Manche Leute nehmen ihren Jahresurlaub für die Fußball-WM. Ich hingegen habe erst nach der Planung meiner Reise nach Griechenland, Mazedonien und Albanien gemerkt, daß überhaupt eine Fußball-WM stattfindet. Solange dadurch keine Züge ausfallen sollten, war mir das egal.
So war ich am 13. Juli 2014, am Tag des Finalspiels zwischen Deutschland und Argentinien, zufällig in der albanischen Hauptstadt Tirana. Schon den ganzen Tag über sah ich Menschen in Deutschland-Trikots, Deutschland-Fahnen vor Restaurants und Bars und an Autos und andere schwarz-rot-goldene Markierungen. Während einer Wanderung auf dem Berg Dajti hatte ich einen Albaner getroffen, der mich darauf hinwies, daß mit Shkodran Mustafi ein Sohn albanischer Eltern im DFB-Team spielt, aber die Deutschland-Begeisterung schien mir mehr allgemein und unabhängig von einem (sowieso wegen einer Veletzung ausgeschiedenen) Spieler zu sein. Schon bei meiner Ankunft am Tag zuvor hatte mir die Wirtin meiner Pension gesagt, daß sie es nicht erwarten könne, bis die WM vorbei sei, da sie das ewige „Germany, Germany“-Gerede ihres Mannes nicht mehr ertragen könne.
Das Spiel wurde in jeder Bar, in jedem Restaurant und in jedem Garten übertragen. Man konnte durch ganz Tirana spazieren, ohne eine Sekunde des Spiels zu verpassen. Der größte Auflauf war im Zentrum, wo etliche große Leinwände aufgestellt waren, Rücken and Rücken, so daß die Zuschauer von beiden Seiten aus zusehen konnten. Alle 50 und 100 Metern dann wieder so eine Doppelleinwand, und so ging es durch die ganze Fußgängerzone.
Hier kam ich gerade zufällig vorbei, als das einzige Tor des Spiels fiel:
Und das war kein neutraler Torjubel. Auch schon vorher waren die Anfeuerungsrufe eindeutig auf das deutsche Team konzentriert. Entsetzt war ich darüber, daß sogar in Albanien, das ja immerhin mal von den Nazis besetzt war, jemand mit einem „Deutschland über alles“-Plakat herumläuft. Mangelndes Geschichtsbewußtsein ist ein globales Phänomen.
Ein Junge konnte mit dem Abbrennen seiner Fackel nicht mehr bis zum Schlusspfiff warten:
Als das Spiel endlich aus war, tanzte die Menge, wie wenn Albanien selbst den WM-Titel gewonnen hätte:
Jemand hatte ein Feuerwerk mitgebracht (und ich frage mich, ob er es auch für Argentinien abgebrannt hätte):
Vom Minarett der nahen Et’hem-Bey-Moschee rief der Muezzin „Allah u akbar“: Gott ist groß. Das fand ich dann wirklich übertrieben.
Man merke sich also: Will man bei zukünftigen Europa- und Weltmeisterschaften dem deutschen Fußballtrubel entgehen, ist Albanien kein gutes Reiseziel. Ansonsten ist es aber ein sehr sympathisches Land.
Pingback: Video Blog: Final of Football World Cup 2014 | The Happy Hermit
Wie erfrischend, dass es Menschen gibt, die so eine entspannte Einstellung zum Fußball haben und sich trauen, die auch auszusprechen. So eine humorvolle Schilderung ist mir ungleich lieber als ein gewollt enthusiasmisierter Fußballreporter.
Danke!
Ja, ich kann mich da schwer dafür begeistern. Ich erinnere mich, dass ich während des Finales immer wieder spazieren gegangen bin und mir was zum Essen gekauft habe, weil mir sonst die zwei Stunden zu langweilig gewesen wären.
Und wenn ich fanatische Fans kennenlerne, dann verliere ich die Lust vollkommen. Wenn ich die Uniformen, Fahnen, das Gegröhle und das Niedermachen des Gegners sehe/höre, dann erinnert mich das immer an Faschismus.
Während mancher Finale pflegte ich spazieren zu gehen, weil ich wähnte, die Natur für mich allein zu haben. Aber nein, die gleiche Intention hatten auch andere, und wir lächelten uns verständnisvoll an.