Deportation

Ein beklemmender Moment, als ich die E-Mail eines Mandanten in einem Staatsangehörigkeitsfall öffne und schon beim ersten Überfliegen an diesem Satz hängenbleibe:

Ich habe auch die Dokumente über die Deportation meines Ururgroßvaters von Hamburg nach Lodz im Jahr 1941 und seine Sterbeurkunde von 1942 beigefügt.

Das relativiert wirklich einige der Probleme, mit denen ich sonst so konfrontiert werde.

Über Andreas Moser

I am a lawyer in Germany, with a focus on international family law, migration and citizenship law, as well as constitutional law. My other interests include long walks, train rides, hitchhiking, history, and writing stories.
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4 Antworten zu Deportation

  1. hanselmar schreibt:

    Es wird sicherlich viele Leser interessieren wie ein solch beklemmender Fall von einem Rechtskundigen geloest werden kann.

    • Andreas Moser schreibt:

      Ich habe mit solchen Familiengeschichten zu tun, wenn ich Mandanten helfe, die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen (bzw. nachzuweisen, dass sie diese schon die ganze Zeit hatten, manchmal ohne es zu ahnen).

      Zum einen gibt es die normalen Abstammungsfälle, wie in jedem Land. Da geht es darum, eine direkte Linie von dem letzten Vorfahren, der in Deutschland gelebt hat, über die Großeltern und Eltern zu sich selbst zu ziehen und diese lückenlos zu beweisen. Dafür muss man oft in den Archiven in aller Welt nach Dokumenten suchen: Taufscheine, Schiffspassagen nach Südamerika, Wehrpässe aus dem Ersten Weltkrieg, u.s.w.)

      Die rechtliche Schwierigkeit bei Abstammungsfällen besteht v.a. darin, dass Menschen manchmal (meist unbeabsichtigt) Dinge tun, wodurch sie die deutsche Staatsbürgerschaft verlieren (zB freiwillige Annahme einer anderen Staatsbürgerschaft).

      Bei Mandanten, deren Vorfahren in den letzten 90 Jahren aus Deutschland emigriert sind, kommen natürlich oft Aspekte von Flucht, Verfolgung und Vertreibung dazu. Wenn die deutsche Staatsangehörigkeit in jeder Generation weitergegeben wurde, sind diese Fälle aber juristisch nicht anders zu behandeln als diejenigen, wo jemand freiwillig und aus Abenteuerlust ausgewandert ist.

      Aber jetzt wird es kompliziert: Aus „Wiedergutmachung“ dessen, was nicht wiedergutzumachen ist, gewährt Deutschland auch den Nachfahren der Opfer des Nationalsozialismus die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ihre Vorfahren wegen der nationalsozialistischen Politik die deutsche Staatsangehörigkeit verloren oder erst gar nicht bekommen haben.

      So haben die Nazis zB alle deutschen Juden ausgebürgert, sobald diese die deutsche Grenze überschritten hatten. Aber auch viele Sozialdemokraten, Kommunisten und kritische Schriftsteller und Künstler wurden in den 1930er Jahren ausgebürgert. Bekannte Beispiele sind Heinrich, Klaus und Erika Mann, Bertolt Brecht, Erich Ollenhauer, Hannah Arendt und viele andere. Die meisten von ihnen (und Tausende weniger Bekannte) wurden staatenlos. – Die Nachfahren all dieser Menschen haben einen Anspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft, weil die damalige Ausbürgerung als rechtswidrig angesehen wird.

      Viele Jahrzehnte wurde diese „Wiedergutmachung“ eher restriktiv gehandhabt, und viele Menschen fielen durch die Lücken. Zum Teil, weil es keine konkreten Verfolgungsmaßnahmen gegen sie im Einzelfall gab (oder diese nicht mehr nachzuweisen waren), zum Teil weil sie schlau genug gewesen waren, rechtzeitig zu fliehen (die Wiedergutmachung aber erst ab dem 30. Januar 1933 greift).

      Seit 2021 gibt es einen neuen § 15 StAG, der Fallgruppen erstellt, innerhalb derer man nicht mehr im Einzelfall eine politische Verfolgung nachweisen muss. In dem Ausgangsfall handelt es sich zB um ursprünglich österreichische und ab 1918 tschechoslowakische Juden, die in Deutschland gelebt hatten. Soweit wir wissen, haben sie nie die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen (was nach 1933 auch unmöglich gewesen wäre). Hier muss ich nach § 15 S. 1 Nr. 4 StAG „nur“ nachweisen, dass sie vor 1933 in Deutschland gelebt haben und nach 1933 deportiert wurden oder ausgewandert sind. In diesem Fall hatte es der Sohn des 1942 in Lodz/Litzmannstadt Ermordeten, der Urgroßvater meines Mandanten, 1937 geschafft, in die USA auszureisen. Er war zwar damals (so weit wir wissen) kein deutscher Staatsbürger, aber auch hier greift jetzt die „Wiedergutmachung“ mit dem Argument: Wenn nicht die Nazis gewesen wären, dann hätte diese Familie einfach weiter friedlich in Hamburg leben können und wäre irgendwann eingebürgert worden.

      Bei solch einem Fall kommt dazu, dass der Mandant zusätzlich zu dem Recht auf die deutsche Staatsangehörigkeit möglicherweise einen Anspruch auf die tschechische oder slowakische Staatsbürgerschaft hat. Aber das richtet sich nach dem Recht der jeweiligen Staaten, und da kenne ich mich nicht aus. Man kann ja nicht alles wissen.

      Jedenfalls ist das ein wirklich interessantes Rechtsgebiet, wenn man sich für Geschichte interessiert. Jede Familiengeschichte ist ein wenig anders. Oft lerne ich etwas Neues. Ich habe zB erst von einem Mandanten aus Costa Rica erfahren, dass deutsche Einwanderer dort während des Zweiten Weltkriegs interniert wurden. Und manchmal entdecke ich erstaunliche Dinge. Vor kurzem habe ich für einen Mandanten aus Rumänien, der immer dachte, sein Urgroßvater sei als von der Wehrmacht Zwangsrekrutierter im Zweiten Weltkrieg gefallen, entdeckt, dass dieser noch 20 Jahre danach in Deutschland gelebt hat. Da war der Schock in der Familie groß.

  2. Siewurdengelesen schreibt:

    Solche meist unerwarteten Dinge hauen einem schon mal die Füße weg für den Moment.

    Es gibt ja viele, die diesen Abschnitt der Geschichte vor allem aus Sicht der Schuld am liebsten für beendet erklären würden. Aber hier ist eben zu sehen, dass es nicht „vorbei“ ist und so etwas auch in die Zukunft greift, weshalb weiter an die Verbrechen der Beteiligten an diesem von Deutschland begonnenen Krieg erinnert werden muss. Das alles gerade jetzt, wo die Welt wieder von Machtgierigen und Diktatoren mit Kriegen überzogen wird, die über die kleinen hinauswachsen können, die nie aufgehört haben.

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