Die Argumente gegen die Gleichberechtigung Homosexueller

Zum heutigen Internationalen Tag gegen Homophobie versuche ich, mich den Argumenten derer zuzuwenden, die gegen die Gleichberechtigung Homosexueller streiten. Kein leichtes Unterfangen, denn stichhaltige Argumente gegen diese Gleichberechtigung oder das Recht auf gleichgeschlechtliche Ehe sind schwer aufzutreiben. Ich habe noch nie verstanden, was Heterosexuelle beispielsweise einbüßen, wenn Homosexuelle ebenfalls heiraten dürfen.

Aber dann nahm ich 2013 an der Baltic-Pride-Parade in Litauen teil und hatte Gelegenheit, den Argumenten der Gegendemonstranten zu lauschen. Die Gegner der Gleichberechtigung Homosexueller hatten Monate Zeit, um sich auf dieses jährliche Ereignis vorzubereiten, sie waren untereinander koordiniert und traten mit einheitlichen Plakaten auf, sie entschieden sich zur öffentlichen Darbietung ihrer Argumente, und sie wussten, dass sie es damit ins Fernsehen, in die Zeitungen und in diesen Blog schaffen würden. Also nehme ich an, dass sie alles daran gesetzt hatten, ihre allerbesten, durchdachtesten und überzeugendsten Argumente zu präsentieren.

Dieser Mann hatte – wie viele andere auch – gar kein grundsätzliches Problem mit der Gleichberechtigung Homosexueller, er war nur gegen den öffentlichen Aufzug durch die Stadt. Die Inschrift auf seinem Plakat lautet „Homo-Parade Nein Nein Nein Nein“.

Baltic Pride no no no noMan könnte geneigt sein, das Schreien von „Nein Nein Nein Nein“ als einen kindischen Ersatz für ein gutes Argument abzutun, aber das Argument liegt in dem gewählten Symbol: Etliche Gegendemonstranten waren offensichtlich besorgt über die Sicherheit derer, die an dem Marsch teilnahmen, wie das gewählte Symbol zeigt. Es illustriert, wie ein Teilnehmer sich zwecks Binden seiner Schnürsenkel bückt und der hinter ihm Marschierende dabei aus Versehen gegen ihn stößt. Dieses Symbol fand sich auf vielen der Protestplakate, und ich bin aufrichtig dankbar für diesen Hinweis, unsere Augen offen zu halten und auf unsere Füße zu achten, um Unfälle zu vermeiden. Vielen Dank!

Die Männer von der Gesundheitsberatung warnten uns auch, während des Umzuges vorsichtig zu sein, um uns nicht mit Krankheiten zu infizieren.

Stop AIDS Baltic PrideEs muss hier jedoch angemerkt werden, dass das Risiko einer AIDS-Infektion während eines öffentlichen Umzuges sehr gering ist, solange man keinen der anderen Teilnehmer um eine Bluttransfusion bittet. Komischerweise ist die AIDS-Rate gerade in den Ländern am höchsten, die sich als besonders homophob hervortun, was nahelegt, dass gesellschaftliche und medizinische Rückständigkeit gerne Hand in Hand Richtung Mittelalter marschieren.

Dann gab es diejenigen, die gegen die Europäische Union waren, womit sie wahrscheinlich ihren Widerstand gegen EU-Zahlungen an Litauen zur Verbesserung der dortigen Infrastruktur und gegen die Freiheit der Litauer, überall in Europa zu reisen, zu arbeiten, zu studieren und zu leben ausdrücken wollten. Oder sie sind vielmehr ereifert über andere Europäer, die – wie ich – nach Litauen ziehen.

against EU Baltic Pride

Was das mit gleichen Rechten für alle sexuellen Orientierungen zu tun hat? Keine Ahnung.

Andere Gegendemonstranten hingegen waren sehr europäisch und gaben mit ihren Spanischkenntnissen, ihrer Buntstiftsammlung und ihrer Obsession mit Penissen an.

