruenz bei unpersönlichen Verben, die morphosyntaktischen Abweichungen, die Substitution der liquiden Palatale könnte man sich ja noch gewöhnen. Aber das rasche Sprechtempo kombiniert mit nicht ausgesprochenen Konsonanten bringt mich an meine Grenzen.
In Kuba wurde die Umgangssprache nach der Revolution von 1958 zur Standardsprache. Weil ehemals unterprivilegierte Schichten in sprachprägende Schichten wie Lehrer, Politiker und Radiomoderatoren aufstiegen, wurde diese Entwicklung von der marxistischen Sprachwissenschaft als Element der Demokratisierung begrüßt. Außerdem verließen viele Intellektuelle die Insel, was einen etwas schlampigen Sprachsumpf zurückließ.
Aber das kenne ich ja aus Amberg.
Jedenfalls verstehe ich gerade so, dass er mit sechs Kollegen eine Band bildet, er selbst am Schlagzeug spielt, und dass sie für drei Monate durch Europa touren. Keine Straßenmusikanten, sondern richtig professionell. Morgen geht es in die Schweiz, danach nach Luxemburg, dann Berlin und wieder zurück nach Amberg. Hier wohnen sie in der Brauerei Bruckmüller.
„Das ist aber praktisch“, sage ich vielsagend.
„Oh nein, wir sind nicht solche Musiker“, wehrt er ab und versichert, noch keine einzige Flasche deutschen Bieres angefasst zu haben. Er spricht „deutsches Bier“ wie etwas aus, von dem die ganze Welt weiß, dass es Teufelszeug sei.
Da ich noch immer eine Toscano-Garibaldi-Zigarre für 70 Cent im Mund habe, kann ich einerseits nicht leugnen, dass ich rauche, andererseits glaubhaft versichern, dass ich nicht den vorgeschlagenen Preis von 10 € für eine oder 15 € für zwei Cohibas bezahlen kann.
„Ich bin Student“, erkläre ich mit traurigem Blick.
„Aber sonst kostet eine Cohiba 20 €“, sagt er.
Das weiß ich. Mancherorts sogar 30 €. Aber ich finde das übertrieben. Das ist so, wie wenn Leute 20.000 € mehr für ein Auto zahlen, weil vorne ein Stern drauf ist, den sie für 25 € am Schrottplatz bekämen. Oder wie Leute zehnmal so viel für ein First-Class-Ticket bezahlen, um genauso schnell wie ich in der Economy-Class anzukommen. Und ganz unter uns: Die Toscano-Zigarren schmecken besser.
Na gut, sagt er, dann solle ich ihm halt 10 € oder 12 € oder was ich will für zwei Cohibas geben. Am Tabakmarkt herrscht anscheinend das Gegenteil von Inflation.
Als ich aus der für diese Zwecke gut geeigneten Zeitung eine Seite reiße, um die Zigarren einzupacken (Argument Nr. 28 gegen elektronisches Lesen), legt er mir vier Cohibas drauf und schlägt 20 € vor.

Darauf gehe ich ein, und wir verabschieden uns mit Handschlag. Leider habe ich seinen Namen nicht verstanden. Aber Mitte Juni wird er wieder am Maxplatz sein, hat er versprochen.
Links:
- Mehr Geschichten mit Zigarren.
- Mehr Geschichten aus Amberg (wo ich viel zu oft bin) und über Kuba (wo ich noch nie war).
- Die Anleitung, um von Fremden im Park angesprochen zu werden. Probiert es doch mal aus!
- Und wenn Ihr eine von den Zigarren wollt, gebt Bescheid!
Pingback: My Drug Dealer from Cuba | The Happy Hermit
Das ist ja mal ein Ding. Ich habe ja auch schon alles Mögliche erlebt, aber mit einer Cohiba ist da noch keiner rumgekommen. 😀 Da hätte ich dann eher das Problem, dass ich sofort auf Lunge ziehen würde. Dann braucht man schon eine ziemlich gute Toilette nebenan.
In Marienbad hat mich mal im Park jemand angesprochen, ob er an meiner Zigarre ziehen kann. Ich konnte ihm nicht rechtzeitig erklären, dass er nicht auf Lunge rauchen darf… Er ist hochrot angelaufen und fast von der Bank gefallen!
Siehe Kapitel 35 in dieser Geschichte:
https://andreas-moser.blog/2019/10/16/marienbad-2/