Dass der erste Monat im Jahr Jänner heißt, wusste ich schon. Den Begriff heuer für das gegenwärtige Jahr verwende ich als Süddeutscher ebenfalls. Und weil ich manchmal für eine österreichische Kanzlei Schriftsätze ins Englische übersetze, habe ich über die Zeit österreichische Fachbegriffe aufgeschnappt, wie Exekution für Zwangsvollstreckung, Firmenbuch für Handelsregister oder Verlassenschaftskurator für Nachlassverwalter.
Aber bevor ich nach Wien zog, war mir nicht bewusst, wie viele neue Vokabeln und Redewedungen ich lernen muss, um nicht als Piefke aufzufallen.
Es beginnt im Detailverkauf (Einzelhandel), wo man Paradeiser (Tomaten), Erdäpfel (Kartoffeln), Marillen (Aprikosen) und Faschiertes (Hackfleisch) kauft und an der Kassa gefragt wird, ob man ein Sackerl wünscht, während man im Geldbörsel kramt. Übrigens geht hier kein Einkauf und keine Essensbestellung vonstatten, ohne dass man sich mehrfach guten Appetit und einen schönen Tag wünscht und sich gegenseitig immer wieder für die Wünsche bedankt.
Bei Halbmarathons oder ähnlichen Bewerben gibt es die Jause an der Labestation.
Im Heurigen oder im Schanigarten hilft mir oft auch die Speisekarte nicht viel weiter. Was zum Henker ist ein Blunzengröstl? Da bleibe ich sicherheitshalber bei den Mehlspeisen. Die Topfenmäuse werden schon keine echten Mäuse sein.

Manchmal denkt man, der Österreicher will lustig sein, aber Mistkübel ist wirklich das gängige Wort für Mülleimer. Die Männer, die diese berufsmäßig leeren, heißen Mistkübler. Die Textilreinigung heißt Putzerei. Im Flieger nutzt man zum Entsorgen notfalls das Speibsackerl.

Die politische Berichterstattung wartet auch mit etlichen Austriazismen auf. Manche, wie Asylwerber, erschließen sich sofort. Andere, wie Klubobmann, erst aus dem Zusammenhang. Klubs sind keine Vereine zum Singen, Trinken oder Kicken, sondern die Fraktionen im Nationalrat. Und die Klubobmänner und Klubobfrauen sind die jeweiligen Franktionsvorsitzenden. Die Ministerpräsidenten der Bundesländer heißen Landeshauptmänner, Landeshauptfrauen bzw. Landeshauptleute. Politiker werden nicht vereidigt, sondern angelobt. Der Tarifvertrag heißt Kollektivvertrag.
Bis jetzt war es relativ einfach. Es ging ja nur um neues Vokabular. Aber auch Verben werden in Österreich anders verwendet. Sich ausgehen ist darunter wohl das wichtigste. Es beudetet so viel wie „passen“, vor allem in zeitlicher, aber auch in räumlicher und organisatorischer Hinsicht. Beispiele: „Der Zug fährt erst um viertel drei, das geht sich locker aus.“ „Ich hätte 15 Seiten für Sie zum Übersetzen. Bis wann geht sich das bei Ihnen aus?“ Verwirrenderweise bedeutet das, dass sich das Geld für den Monat nicht ausgeht, wenn es voraussichtlich ausgehen wird.