No pasaran Baltic prideDas Plakat links auf dem nächsten Foto warnt vor den Gefahren der Überbevölkerung, die von heterosexuellen Paaren ausgeht, die immer und automatisch zwei Kinder produzieren, und zwar immer einen Jungen und ein Mädchen. Nur komisch, dass die Bevölkerung Litauens dennoch rapide abnimmt.

animal poster Baltic PrideDas Plakat rechts bringt den Themenkomplex Tiere zur Sprache, ein von den Gegendemonstranten immer wieder bemühtes Motiv. Ein Herr brachte sogar eine Ziege mit.

goat Baltic Pride

Soweit ich das verstand, waren die Landwirte besorgt, dass Aktivisten für Schwulenrechte ihre Tiere zum Schwulwerden überreden und diese sich dann nicht mehr fortpflanzen würden. Allerdings war es angesichts dieser Befürchtung unlogisch, dass die Bauern ihre Tiere zum Beobachten der Parade mit in die Stadt brachten. Derartige Ängste sind übrigens vollkommen unbegründet, denn solange Schwulen und Lesben grundlegende Menschen- und Bürgerrechte verweigert werden und sie sich über Ausgrenzung und körperliche Gewalt sorgen müssen, haben sie wirklich Wichtigeres zu tun als sich mit Nutztieren zu unterhalten.

Diese beiden Jungs waren niedlich mit ihrem Aufruf, „überzulaufen“, wie wenn es um die Rivalität zwischen zwei Fußballvereinen ging. Ich bezweifle aber, dass der Appell erfolgreich war. Mit fortschreitender Dauer der Veranstaltung schien es mir eher so, dass immer mehr Menschen zur Baltic Pride überliefen, nachdem sie merkten, dass wir Aktivisten für die Gleichberechtigung ganz normale Menschen und nicht die Freaks sind, als die uns unsere Gegner zu porträtieren versuchten.

Defect Baltic Pride

In Litauen ist keine Demonstration vollständig, wenn nicht auch die Nationalisten auftreten. Warum benutzen Nationalisten und Nazis nur überall die gleichen rot-weiß-schwarzen Farben für ihre Flaggen?

nationalist protesters Baltic Pride

Und dann waren da noch diese zwei Mädchen, eine von ihnen (rechts im Bild) in traditioneller christlicher Tracht, die vorgaben, dass Litauen ein christliches Land sei. Abgesehen von der Tatsache, dass Litauen das letzte Land in Europa war, das christianisiert wurde und dass dort auch eine Menge Nicht-Christen leben, hört es sich eher nach den Taliban an, die eigene Religion zum Maßstab staatlicher Politik machen zu wollen. Und wenn selbst der Papst toleranter gegenüber Homosexuellen ist als man selbst, dann steht man definitiv auf der falschen Seite der Geschichte.

Lithuania Christian Land Baltic PrideDiese beiden Jungs schienen zu wissen, wovon sie sprechen, während sie ihr Poster „Sodomie führt in die Hölle“ hochhielten.

Sodom Baltic Pride

Ob dem “Rettet die Familie”-Herren wohl auffiel, wie gut sein rosafarbener Regenschirm zu einem Protest gegen eine Veranstaltung für Schwulenrechte passte?

pink umbrella Baltic Pride

„Traditionelle Familienwerte“ wurden jedoch von diesem Vater repräsentiert, der seinem Sohn vorführte, wie man ein aufrichtiger, toleranter, friedlicher und mitfühlender Bürger wird.

father and son Baltic Pride

father and son 2 Baltic PrideJawohl, das ist genau die Art guter, traditioneller Elternkunst, die verteidigt werden muss gegen diese „Homosexuellen, die den Rest der Gesellschaft mit ihrer Propaganda indoktrinieren wollen“.

Ich fand es äußerst verwunderlich, dass keiner der „traditionelle Familienwerte“ predigenden Menschen tatsächlich als Familie anwesend war. Es waren entweder alleinstehende Männer, die von ihren Frauen verlassen worden waren, oder Gruppen von mehreren Jungs oder Gruppen von mehreren Mädchen. Oder eben mit Tieren. Sehr verdächtig.

Also, habt Ihr irgendwelche überzeugenden Argumente gegen Gleichberechtigung für Homosexuelle gefunden? Nein, ich auch nicht.

(To the English version of this article. – Dort finden sich in den Kommentaren noch weitere „Argumente“.)

Über Andreas Moser

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6 Antworten zu Die Argumente gegen die Gleichberechtigung Homosexueller

  1. Pingback: Baltic Pride: The Arguments against Gay Equality | The Happy Hermit

  2. American Viewer schreibt:

    Wo bestehen denn noch konkret Defizite in westlichen Ländern? In den letzten Jahren las man im Grunde nur noch von Steuervergünstigungen, die man gerne hätte. Und von Religiösen, die dazu gezwungen werden sollen die Torten für die entsprechenden Hochzeiten zu backen, obwohl sie das aus Glaubensgründen nicht können.

