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Versteckt im Labyrinth der Altstadt Jerusalems sieht sie von außen recht unscheinbar aus. Fast könnte man vorbeilaufen an der Kirche, die die Kreuzigungstelle und das Grab Jesu beherbergt. In den Dutzenden von Kirchen, Kapellen und Schreinen die man im Inneren der Grabeskirche findet, kann man dann jedoch selbst als Atheist gut und gerne einige Stunden verbringen.
Hier sind Gottesdienste noch Geheimniskrämerei. Gesungen wird auf Latein, Altgriechisch oder Aramäisch. Die Mönche und Diakone sprechen aber auch Englisch, wenn sie die Besucherströme umzuleiten versuchen: “Move!” “It’s closed!” “This way!” Wie Türsteher vor einem beliebten Club. Die Tauben, die durch das Tor in die Kirche fliegen, stört das nicht.
Dem Sprachgewirr der Besucher könnte man entnehmen, dass die meisten Christen Russen sind. Genauer gesagt Russinnen, denn die Männer laufen ihren bekopftuchten Frauen eher gelangweilt hinterher. Die Frauen hingegen gucken so verzückt drein, wie wenn sie frisch verliebt wären. Nur Nigerianerinnen sind noch mehr in Trance als ihre russischen Glaubensschwestern. Viele von ihnen zünden gleich zwanzig Kerzen an. Nach wenigen Minuten räumt eine Nonne die eben erst gestifteten Kerzen wieder weg.
Bei den deutschen Besuchergruppen überwiegt das Abhaken von Listen. “Das ist die Helena-Kapelle.” “Aha, dann fehlt jetzt nur noch der Altar von Maria Magdalena.”
In der Grabeskirche kann man sich fühlen wie Indiana Jones auf Entdeckungstour. Auf einer Empore findet man den Kreuzigungsaltar.
Im Keller und im darunterliegenden zweiten Keller erkunde ich Kapellen, Grüfte und Krypten.
Und hinter dem Schrein für das eigentliche Jesusgrab, an dem lange Schlangen anstehen, ist eine unscheinbare Öffnung in der Wand, die durch immer niedriger und dunkler werdende Gänge zum Grabmal des Josef von Arimathäa führt.
Das elektrische Licht wurde hier noch nicht verlegt. Kerzen weisen den Weg. Ein Bild an der Wand ist bis zur Unkenntlichkeit verrußt.
Wenn man einen deutschen protestantischen Gottesdienst besucht, könnte man das Christentum für aufgeklärt halten, aber wenn man hier reihenweise Christen vor einem Stein knien sieht, den sie minutenlang küssen und über den sie Kerzen, Ikonen und Tischdecken drüberwischen, merkt man dass der Aberglaube lebt und fleißig Kirchensteuern zahlt.
Manche Pilger streichen dreimal über eine Ikone und verbeugen sich dabei jedes Mal. Eine Frau hat im Katholikon, der größten Kirche innerhalb der Grabeskirche, schon so lange ihren Kopf auf einen Steinsockel gelegt, dass ich glaube, sie ist eingeschlafen.
Weihrauch liegt in der Luft, wie um die geistige Benebelung durch medikamentöse zu ergänzen.
Bei allem Unverständnis muss ich doch etwas Positives erwähnen: Hier sitzen, beten und singen Europäer, Inder, Asiaten (von denen übrigens alle Männer Sakko tragen), Afrikaner und Araber zusammen.
Eine Nonne ruft mir zu und ermahnt mich, dass ich meine Beine nicht übereinander schlagen darf. Sehr böse und ernsthaft guckt sie dabei aus ihrem Tschador. Wer denkt sich solche Regeln aus? In 13 Jahren Schulzeit wurde ich weniger ermahnt als während dieses einen Besuchs in der Kirche: hier nicht stehen, hier nicht fotografieren, hier nicht sitzen und – da hört mein Verständnis wirklich auf – wieso ich mich nicht hinknie. Ich bin hier zwar Gast, aber so weit lasse ich mich von den Gralshütern dann doch nicht herumschikanieren.
Nicht viele Besucher verirren sich in den kleinen, nicht markierten Seiteneingang rechts vom Hof vor der Kirche. Aber die Tür steht offen. Der Wächter schläft, was in dem dunklen Raum kein Wunder ist. Vielleicht ist er auch schon tot.Wer weiß, wie oft hier aufgeräumt wird. Ausgeräumt werden könnte jederzeit bei so einem Bewacher. Trotzdem liegen ein paar Dollarnoten auf einem silbernen Teller.
Die Bilder in dieser Kirche sind farbenfroh, die Schrift kann ich nicht entziffern. Eine sehr enge, aus dem Stein gehauene Treppe führt mich nach oben. Auch hier der gleiche fremdartige Stil, nur etwas heller. Erst anhand der anderen Besucher erkenne ich, dass ich in einer äthiopischen Kirche bin. Das äthiopische ist eines der ältesten Christentümer der Welt und behielt durch seine Isolation vom Restchristentum einen ganz eigenen Charakter bei.
Mittlerweile bin ich auf dem Dach der Grabeskirche angelangt, von wo aus ich fünf Kirchtürme gleichzeitig sehe. Über dieses Dach gelangt man zu den orthodoxen Kopten. Bisher wusste ich nicht einmal, dass es verschiedene Kopten gibt. Das Christentum wird mit jedem weiteren Raum dieses Gebäudes komplizierter.
Gerade will ich den Fuß über die Schwelle setzen, da sehe ich die Poster an der Tür und kann gerade noch entsetzt zurückweichen. Mir stockt der Atem. Was sucht das hier in einer Kirche? Fotos von im Sand knienden Männern in orangen Overalls, mit ihren Mördern dahinter. Jede Sekunde werden Haut, Adern, Fleisch durchtrennt.
Natürlich handelt es sich um die ägyptischen Kopten, die im Februar 2015 in Libyen ermordet wurden, aber muss diese Grausamkeit an Kirchentüren ausgestellt werden? Soll hier der Märtyrergedanke wiederbelebt werden? Ist diese Propaganda nicht genau das, was ISIS will?
Als ich aus der Grabeskirche trete, erklingt von der nur 30 Meter entfernten Omar-Moschee der Ruf des Muezzin. Das gefällt mir an der Altstadt von Jerusalem, dass die drei abrahamischen Religionen auf engem Raum mal koexistieren, mal konkurrieren. Moscheen, Kirchen und Synagogen sind hier so eng neben-, über- und untereinander verschachtelt, dass eine Teilung der Stadt entlang von Religionsgrenzen unmöglich wäre.
All die in der Grabeskirche vertretenen christlichen Konfessionen sind sich übrigens untereinander nicht ganz grün. Seit 800 Jahren sind es deshalb die muslimischen Familien Joudeh und Nusseibeh, die die einzigen Schlüssel zu dieser heiligen Stätte des Christentums im Gewahrsam haben und allmorgendlich auf- und allabendlich zusperren.
Links:
- Und als ich aus der Kirche trat, passierte das.
- Mehr Religiöses, insbesondere mehr Christliches.
- Und mehr Berichte aus Israel.
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„Mit Spezereien
Hatten wir ihn gepflegt,
Wir seine Treuen
Hatten ihn hingelegt;
Tücher und Binden
Reinlich umwanden wir,
Ach! und wir finden
Christ nicht mehr hier…“
In dem Trubel, wie er jetzt dort herrscht, kann man auch schon mal verloren gehen. 🙂
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