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Ob ich die englischsprachige Tour um 12 Uhr mitmachen könne, frage ich den Wärter vor dem eisernen Tor. Die enorme Gartenanlage der Bahai-Religion dominiert das Stadtbild von Haifa.
Das Wahrzeichen der drittgrößten Stadt des jüdischen Staates ist die Anlage einer anderen Religion, genauso wie das Wahrzeichen Jerusalems der Tempelberg mit den beiden Moscheen ist. In Tel Aviv hat nur der Strand religionsähnliche Bedeutung. Religionsfreiheit ist für die meisten meiner Leser nichts Bemerkenswertes, aber hier im Nahen Osten die absolute Ausnahme. In den Nachbarländern Israels werden Menschen dafür inhaftiert, verfolgt oder ermordet, wenn sie einer anderen als der gerade dominanten Strömung des Islam angehören. Auch deshalb sind die Bahai in Haifa gelandet.
„Das hier ist ein religiöser Ort. Nicht essen, keinen Kaugummi kauen, nicht rauchen“ leiert der dunkel uniformierte Wachmann herunter. Er und seine drei Kollegen tragen Schusswaffen im Holster. In meine Tasche guckt er nur kurz, dann scannt er mich. Sicherheitshalber bin ich 40 Minuten zu früh da. „Die Tour beginnt am oberen Ende“ erklärt er mir. Wir stehen am unteren Ende der hängenden Gärten. Kein Problem, mir bleiben ja noch 40 Minuten, ich laufe einfach die Treppen durch den Garten nach oben. Aus einem Besuch vor vielen Jahren ist mir in Erinnerung, dass oberes und unteres Ende dieses zugegeben steilen Hanges durch einen übertrieben gepflegten Park verbunden sind.
„Nein, Sie müssen die Straße nehmen und außenrum gehen.“ Na super, das dauert dreimal so lange. Die 700 Stufen können anscheinend nur von oben nach unten beschritten werden. Die Bahai tun immer ganz friedlich, weltoffen, versöhnend. In Wirklichkeit sind sie regelversessene Paragraphenreiter. Das hätte man sich bei dem pingelig gepflegten Rasen auch denken können. Eine Religion für Spießer, durchaus eine Marktlücke im ansonsten eher chaotischen Nahen Osten.
Ich schnaufe die Serpentinenstraße dem Himmel entgegen. Auf mittlerer Ebene gibt es einen weiteren Eingang. Die gleiche Prozedur. Kann ich von hier aus durch den Park nach oben gehen? Nein, das ist verboten. Zu Fuß werde ich es nicht mehr bis 12 Uhr schaffen. Ein Taxifahrer (nicht ganz zufällig bereitstehend) bietet die Fahrt für 40 Schekel (fast 10 Euro) an. Da komme ich lieber morgen mit dem Bus. Jetzt ist mir die Lust vergangen und ich mache mich stattdessen auf die Suche nach der Höhle des Propheten Elija. Ich werde sie finden, aber das soll einem separaten Bericht vorbehalten bleiben.
Am nächsten Tag gibt es keine Tour weil Mittwoch ist. Das ist in Ordnung. Jede Religion muss mindestens einen arbeitsfreien Tag pro Woche anbieten, sonst kann sie im Wettbewerb gegen andere Gläuben (für die Entwicklung dieses Plurals ist die glaubenspluralistische Zeit gekommen) nicht bestehen.
Am 21. März komme ich wieder nach Haifa. Diesmal ist wegen Nouruz geschlossen, dem Neujahrsfest, das an seinem persischen Datum gefeiert wird. Neujahr zum Frühlingsanfang ist tatsächlich sinnvoller als in der Mitte des Winters, wobei für unsere Freunde auf der Südhalbkugel beide Alternativen keinen Sinn ergeben.
Am Sonntag, den 22. März, ist es dann aber endlich so weit. Ich stehe rechtzeitig auf, erklimme zum dritten oder vierten Mal während meines Besuchs in Haifa den Berghang über der Stadt und finde mich rechtzeitig vor 12 Uhr am oberen Tor ein. Ich werde abgewiesen. Für die geführte Tour gibt es ein extra Tor, ein paar hundert Meter weiter unten. Also wieder zurück. 11:30 Uhr. „Happy Nouruz“ wünsche ich der dortigen Wärterin, und zum ersten Mal huscht ein Lächeln über das Gesicht eines Mitglieds der Bahai-Armee. Die Registrierung für die englischsprachige Tour beginne jedoch erst um 11:45 Uhr, sagt sie, ihr blaues Clipboard mit beiden Händen fest vor die Brust haltend. Minutengenaue Vorschriften. Unter Palmen und Pinien in der warmen Sonne, mit dem Blick aufs türkisblaue Mittelmeer, fühle ich mich wie in einem deutschen Finanzamt.
