#LawAndLit – meine Bücherauswahl

Als ich vor grauer Vorzeit – noch im letzten Jahrhundert, ja gar im letzten Jahrtausend – in Regensburg Jura studierte, gab es leider noch keine Vorlesung „Recht und Literatur“. Mittlerweile ist die „Law and Literature“-Welle aus den USA nach Europa geschwappt, und Universitäten oder zumindest einige Professoren versuchen, das Studium der Rechtswissenschaft, dem der Ruf der Trockenheit vollkommen zu Unrecht anhaftet, aufzulockern oder sich dadurch auch nur in dem übersättigten akademischen Markt eine interessantere Nische als das Recht der Windkraftanlagen zu schaffen. Selbst die NJW bringt einmal im Jahr eine Ausgabe zum Themenkomplex „Recht, Kunst und Literatur“. In den meisten Anwaltskanzleien wahrscheinlich direkt ins Archiv verbannt, war mir diese immer eine der liebsten Ausgaben.

Fühlte ich mich als literaturaffiner Jurist bisher immer genauso als Exot wie sich ein Literaturstudent mit einem Faible für den Besuch von Gerichtsverhandlungen fühlen muss, so bin ich jetzt durch eine Initiative der drei empfehlenswerten Blogs Buchguerilla, 54books und Texte und Bilder eines Besseren belehrt worden. Auch andere Juristen schreiben nicht nur gerne seitenweise, sondern lesen auch genauso gerne schöne, erbauliche, anspruchsvolle, anregende und alle anderen Arten von Literatur.

Die beiden haben ein „Recht und Literatur“-Projekt ins Leben gerufen, das sie zwar untypisch für Leser von Schiller, Kleist und Goethe, dafür jedoch umso typischer für Juristen sogleich mit einer Abkürzung versehen haben, die noch dazu die Twitter-Raute im Namen trägt: #LawAndLit. Aber vielleicht muß das ja heute so sein, damit überhaupt jemand darauf aufmerksam wird.

Da das Projekt von Juristen ausgeht, ist es natürlich bestens organisiert, strukturiert und mit einer Frist versehen. Bis zum 1. Februar 2014 (was nach § 188 I BGB bis zum Ablauf des 1. Februars 2014 bedeutet) haben die Teilnehmer mindestens eines der vorgeschlagenen oder alternativ ein selbstgewähltes literarisches Werk mit juristischem Bezug zu lesen und zu rezensieren.

Das führt zu dem, was jeder Leser kennt: die Qual der Wahl (Leser von Moby Dick kennen dazu noch die Qual des Wals). Meine Auswahl ist durch äußere Umstände begrenzt, da ich derzeit am südlichen Ende unseres Kontinents, in Sizilien, und damit weit weg von deutschsprachigen Gefilden und Bibliotheken weile. Ich bat also meinen in Deutschland verbliebenen Vater, seine Bibliothek auf passendes Lesematerial zu durchstöbern und das Gefundene auf den Spuren Johann Wolfang von Goethes und Johann Gottfried Seumes nach Sizilien zu versenden (der zeitgenössische Autor Harald Grill fehlt in dieser Aufzählung nur, weil er den umgekehrten Weg von Syrakus nach Regensburg gegangen ist).

Folgendes Foto zeigt das Ergebnis dieses literarischen CARE-Pakets, rechtzeitig zu dem von mir ansonsten ignorierten Weihnachten eingetroffen und gleichzeitig einen Überblick über die Wandlung der Titelseitengestaltung über die letzten Jahrzehnte gebend:

LawAndLit-AuswahlMein Auswahlprozess ging so vonstatten:

  1. Den Prozess von Kafka habe ich schon gelesen. Die anderen drei noch nicht.
  2. Außerdem wurden zu Kafkas Prozess schon ganze Dissertationen geschrieben, denen ich nun wirklich nichts Sinnvolles hinzufügen könnte.
  3. Von den verbleibenden drei Büchern sind Der Richter und sein Henker und Die verlorene Ehre der Katharina Blum auf der #LawAndLit-Vorschlagsliste.
  4. Bleak House wäre also mein eigener rebellischer Vorschlag. Charles Dickens beschreibt darin einen sich über Generationen hinziehenden Erbrechtsstreit.
  5. Bleak House ist mit Abstand am umfangreichsten. Die Taschenbuchausgabe hat über 1000 Seiten. Was dagegen sprechen könnte, sich dies aufzuhalsen, spricht in meinen Augen dafür, das Buch zuerst anzugehen. Wenn ich zügig bin, kann ich danach immer noch Der Richter und sein Henker oder Die verlorene Ehre der Katharina Blum lesen und rezensieren.
  6. Außerdem habe ich schon lange nichts mehr von Charles Dickens gelesen, habe aber sehr schöne Erinnerungen daran. Diese fetten Schmöker sind für mich Wohlfühlbücher: stark ausgeprägte Charaktere, verwickelte Geschichten mit mehreren Handlungssträngen, die sich am Ende zu einem Happy End zusammenraufen. Obwohl ich diesen Winter nicht vor dem Kamin verbringe, sondern auf der warmen Terrasse, paßt Charles Dickens hervorragend zu dieser Jahreszeit und zu dem damit einhergehenden gesteigerten Zigarrenkonsum.

Die Entscheidung für Bleak House ist also gefallen, und nachdem ich jetzt nach nur wenigen Tagen schon über 200 Seiten gelesen habe, bin ich froh über die Wahl. Die 1000 Seiten Bleak House werden sich auf jeden Fall leichter lesen lassen als der vielleicht ein Fünftel des Umfangs ausmachende Prozess.

Über Andreas Moser

Travelling the world and writing about it. I have degrees in law and philosophy, but I'd much rather be a writer, a spy or a hobo.
Dieser Beitrag wurde unter Bücher, Recht abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

5 Antworten zu #LawAndLit – meine Bücherauswahl

  1. Annegret schreibt:

    Ich bin gespannt auf „Bleak House“, denn ich kenne das Werk noch nicht.

  2. Literaturgequälter schreibt:

    Kafkas „Der Proceß“ habe ich entweder nicht gelesen oder erfolgreich verdrängt. Aber mir sind noch diverse andere Werke von ihm aus dem Deutschunterricht in Erinnerung. Auch wenn ich Bücherverbrennung im Allgemeinen ablehne, speziell mit dem historischen Hintergrund in Deutschland – im Fall, dass der Autor sich dies im Testament wünscht, sollte man dem nachkommen und den letzten Willen respektieren.
    Die Vorliebe der Deutschlehrer für die Behandlung der Kafkaschen Geschichten im Unterricht gehört meiner Meinung nach dringendst tiefenpsychologisch analysiert. (Kafka anhand seiner Werke auch, aber was nutzt das noch, bei einem Toten.)
    Dürrenmatt dagegen kann ich durchaus etwas abgewinnen, auch wenn mir „Die Physiker“ besser gefällt als „Der Richter und sein Henker“.

  3. texte und bilder schreibt:

    Sehr schöne Übersicht!

    Ein kleiner Hinweis: Nicht nur die Buchguerilla und 54books, sondern der ebenfalls hinter der Buchguerilla stehende Blog „Texte und Bilder“ (www.texteundbilder.com) zeichnen sich für das #LawAndLit-Projekt verantwortlich. Würde mich über eine Ergänzung freuen 🙂

    Danke für deine Teilnahme und viel Spaß bei Bleak House!

  4. Pingback: Verklagt mich doch! | Der reisende Reporter

Hier ist Platz für Kommentare, Fragen, Kritik:

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s