Der Himmel tobt, und ganz Deutschland ist aus dem Häuschen.
Ein großes Spektakel, noch dazu kostenlos und ohne Parkplatzsuche. Das verspricht Spaß für die gesamte Patchworkfamilie.
Wenn alle begeistert sind, werde ich immer skeptisch. Besonders vor dem Hintergrund der deutschen Erfahrung mit Massenhysterie. Aber dann dachte ich mir: Locker bleiben! Nicht jeder Sonnensturm muss gleich mit der Faschismuskeule bekämpft werden.
Außerdem hatte ich gehört oder gelesen, dass es diese Polarlichter sonst nur in Norwegen gibt. Das ist weit weg und auf absehbare Zeit unerschwinglich. Zumindest für mich. Viele wissen das nicht, aber ich bin ein armer Student. Ich frage mich, wie sich norwegische Studenten das Leben in Norwegen leisten. Wahrscheinlich gibt es da Bæføg.
Ich hatte mich also schon damit abgefunden, dass ich nie im Leben ein Polarlicht sehen würde. Aber wenn man um die 50 Jahre alt und auf dem absteigenden Ast des Lebensbaumes ist, findet man sich mit allerlei Dingen ab, die man nie mehr im Leben sehen wird. Pjöngjang, Port-au-Prince, Paderborn und eben auch die Polarlichter.
Dafür lebe ich in Chemnitz. Das ist auch eine ziemlich coole Stadt. Fast wie Pjöngjang.
Und jetzt schauen hier diese Polarlichter vorbei. Vielleicht weil wir nächstes Jahr Europäische Kulturhauptstadt sind. Na gut, dachte ich mir, wenn sich dieses Wetterleuchten schon auf den weiten Weg macht, dann sollte ich ihm guten Tag sagen. Beziehungsweise gute Nacht, denn die Dinger kommen ja immer reichlich spät, nach den Tagesthemen.
Ich habe also gut gegessen, ein paar Zigarren und einen Likör zurecht gelegt, und mich voller Vorfreude auf den Balkon gesetzt. Vierter Stock, super Aussicht übers ganze Erzgebirge. Das tolle am Leben im vierten Stock ist neben der Aussicht, dass es hier oben keine Mücken gibt. Außerdem kommen weniger Hausierer vorbei, weil sie das Hundegebell im zweiten Stock schon abschreckt.
Kamera hatte ich keine dabei, denn ich denke mir immer: Die Profis machen sowieso bessere Bilder, und ich selbst kann den Moment ohne diesen technischen Schnickschnack besser genießen. Ehrlich, ich kapiere nicht, wieso jeder Mensch von jedem Ereignis ein eigenes Foto braucht. Dafür gibt es doch am nächsten Tag die Zeitung. Außerdem geht viel von der Unmittelbarkeit des Erlebens verloren, wenn man ständig Metall und Plastik und Glas zwischen sich und die Welt hält. Mich nervt das zum Beispiel volle Kanne, wenn Menschen mich treffen und als erstes ein Foto machen wollen. Wie so ein Kopfgeldjäger.
Ein paar Stunden vergingen. Uhr hatte ich keine, aber drei Zigarren habe ich geraucht. So hat man früher die Zeit gemessen. Zumindest seit 1492, vorher gab es in Europa ja keinen Tabak. Deshalb nannte man es das finstere Mittelalter. Ist Euch schon einmal aufgefallen, dass das Mittelalter genau dann zu Ende ging, als Tabak und Schokolade nach Europa kamen?
Irgendwann wurde ich müde und ging ins Bett.
Gesehen hatte ich nichts.
Am nächsten Tag das gleiche Spiel. Irgendwann fragte ich mich, wie ich mir als armer Student so viele Zigarren leisten kann, und torkelte verwirrt ins Bett.
Gesehen hatte ich wieder nichts.
Am dritten Tag fiel mir in der prallen Mittagssonne auf, dass mein Balkon nach Süden zeigt. Diese komischen Lichter sind aber wohl eher im Norden zu sehen. Kein Wunder, dass das nicht funktioniert hat.
Aber egal. Es gibt Schlimmeres, als ein paar Stunden in den Himmel geguckt und die milde Frühlingsnacht genossen zu haben.

Links:
- Ich habe öfters Probleme mit Himmelsphänomenen.
- Noch skeptischer werde ich, wenn Menschen aus den Himmelskörpern irgendetwas für uns auf der Erde ableiten wollen.
Naja, ein å ist in Norwegen drin. Die Studis da können bei der Lånekassen einen Kredit aufnehmen, der Kredit oder Teile davon müssen nicht immer zurückgezahlt werden und die Zinsen sind unter 6% . https://lanekassen.no/en-US/gjeld-og-betaling/what-are-student-loans/
Das dachte ich mir doch!
Wenn sogar Deutschland das hat, hat Norwegen das erst recht. Die müssen ja immer so vorbildlich super sein, da oben im Norden. (Mit Ausnahme des Walfangs.)
Ich habe auch nichts gesehen, auch nicht im Norden. Dann hat mich eine Bescheidwissserin aufgeklärt, dass man mit der Handykamera Nachtmodus und lange Belichtungszeit einstellen muss. Und siehe da, es erschien auf den Fotos eine rötliche Wolke. Das wars hier im Nordwesten Deutschlands. Immerhin!
Ich bin nun aber doch desillusioniert, wenn ich die schönen bunten Bilder von überall sehe. Die allerwenigsten waren wohl mit bloßem Auge sichtbar. In Norwegen, Island usw. sollen die tanzenden grünen Schleier auch ohne Kamera erkennbar sein. Ob das stimmt?
Ich finde das auch einen großen Schmu.
Wenn man irgendwas tricksen muss, damit ein Foto von etwas entsteht, dass so eine nicht existiert, weil man 30 Sekunden zu einem Foto zusammenfügt, dann hat man eigentlich keine Polarlichter „gesehen“.
Und bei den Skandinaviern kann es am Alkohol liegen. Die sehen ja auch Kobolde und solche Dinge.
Tolles Spektakel so ein Sonnensturm … solange nicht eine Sonnensturmabteilung anmarschiert
Diese Gefahr droht eher vom Mond, wie wir seit „Iron Sky“ wissen.