Meine größte Reise-Fehlentscheidung

Während meines Jura-Studiums wollte ich ein Praktikum beim Auswärtigen Amt absolvieren, um mir mal den Diplomatischen Dienst anzusehen. Natürlich nicht in Bonn (ja, so lange liegt das zurück), sondern in einer der Auslandsvertretungen.

Ich versandte also meine Bewerbungsfaxe (siehe oben) rund um die Welt und erhielt im Gegenzug Dutzende von Absagen, die höchste Telefonrechnung meines Lebens und drei Zusagen. Die Zusagen stammten von den Konsulaten/Botschaften in

  • Boston, USA,
  • New York, USA, und
  • Sanaa, Jemen.

Ich entschied mich für New York. Der Flug in die USA war billiger als der Flug in den Jemen, in den USA kannte ich mich aus, ich kannte das Rechtssystem, auch aus einem vorangegangenen Praktikum bei der Staatsanwaltschaft in Las Vegas, Nevada, mein Englisch (fließend) war besser als mein Arabisch (null), so dass ich mich bei der Arbeit sinnvoll einbringen konnte anstatt nur zuzusehen oder herumzusitzen. Außerdem war ich noch nie an der amerikanischen Ostküste gewesen.

Die Zeit in New York war extrem spannend. Ich war im September 1998 dort, während der UNO-Generalversammlung, ich traf den damaligen Außenminister Klaus Kinkel, und ich konnte mir interessante Aufgaben aussuchen, die mir Recherchen außerhalb des Büros erlaubten. Ich besichtigte Gefängnisse, suchte nach untergetauchten jungen Deutschen, war nachts im Polizeiauto in der Bronx unterwegs, brachte ihr Dreimonatsvisum überschritten habende Deutsche mit sanften Drohungen zum Flughafen zurück und lernte Auswanderer kennen, die vor den Nazis geflohen waren.

Und überhaupt, New York! Für jemanden aus einem kleinen Dorf in Bayern war das die richtig große Welt. Ich habe nie so wenig geschlafen wie in jenem Monat. Die mitgeschleppten Bücher über Zivil- und Verwaltungsrecht blieben ungelesen, dafür sah ich Saving Private Ryan in einem Kino voller Weltkriegsveteranen, aß mich durch Chinatown, italienische, mexikanische Restaurants und die Hot-Dog-Stände im Central Park und besuchte einen Flugzeugträger.

Central Park

Trotzdem war die Entscheidung falsch.

Anstatt die einfache, naheliegende, logische, auch bequeme Wahl zu treffen, hätte ich mir überlegen sollen, wohin ich später sowieso noch reisen können würde. Und tatsächlich war ich in späteren Jahren noch einmal in New York und auch in Boston. In den Jemen hingegen bin ich bis heute nicht gekommen, auch weil er als Reiseziel nicht leichter zugänglich geworden ist. Immer wenn ich Bilder aus Sanaa sehe und Berichte über Entführungen und Kriege im Jemen höre, bereue ich diese verpasste Chance.

Sanaa

Wenn bei Euch die nächste Reise ansteht, traut Euch doch mal, etwas Neues zu sehen! Erweitert den Horizont! Die Welt ist so groß, so vielseitig, so interessant, muss es da wirklich immer der gleiche Campingplatz in Italien oder die gleiche Ferienwohnung im Allgäu sein?

Die Begegnung mit dem Unbekannten, dem Neuen, auch dem anfänglich Unverständlichen ist etwas Erfrischendes. Die Erfahrung, mal wieder etwas Neues zu lernen, Ängste zu überwinden, Ansichten zu revidieren, hält jung, intellektuell wie emotional. Der Geist verkümmert doch, wenn er nicht ständig neue Herausforderungen bekommt.

Die meisten meiner Studienkollegen absolvierten ihr Praktikum übrigens beim Amtsgericht in Regensburg, in Straubing oder in Amberg. Nun ja.

Über Andreas Moser

Travelling the world and writing about it. I have degrees in law and philosophy, but I'd much rather be a writer, a spy or a hobo.
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9 Antworten zu Meine größte Reise-Fehlentscheidung

  1. Jim Kopf schreibt:

    Du hast so Recht! Auch wenn sich New York erst mal nach keiner wirklichen Fehlentscheidung anhört, aber wie du schon sagst, das wirklich aufregende und unbekannte und die horizonterweiternden Erlebnisse warten an anderen, „ungewöhnlichen“ Orten… 🙂

  2. NYC_owns_my_Heart schreibt:

    Sehr interessant zu Lesen.

    Ich wuerde NYC zwar nie als Fehlentscheidung sehen aber verstehen absolut Deinen Punkt.

    Gruesse aus New York
    http://nycomheart.com/

    • Andreas Moser schreibt:

      Wie gesagt, nichts gegen New York, aber in New York war schon jeder und sein Onkel. Im Jemen war noch überhaupt niemand, den ich kenne. Und dann ist Sanaa halt doch etwas ganz anderes als eine westliche Großstadt, von der man in seinem Leben Dutzende sehen wird.

      Allerdings will ich gerne auch zugestehen, dass New York unter den Großstädten wiederum etwas Besonderes ist. Bunter und internationaler als die meisten europäischen und nordamerikanischen Städte, der Central Park ist einmalig und eine städteplanerische Wohltat, für die man Gott jeden Tag danken möchte (wenn ich nicht Atheist wäre) und die unterschiedlichen Viertel mit den ganz unterschiedlichen Charakteren, aber alles verbunden mit einem recht guten Nahverkehr.

    • NYC_owns_my_Heart schreibt:

      Ja genau so ist es. Mein Papa ist zum Beispiel aus dem Iran und ich hatte schon 3 mal die Moeglichkeit dort hinzu reisen. Sicherlich auch nicht Jedermans erstes Traumreiseziel. Ich habe mir als Ziel die ganze Welt gesetzt…Mal sehn wie weit ich kommen 🙂

      Happy Traveling
      Sari

    • Andreas Moser schreibt:

      Ahh, der Iran, das ist für mich immer noch das interessanteste Land, in dem ich war. Ich war zweimal dort, allerdings bisher nur in Teheran, Isfahan und Schiras. Ein schönes, spannendes, interessantes Land, in dem man selbst als Ausländer ganz schnell Anschluss findet und so viel Neues lernt.

      Leider endete meine letzte Reise während der Grünen Revolution im Juni 2009 im Evin-Gefängnis, so dass ich jetzt erst mal auf eine deutliche Liberalisierung des politischen Systems warte, bevor ich wieder in den Iran reise. Aber er bleibt ein Land, in dem ich gerne mal längere Zeit leben würde.

      Das mit der ganzen Welt ist auch mein Ziel. Im November geht es nach Südamerika, wo ich mich dann wahrscheinlich die nächsten paar Jahre herumtreiben werde.

  3. gregmayer24 schreibt:

    Seh ich auch so, allgemein sind deine Beiträge ziemlich spannend und interessant und das sage ich als 16 jähriger.

  4. Pingback: Eine Postkarte aus Las Vegas | Der reisende Reporter

  5. Pingback: A Postcard from Las Vegas | The Happy Hermit

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