Robert Harris, ein erfahrener Autor historischer Romane, hat sich des Münchner Abkommens von 1938 angenommen. Damals einigten sich Deutschland und das Vereinigte Königreich, dass Deutschland Teile der Tschechoslowakei annektieren dürfe. Zu jener Zeit glaubte man, dass solch ein Zugeständis zu Lasten der am Abkommen nicht beteiligten Teschoslowakei einen Weltkrieg verhindern würde. Das tat es nicht. Aber damit sage ich Euch nichts Neues.
Und das ist ein Problem von München. Denn wie erzeugt man Spannung mit einem historischen Ereignis, von dem jeder weiß, wie es ausgegangen ist bzw. dessen Folgen zumindest jeder kennt? Wenn der Autor sich nicht auf Pfade der „alternativen Geschichte“ begeben will, muss er weniger bekannte Nebenhandlungen thematisieren.
Harris entscheidet sich für zwei Nebenhandlungen, eine reale und eine fiktive. Die Septemberverschwörung ist tatsächlich weniger bekannt, leidet aber unter dem gleichen Schicksal wie das Hauptthema. Wir wissen, dass es 1938 zu keinem Staatsstreich gegen Hitler kam. (Falls Ihr jetzt denkt, „doch, ich kann mich genau daran erinnern“, dann meint Ihr die Operation Walküre von 1944.)
Die fiktionale Nebenhandlung über zwei Diplomaten, einen deutschen und einen britischen, die sich aus dem Studium in Oxford kennen, erschöpft sich im Versuch des Deutschen, den Briten ein Dokument zuzuspielen, ohne dass die anderen Deutschen es bemerken. Und darum dreht sich das ganze Buch. Leute tragen Papiere von einem Büro in ein anderes Büro, kopieren Papiere, versenden Telegramme und erhalten dann die gewünschten Dokumente doch nicht.
Das liest sich genauso langweilig, wie es sich anhört.
Noch schlimmer als die Langweile sind aber die Klischees, vor denen das Buch trieft. Hitlers stimme klingt immer „eisern“, die meisten Nazis sind betrunken oder „stinken nach Stahl, Leder und Schweiß“, und natürlich hatten die beiden Diplomaten einst die selbe Freundin, die sie jetzt wieder treffen, ohne dass dies für die Handlung notwendig oder gar förderlich ist. Es ist eher ein nerviger Nebenschauplatz.
In vielen Rezensionen wurde, vielleicht weil es sonst nichts Gutes über das Buch zu sagen gibt, Harris‘ Rechercheleistung gepriesen. Davon konnte ich nichts erkennen. Dafür, dass Harris im Nachwort schreibt, dass er sich seit 30 Jahren mit dem Münchner Abkommen beschäftigt und sich bei britischen und deutschen Experten für die Unterstützung bedankt, strotzt das Buch noch voller Fehler. Vielleicht hat der deutsche Übersetzer die meisten ausgebügelt, aber ich habe das englische Original gelesen. Darin musste ich mich über falsch geschriebene Orte und über verhunzte Wörter wie “Liebstandarte” ärgern, sowie mich wundern, dass Hitlers Freundin, ein gewisses “Fräulein Brown”, einen englischen Namen trägt.
Wenn Ihr stattdessen ein wirklich gutes Buch von Robert Harris lesen wollt, empfehle ich Intrige über die Affäre Dreyfus. Es würde mich interessieren, wie Ihr seine Bücher so einschätzt. Bisher kenne ich nur Ghost, das mir zu offensichtlich anti-Blair war, und Vaterland. Letzteres fand ich ganz gut, aber es ist schon Jahrzehnte her, dass ich es gelesen habe, und ich bin mir nicht sicher, ob ich meinem jüngeren Selbst in Geschmacksfragen trauen möchte.
Pingback: Ein Spaziergang durch Baza | Der reisende Reporter
Pingback: Vor hundert Jahren legten Deutschland und Russland den Grundstein für den Zweiten Weltkrieg – April 1922: Rapallo | Der reisende Reporter