Passend dazu steht auf der anderen Straßenseite ein Obelisk, der an den Besuch von Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1898 erinnert.
Auf einer Tafel findet sich neben den allgemeinen Ermahnungen, sich anständig zu kleiden, nicht zu rauchen und keine Waffen zu tragen, der Warnhinweis, dass die mehrere hundert Stufen für Besucher mit Knieproblemen zu anstrengend sein können. Wenn die Bahai hier ständig rauf und runter laufen, gibt es unter ihnen wahrscheinlich keine Übergewichtigen. Die weitere Warnung, immer auf seine Schritte zu achten, wird mit einer Portion Eigenlob damit begründet dass „die Schönheit der Gärten leicht ablenken kann“. Ein Straßenhund läuft vorbei, mit einem T-Shirt im Maul. Tiere sind natürlich auch verboten.
Jetzt geht es los. Die Wärterin rattert noch einmal das Regelwerk herunter. „Das hier ist ein heiliger Ort. Kein Essen. Keine Kaugummis. Nicht rauchen. Nur Wasser zum Trinken, alle anderen Getränke sind verboten. Fotografieren erlaubt, aber nur von den Punkten aus, an denen die Gruppe anhält.“ Vorschriften wie beim Besuch eines von Mormonen geführten Militärstützpunkts. Vorname und Herkunftsland werden erfragt und registriert. Da nichts überprüft wird, könnte man der Bahai-Statistik eine Freude bereiten, indem man sich als Tongalese oder Bhutaner ausgibt.
Marina, unsere Führerin, ist außer Atem, als sie ankommt. Gerade hat sie noch die Tour auf Hebräisch gegeben. Die Treppen muss sie trotzdem nicht hochlaufen, dafür ist zwischen den Touren keine Zeit. Im Schnelldurchlauf geht es jetzt treppab und durch die Geschichte der Bahai.
Es begann 1844 in Persien. Der „Bab“, wie sich ein Herr Ali-Muhammed ab diesem Tag nannte, behauptete eine göttliche Offenbarung. Die Schiiten und der persische Staat fanden das nicht so lustig, guckten ein paar Jahre zu und verhafteten den Bab 1847, um ihn 1850 zu erschießen. Das war aber nur der Beginn der vom Bab gestifteten Religion, denn er hatte 18 Jünger (50% mehr als Jesus, womit er jedes Fußballspiel gegen die Christen gewonnen hätte).
Unter diesen Jüngern wurde Baha’ullah zum Bekanntesten, was ihm wiederum Gefängnis in Persien einbrachte. Da sein Vater Minister war, wurde er nicht exekutiert sondern exiliert. Stationen des Exils waren Bagdad, Istanbul, Erdine, Alexandria, Port Said und schließlich Akko im heutigen Israel, damals wie alle vorangegangenen Stationen auf dem Exilsweg Teil des Osmanischen Reichs.
Baha’ullahs Schrein in Akko ist der wichtigste Wallfahrtsort der Bahai, in dessen Richtung alle 5 Millionen Bahai jeden Tag einmal beten, wie Marina versichert. Als ich auch ihr „Happy Nouruz“ wünsche, stellt sie sofort klar, dass sie selbst gar keine Bahai sondern einfach eine Fremdenführerin ist. Nur 30% der Führer seien Bahai. Wenn man bei 5 Millionen Gläubigen nicht genug Menschen findet, die in einem schönen Park in einer schönen Stadt in einem Land, in dem sie (anders als auch jetzt noch im Iran) nicht wegen ihrer Religion verfolgt werden, Touristengruppen führen wollen, dann sind es vielleicht gar nicht 5 Millionen, denke ich mir. Sind die Bahai das Griechenland der Religionen?
Der Schrein in Haifa, das Marmor- und Granitbauwerk mit der goldenen Kuppel, beherbergt seit 1909 die Überreste des Bab. Die Gärten wurden erst 2001 endgültig fertiggestellt. Der Berg Karmel wurde als Ort auserwählt, weil hier vor 2.900 Jahren der oben bereits erwähnte Prophet Elija gewohnt hatte, als dessen Reinkarnation sich der Bab wähnte. Elija hatte Mitte des 19. Jahrhunderts viel zu tun, denn schon 1836 hatte er sich mit dem Mormomengründer Joseph Smith getroffen, dem allerdings Gott (im wörtlichen Sinn) und die Welt erschienen.
