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Vor dem Tor zum Hof der Grabeskirche in Jerusalem warten zwei Muslime. Einer in weißer Dschallabija, dem langen untaillierten Gewand, und mit dem Bart, den Salafisten in Verruf gebracht haben. Der andere leger, aber auch mit Bart und Gebetskappe.
Freundlich sprechen sie mich an. Natürlich ist mir schon klar, worauf sie hinauswollen, aber interessehalber lasse ich mich darauf ein. „Do you hear this sound?“ fragt er, mit dem Finger nach oben zeigend, und bevor ich antworten kann: „This is the call of God. God is calling for you, my brother, to follow him.“ Ich weise darauf hin, dass es eher der Muezzin oder vielleicht eine Bandaufnahme ist, die durch die Altstadt dröhnt.
Er lacht, streckt mir seine Hand entgegen und stellt sich als Musa vor, der arabische Name für Moses und meinem nicht unähnlich. Ich verschweige dies lieber, nicht dass ich noch für einen Propheten gehalten und eingeladen werde, diesen Freitag die Predigt zu halten.
Es folgt ein Hin und Her von religiösen und atheistischen Argumenten bzw. atheistischen Gegenfragen. Das habe ich schon dutzendfach mit den Zeugen Jehovas durchgemacht. Intellektuell besonders gefordert werde ich hier nicht. Das Gespräch verläuft so ähnlich, dass in mir der Verdacht keimt, dass sowohl Zeugen Jehovas als auch Muslimbrüder den gleichen Fernkurs im Bekehren von Ungläubigen absolviert haben. Sie sollten beide ihr Geld zurück verlangen.
Musas Kollege schenkt mir ein paar wohlschmeckende Erdbeeren, die er eben am Markt gekauft hat, sichtlich begeistert darüber, dass sich ein bärtiger Bruder auf ein längeres Gespräch eingelassen hat. Nach etwa zehn Minuten – der Muezzin ruft noch immer – werden die beiden aber ungeduldig. Sie schenken mir noch einen Koran in englischer Übersetzung, entschuldigen sich für die überhastete Beendigung der Diskussion – „It’s the call for prayer.“ – und eilen dann im Laufschritt davon, Richtung Tempelberg.
Die Visitenkarte, die sie mir übergeben haben, fragt auf der einen Seite „What is the religion of Jesus?“ und auf der Rückseite „?מהי דת הנביא משה“ („Was ist die Religion des Propheten Moses?“). Dass zwei Muslime vor einem christlichen Heiligtum in der Hauptstadt des Jüdischen Staates versuchen, Juden und Christen zum Islam zu bekehren, macht für mich gerade den Reiz Jerusalems aus. Als ich den Koran am Abend in der Bibliothek des Abraham-Hostels deponiere, stehen dort schon einige identische Exemplare.
Am nächsten Morgen will mich Jessy aus Tennessee schon beim Frühstück zum Christentum konvertieren und behauptet, im Roten Meer sei jetzt der Streitwagen von Moses gefunden worden, was die Geschichte mit der Teilung des Meeres beweise. Er entschuldigt sich jedesmal bei mir und bei Gott, wenn ihm ein „damn“, „bloody“ oder gar ein „fuck“ über die Lippen fährt. Dabei nerven mich seine Bibelzitate viel mehr.
Nach einigen Tagen Jerusalem wird es mir immer zu viel mit den ganzen Religionsfritzen. Ich packe meinen Rucksack und fahre in den Norden, um ein paar Tage zu wandern. Von Nazareth zum See Genezareth, der Wanderweg heißt Jesuspfad. Ganz entkommt man der Religion in Israel halt nie.
Links:
- Mehr über Religion.
- Mehr Berichte aus Israel.
- Und wenn es genügend Leser ernsthaft wünschen, dann werde ich mich endlich an die Veröffentlichung des Berichts über die viertägige Wanderung auf dem Jesuspfad machen. Genau genommen wird das eher eine kleine Serie von vier Artikeln, so dass Ihr länger etwas von der mühevollen Wanderung habt.
Hallo reisender Reporter. Ich fand deinen Beitrag sehr amuesant:) Zudem ich selbst im Oman war und weiss wie schoen die Muezzine singen;-) Liebe Gruesse Nina
Vielen Dank, Nina!
Mir gefällt der Ruf der Muezzine eigentlich ganz gut, vor allem wenn er gleichzeitig von verschiedenen Minaretten erklingt. Ich war mal auf dem Berg Tabor in Nordisrael als der abendliche Gebetsruf aus allen umliegenden Dörfern erklang. Wunderschön!
Nur die Juden bekehren irgendwie nie. Wahrscheinlich sind sie auch deshalb die mit Abstand kleinste Religion der drei. Das macht sie mir ja sympathisch, allerdings ist es vielleicht nicht die beste Bestandsgarantie.
Ja, das ist auch der Grund, warum Juden bei mir einen Sympathiebonus haben. Selbst (wir) Atheisten sind da missionarischer.
Ohja. Wir Atheisten sind wirklich oft die schlimmsten. Vielleicht nicht wir zwei but I get what you mean.
Ich sebst muss mich diesbezüglich schon selbstkritisch an die eigene Nase fassen.
Me2. Als ich noch jünger war.
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