Ausfassen hat auch eine andere Bedeutung, wie ich der Berichterstattung über das Urteil im NSU-Prozess entnommen habe: „Ein hartes Urteil fasste auch der Mitangeklagte Ralf Wohlleben aus, er muss als Waffenbeschaffer zehn Jahre hinter Gitter.“
Sogar Präpositionen werden anders verwendet. So heißt es in einer Einschaltung (Annonce), dass man 10 Ausgaben einer Zeitung um nur 10 Euro abonnieren könne.
Ich habe diesen Artikel bewusst schon nach meinen ersten zwei Wochen in Wien geschrieben, so dass Ihr allfällige Ergänzungen beisteuern könnt. Das wäre leiwand (super, dufte). Bisher bin ich beeindruckt von der Menge und dem Ausmaß der Unterschiede zwischen Deutsch und Österreichisch. Wir bräuchten ja fast Übersetzer, wie zwischen den verschiedenen serbokroatischen Sprachen. Aber ich werde das schon schupfen! Insbesondere, wenn ich weiterhin jeden Tag mit offenen Augen und Ohren durchs Grätzl gehe.
Bis dahin, baba!
Eine konzisere Beschreibung der Redewendung „es geht sich aus“ habe ich bisher noch nicht gelesen. Bist ja top integriert. Wobei du es da als Oberpfälzer eh leicht hast (man bemerke das österreichische „eh“). Du kannst einfach behaupten, du kommst aus irgendeinem erfundenen Kaff in Oberösterreich. Wiener haben kein gutes Ohr, was Dialekte der Bundesländer angeht, damit kommst schon durch, wenn dir das Piefke-Gerede mal zu viel wird. In dem Sinne: Imma gschmeidig bleibn.
Das ist der Integrationsdruck, der ist jetzt einfach enorm! Sonst ist die Mindestsicherung futsch. 🙂
Ne, ganz ehrlich, es macht großen Spaß, jeden Tag etwas Neues zu lernen. In den meisten anderen Ländern bleibe ich auf eher niedrigem Sprachniveau hängen, aber endlich kann ich mich mal der Feinheiten annehmen. Und „sich ausgehen“ verwende ich jetzt auch schon gegenüber Deutschen.
Die Annahme einer fiktiven österreichischen Identität ist eine hervorragende Idee! Diese Herausforderung nehme ich an. Mal sehen, wie lange ich damit durchkomme. Und wenn es klappt, kann ich vielleicht beim BND anheuern, der sich anscheinend mangels Fremdsprachenkenntnissen oder Gelder für internationale Flüge auf das Ausspionieren unseres sympathischen Nachbarlandes spezialisiert hat.
Lieber Andreas,
„Blunzengröstl“ kann ich Dir übersetzen: geröstete Blutwurst, sicher nicht Dein Geschmack! Den Begriff Blunzn kenn ich schon seit meiner frühen Jugend, denn er ist auch bei uns geläufig.
Gruß von Mama
Ohhh, dann ist ja gut, dass ich das nicht bestellt habe!
Aber der Name war schon etwas abstoßend/warnend.
Da esse ich lieber die guten Sachen aus Deinem Paket, vielen lieben Dank dafür!!
Aus dem Vorarlbergerischen kann ich noch Verben wie „lupfa“, „luaga“, „loosa“, „gou“ und mein neuestes Substantiv „Kriasi“ beisteuern 😉 Ebenso wie „Türkafeld“ und „Türkamehl“ 😉
Oje, ich verstehe gar nichts!
Dagegen ist Wien ja richtig hochsprachig.
Wienerisch hat so wenig mit „kärntnerisch“, „steirisch“ oder „tirolerisch“ zu tun wie die Umgangssprache der Hamburger mit der, der Münchner 🙂 Jedes Bundesland hat seine Eigenheiten. Aber generell kommt in Österreich das Christkind „zu“ Weihnachten und er Osterhase ebenfalls „zu“ Ostern – und nicht „an“. Wir ziehen eine Kette auch nicht an sondern legen sie um (den Hals), Sonnenbrillen setzen wir auch auf (die Nase) ….
Österreichisch gibt es nicht, genau so wenig, wie in Deutschland „deutsch“ gesprochen wird. Oder spricht ganz Deutschland lupenreines Deutsch – und das noch mit der richtigen Grammatik?
Du musst also in jedem Bundesland um oder dazu lernen 🙂
Es ist aber zu schaffen – wir verstehen euch ja schließlich auch ganz gut!
Liebe Grüße einer Kärntnerin auf Teneriffa
Danke!
Ich glaube, ich fokussiere mich zuerst einmal auf Wien, hier begenet mir nur ganz selten ein unverständlicher Dialekt, so dass es relativ einfach zu lernen scheint. Vielleicht liegt es auch daran, dass viele Wiener selbst erst nach der Ankunft in Österreich Österreichisch oder Deutsch gesprochen haben.
Wobei ich schon den Eindruck habe, dass es auch in den Schriftsprachen einen Unterschied zwischen Deutsch und Österreichisch gibt, und eben diese Schrift- oder Hochsprache versuche ich zu lernen.
Heute kam der Rauchfangkehrer vorbei. Ob des neuen Worts war ich so verdutzt, dass ich ihn einfach reingelassen habe.
Im Supermarkt bekommt man die Rechnung anstatt den Kassenzettel.
Und wenn ein Geschäft umzieht, steht im Fenster; „Wie siedeln über.„
Danke vielmals, jetzt kenn i mi aus!
Das meiste war mir allerdings dank meiner ältesten besten Freundin aus Salzburg auch schon vorher geläufig.
In unseren Studentenzeiten machten wir beide mal eine denkwürdige Reise zusammen mit einem allemannisch sprechenden Deutschen und einer Schweizerin. Ewig in Erinnerung geblieben ist mir die Sprachverwirrung bei dem, was wir als (Mull-)Binde bezeichnen. Falls Du’s mal brauchen solltest: Man umwickelt Verletzungen mit einer Fatsch(e)n (mit langem a). Wobei ich jetzt nicht weiß, ob das auch für Wien gilt.
Mit den besten Wünschen für einen verletzungsfreien Wienaufenthalt!
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