Oberhalb und unterhalb des Schreins sind jeweils neun Terrassen angelegt. Das ergibt zusammen 18 Terrassen, wie die Zahl der Jünger. Sehr kreativ. Marina erzählt jetzt, dass das Bahaitum eine monotheistische Religion sei, die alle anderen Propheten akzeptiere und das Erscheinen weiterer Propheten nicht ausschließe. Alle Menschen und insbesondere Männer und Frauen seien gleich, wobei letzteres für die Mitte des 19. Jahrhunderts im Nahen Osten tatsächlich revolutionär war. Oder, wenn ich mich in der Region so umsehe, immer noch ist.
Links und rechts der polierten Treppen plätschert Wasser in einem 10 cm breiten Kanal Stufe für Stufe hinab. Ein Blumenmeer, das jede Landesgartenschau in den Schatten stellt. Wenn man zu verschiedenen Jahreszeiten kommt, erlebt man unterschiedliche Farben. Weil Baha’ullah im Gefängnis kein Licht gehabt habe, sei dieses Element besonders wichtig. 2.200 Lampen erleuchten das Gelände nachts.
Das nächste Gebäude, das wir wie alle anderen Gebäude nur von weitem bestaunen dürfen, ist eine Akropolis mit türkisgrünem Dach. Ich kann mir nicht helfen, aber das „Universale Haus der Gerechtigkeit“, das Parlament der Bahai, erinnert mich zumindest aus dieser Perspektive ans Legoland.
Neun Mitglieder werden alle fünf Jahre gewählt. Es gäbe keine Priester und keine religiösen Führer, und das neunköpfige Gremium solle sicherstellen, dass sich kein einzelner Führer herausbilde, erklärt Marina. Was sie nicht sagt, sondern ich mir später selbst zusammenrecherchieren muss, ist dass alle neun Mitglieder derzeit Männer sind. Das mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau muss man ja nicht übertreiben. Ich lese, dass Frauen von der Wahl ausgeschlossen sind und dass der Grund hierfür irgendwann in der Zukunft offenbart werde. – Und da wundern sich Religionen, dass man sie nicht ernst nehmen kann.
Zwischen den Blumenbeeten geht man auf angenehm knirschenden roten Ziegelbruchstücken. Zusammen mit dem Blick aufs Meer ergeben sie fast das Gefühl eines Strandspaziergangs.
Die Tierfiguren auf dem Treppengeländer – vor allem die Adler fallen mir auf – haben laut unserer Führerin keine religiöse Bedeutung. Also einfach nur Kitsch. Ich glaube, Disneyland wurde zur gleichen Zeit gebaut.
Marina erzählt jetzt, dass israelische Staatsbürger nicht Bahai werden dürfen. Nicht israelische Gesetze verbieten dies, sondern die Regeln der Religion. Als diese sich damals noch im Osmanischen Reich ansiedelte, wollten die Bahai-Chefs dem Land, das ihnen Schutz bot, zusichern, den religiösen Status Quo nicht zu stören. Also schlossen sie die Möglichkeit der örtlichen Bevölkerung, dem Bahai-Glauben beizutreten, aus. Die aktuellen Regeln der Bahai besagen, dass Anfragen von israelischen Besuchern zwar zu beantworten seien, aber dass dies so geschehen müsse, „dass kein weitergehendes Interesse geweckt wird“.
Auch die englischsprachige Führung scheint nach dieser Richtlinie abzulaufen. Schnell und lustlos werden Daten, Namen und Fakten heruntergerattert. Beim „Any questions?“ am Ende eines jeden Vortragsblocks schwingt das „DON’T!“ drohend mit. Mittlerweile haben wir den Schrein erreicht, aber der ist nur von 9 bis 12 Uhr geöffnet. Es ist also unmöglich, ihn im Rahmen der Führung zu besichtigen. Sehr logisch. Dann sehe ich mir eben die Toiletten an. Diese sind zum Glück nicht aus Persien.
Das Ganze ist zugegeben ein sehr schöner Park. Eine Säkularisierung täte ihm gut.
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Es klingt so als würdest du die Bahai nicht unbedingt mögen
Unverständnis ist vielleicht der bessere Begriff, wobei sich das bei mir auf alle Religionen erstreckt. Und die Geschlechterdiskriminierung, noch dazu absurd begründet, bringt nicht gerade einen Sympathiebonus.
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Hey
Seit wann gibts bei den Bahai Geschlechterdiskriminierung ?
Schon immer, weil es auf ein Dekret von Abdul-Baha zurückgeht, der Frauen die Wahl zum Universalen Haus der Gerechtigkeit verboten hat.