    Ich glaube, das hilft der Bewegung nicht weiter, wenn immer mehr Menschen den Eindruck gewinnen, dass die Forderungen unverschämt, grotesk oder gar selbst unbarmherzig intolerant werden.

    • Andreas Moser schreibt:

      Solange heterosexuelle Paare die Steuervergünstigungen (z.B. Ehegattensplitting in Deutschland) bekommen und gleichgeschlechtliche nicht, ist diese Forderung nur eine nach Gleichberechtigung. Das ist nicht unverschämt.

      Beim Adoptionsrecht gibt es auch noch keine volle Gleichberechtigung (was zumindest im Falle der Sukzessivadoption 2013 vom BVerfG als verfassungswidrig erklärt wurde).

      Diese Kuchengeschichten habe ich bisher nur aus den USA gehört. In Europa wird das wohl eher ohne Rechtsanwälte gelöst, indem man (a) zu einem anderen Bäcker geht, und (b) im Bekanntenkreis oder öffentlich zum Boykott der Bäckerei aufruft.

      Was mich aber auch immer wundert: Welche Religion verbietet denn das Verkaufen von Kuchen an gleichgeschlechtliche Paare, hat aber kein Problem damit, Kuchen an Andersgläubige, Atheisten, Vorbestrafte und andere Menschen, die gegen die 10 Gebote (denn es handelt sich anscheinend meist um christliche Bäcker) verstoßen. Deswegen nehme ich das religiöse Argument niemandem ab, denn selbst nach der konservativsten Auslegung der Bibel gibt es schlimmere Sünden als gleichgeschlechtlich zu heiraten. Solange Konditoren nur bei genau diesem einen Aspekt ein Problem haben, sieht es mehr nach ganz normaler Diskriminierung aufgrund geschlechtlicher Orientierung aus. Und die ist Unternehmen eben gesetzlich verboten.

    • American Viewer schreibt:

      Ehegattensplitting in Deutschland

      Dass diese Vergünstigung auf ein Kindersplittung umgestellt werden sollte, fordern in DL mittlerweile sogar linke Parteien. Ein schlechtes Gesetz wie das Ehegattensplittung auch noch auszudehnen, macht hingegen keinen Sinn.

      Adoptionsrecht

      Dass Homosexuelle einen Malus bekommen, wenn es darum geht „fremde“ Kinde zu adoptieren, lässt sich sicherlich begründen. Dass es Probleme bei „eigenen“ Kindern gibt, ist nicht in Ordnung. Aber man sieht an der Auswahl der Themen, dass es bei echten Diskriminierungen oft nur noch um Themen geht, die in der Realität nur sehr wenige Menschen betreffen.

      In Europa wird das wohl eher ohne Rechtsanwälte gelöst, indem man (a) zu einem anderen Bäcker geht.

      Das ist auch der normale Weg. Man muss schon sehr weltfremd sein, wenn man jemanden zu so etwas zwingen will. Aber es gibt offenbar immer mehr Leute, die so extrem denken. Mit Liberalität hat das nichts mehr zu tun, da schlagen Dinge in ihr Gegenteil um.

      Was mich aber auch immer wundert: Welche Religion verbietet denn das Verkaufen von Kuchen an gleichgeschlechtliche Paare, hat aber kein Problem damit,…

      Religionen und religiöse Menschen verhalten sich nicht logisch. Das liegt in der Natur der Sache. Religionen ihre Unlogik vorzuwerfen, ist in diesem Zusammenhang kein logisches Argument.

      Solange Konditoren nur bei genau diesem einen Aspekt ein Problem haben

      Dass die Religiösen nicht extrem genug sind, ist wohl kaum ein ernst gemeintes Argument.

  3. kunstschaffende schreibt:

    Der schlimmste Irrtum sind die Religionen und die Religiösen. Vor lauter Blindheit ihrer Überzeugungen vollbringen sie das größte Unrecht.

    • Andreas Moser schreibt:

      Und sie können nie erklären, wieso ihre eigenen religiösen Überzeugungen für den Rest der Gesellschaft geten sollen, der diese Religion nicht teilt oder sie anders interpretiert/ausübt oder ihr eine andere/geringere Bedeutung zuschreibt.

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