Ich hasse den Dschungel. Hitze, Feuchtigkeit, Moskitos, Schlamm, Piranhas, Schmetterlinge, Blutegel im Wasser, Schlangen im Gebüsch, Krokodile am Ufer, Malaria, Dengue-Fieber, Gelbfieber, Orientierungslosigkeit, keine Aussicht, nur Bäume, Bäume und mehr Bäume, von denen sich alle möglichen Tiere herunterlassen, um einen zu verschlingen. Ne, ich kann schon verstehen, warum dort nicht viele Menschen leben.
Auf meiner letzten Reise in den Tipnis-Nationalpark in Bolivien gab es nur einen Aspekt, der mich mit all diesen Unannehmlichkeiten versöhnte. Zur großen Überraschung meiner selbst und all jener, die meine generelle Einstellung gegenüber Kindern kennen, waren es die Kinder der mitten im Urwald gelegenen Siedlung Buen Pastor.
Die kleine Gruppe, mit der ich unterwegs war, waren die ersten Ausländer, die jemals bis zu diesem Dorf vorgedrungen waren. Anfangs waren die Kinder ziemlich schüchtern, offensichtlich auch ein bißchen verstört durch den Anblick von Männern mit Bärten (die Mojeños haben kaum Bartwuchs), einem asiatischen Jungen, einem schwarzen Jungen und einem Mädchen mit Brille (niemand in dem Dorf trug eine Brille). Sie beobachteten uns aus der Ferne, antworteten nicht, wenn ich sie ansprach, gingen stattdessen weg oder deuteten allenfalls eine schüchterne Neugier an.
Andere Kinder hatten keine Zeit für uns, weil sie den Schulunterricht und ihre Bildung sehr ernst nahmen.
Dennoch war es gut, dass wir vor der Schule herumhingen, denn dort waren die Kinder in Gruppen und wurden mutiger. Das Eis (eine weitere Sache, die diese Kinder niemals gesehen haben) brach als sich ein paar Leute aus unserer Gruppe in ein Fußballspiel einklinkten und andere mit den Kindern zu singen und spielen anfingen.
Ich habe weder Talent für Fußball, noch für Gesang, noch zum Spielen mit Kindern. Stattdessen nützte ich die Gelegenheit, mich in eines der leeren Klassenzimmer zu schleichen und ein bolivianisches Geschichtsbuch zu lesen.
Mir blieb jedoch nicht viel Zeit, um über die Darstellung der deutschen und europäischen Geschichte in diesen Büchern zu staunen, denn sobald mich die Kinder entdeckten, war ich umzingelt.
Und anschließend umzingelten sie den Fotografen, um die Fotos zu begutachten.
Wenn sie jemand anderen erspähten, der fotografierte, stümten sie auf ihn – in diesem Fall auf mich – zu.
Es war wie eine umgekehrte Paparazzi-Situation. Jedes Mal wenn mich die Kinder mit einer Kamera erblickten, umrundeten sie mich lachend oder verfolgten mich, wenn ich weglaufen wollte:
Und diese Kinder hatten eine Energie, Wahnsinn! Den ganzen Tag spielten sie Fußball, rannten herum, lachten und waren am Abend keinen Deut müder oder langsamer als am Morgen. Was mir auch gefiel, war, dass sie eine Menge Freiheit hatten. Es gab keine überfürsorglichen Eltern, die sie zur Schule brachten, sie abholten oder ihnen sagten, was sie anziehen sollen. Diese Kinder werden wahrscheinlich erwachsener als ihre verhätschelten Kollegen in der Stadt. Und sie wissen wie man angelt, jagt, sich im Regenwald orientiert und wie man ein Boot steuert.
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Ein wunderbarer Beitrag, die Kinder sind richtig glücklich!
Danke!
Die Kinder wären der einzige Grund, warum ich mir die Strapazen nochmals aufhalsen würde. Das Dorf ist sechs Stunden Fußmarsch von der nächsten Straße entfernt, und man muss einige Flüsse durchqueren.
Dann war das für Dich sicher eine willkommene Abwechslung! Danke, für’s zeigen!
Wie, du hast kein Talent zum Spielen mit Kindern? Das sah aber anders aus :D. Jedenfalls stimme ich der Vorrednerin zu: Ein wirklich schöner Bericht.
PS: Man sagt mir auch nach, ich könne mit kleinen Kindern nicht so – eher mit älteren.
In meinem Schulleitungsbüro sieht es mittlerweile manchmal aber auch so aus wie oben. Dann stehen 5. KlässlerInnen eisessend herum, schwätzen und gucken sich alles an, was in meinem Büro so hängt, steht und liegt. An die erinnern mich deine Fotos grad.
Und wenn sich irgendeiner Deiner Lehrer über die Arbeitsbedingungen beschwert, könntest Du auf die Lehrer in Buen Pastor verweisen:
Die müssen 6-8 Stunden durch den Dschungel laufen bzw. in der Regenzeit durch den Matsch waten, bis sie zur Schule kommen. Die vier Lehrer, die dort arbeiten, sind aus anderen Teilen des Landes, müssen aber zwischen den großen Ferien einige Monate in einem Dorf ohne Duschen, ohne WCs, ohne sauberes Wasser (man trinkt aus dem Fluss oder in der Regenzeit das Regenwasser) leben. Seit fünf Monaten gibt es keine Elektrizität, weil ein Teil der Solaranlage nicht mehr funktioniert. Man bekommt keine Zeitungen, und besuchen tut einen auch niemand. Die Heimfahrt fürs Wochenende lohnt sich wegen des langen Fußmarsches nicht. Privatsphäre gibt es keine, weil alle in offenen Hütten rund um eine aus dem Dschungel gehauene Lichtung leben. Der Arzt kommt einmal im Monat vorbei. Fisch und Reis hängen einem nach ein paar Wochen zum Hals raus. Nach dem Gehalt wollte ich da gar nicht mehr fragen.
Schön, dass schulleitende gendern, vielleicht ändert sich doch mal was, denn von oben wird ja die linie vorgegeben…
OK, so kenne ich das auch nicht.
Das wäre doch mal eine interessante Reise für den BLLV. 😉
Ich hab mich sehr viel mit pädagogik beschäftigt, in der schule und dann auch am praxisbeispiel zu hause und bin dann nach einer weile auf das kontinuum konzept gestoßen.
https://lovisraeubermutter.wordpress.com/2015/10/21/auf-der-suche-nach-dem-verlohrenen-glueck-von-jean-liedloff/
Ich denke dass diese freiheit und selbstständigkeit sich dir damit gut erklärt.
Alles gute,
Lovis
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