Einen Grund hat er nicht angegeben, sondern apodiktisch behauptet, dass dieser Grund irgendwann offenbart werden würde.
Die aktuellen Bahai-Brüder könnten sich eigentlich darüber hinwegsetzen, aber es ist wohl bequemer, auf abstruse Schriften aus vergangenen Zeiten zu verweisen. Tja, Religion halt…
„Die aktuellen Bahai-Brüder“ demokratisch gewählt auf fünf Jahre können sich in der Tat nicht darüber hinwegsetzen. Sie würden wohl gerne, schon um Kommentare wie den oben zu vermeiden. Immerhin sind ja Tausende Frauen in Iran für diesen Glauben gestorben. Es werden vor allem auch gebildete Frauen immer wieder noch heute aktuell zu Jahrzehnten Gefängnis bestraft in Iran, wo die Bahai in der Verfassung nicht geschützt sind, weil sie sich durchgehend seit 1844 friedlich für Gleichberechtigung einsetzen und Religion ohne Priesterkaste.
Ich will mit meiner Religionskritik (die ja nicht nur die Bahai betrifft) auch keinesfalls die Verfolgung dieser Religionsgruppen kleinreden.
Baha’i-Prinzipien sind, es gibt keine Karrieren innerhalb der Gemeinschaft und keinen Wahlkampf um demokratisch gewählte Positionen. Außer um sich in liebevoller Geisteshaltung einzusetzen für die Nächsten, die Nachbarn, die Menschheit, welchen besseren Glauben könnten wir alle finden in unserer so andersartigen Gegenwart? Und ja, es ist ein falscher Glaube, Gott zu bitten für alles und dann zu warten. Tat-Glaube vereint die Baha’i. „Eine Stunden Nachdenkens sind wertvoller als 70 Jahre fromme Andacht“.
Ist das noch Religion oder schon Anarchie?
Eine faire weltweite ‚Ordnung‘ zu entwickeln ist Auftrag des Religionsstifters Baha’u’llah. Das Universale Haus der Gerechtigkeit in Haifa hat dazu 1985 eine erläuternde Botschaft verbreitet, die Verheißung des Weltfriedens. https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Verhei%C3%9Fung_des_Weltfriedens . Der Text eröffnet mit der Vision, dass der Weltfriede nicht nur möglich, sondern unausweichlich sei. Dabei stünden wir vor der Wahl, diesen Frieden jetzt durch einen konsultativen Willensakt zu errichten, oder dass wir später durch unvorstellbare Schrecken zu einer Einigung gezwungen würden. Die Botschaft wendet sich „an die Völker der Welt“ und beschreibt wesentliche Voraussetzungen für Frieden und Wohlstand. Baha’i versuchen in Zusammenarbeit mit allen Gutgesinnten neue soziale Techniken einzuführen, die ein faire Ordnung möglich machen. Bahai’i-Beratung ist ein bedeutender Teil neuer sozialer Techniken, auf die nicht verzichtet werden kann. Die Vielfalt menschlicher Meinungen wird in diesem reglementierten Ablauf der Entscheidungsfindung Augenblicken zugeführt, wo die Vielfalt der Meinungen aufeinander knallen aber eben keine Menschen. Dass es das Bahaitum trotz Verfolgungen noch gibt verdankt es auch dieser Technik. In vielen erfolgreichen Unternehmen übrigens werden diese Techniken deshalb auch längst realisiert.
Wenn jemand sagt, dass auf etwas „nicht verzichtet werden kann“, dann verzichte ich gerne.
Überhaupt verzichte ich gerne auf jegliche religiöse oder esoterische Dampfplauderei, ebenso wie auf Management-Bla-Bla.
„Erfolgreiche Unternehmen“ mit „neuen sozialen Techniken“ gehen mir nämlich noch mehr auf den Senkel als alle Sekten dieser Welt.
Aber eigentlich ist der Kapitalismus eh nichts anderes als eine Religion.
Ein Film zu Baha’u’llah erklärt die neue Ordnung in der Welt, die angestoßen wird von Baha’i in ihren Nachbarschaften rings um den Globus. https://www.bing.com/videos/search?q=film+Deutsch+g%c3%a4rten+bahai&&view=detail&mid=D6FD6477C6CFD18693B0D6FD6477C6CFD18693B0&&FORM=VRDGAR&ru=%2Fvideos%2Fsearch%3Fq%3Dfilm%2BDeutsch%2Bg%25c3%25a4rten%2Bbahai%26FORM%3DHDRSC4