„Couchsurfing in Russland“ von Stephan Orth

Oje, jetzt ist es passiert: Die Staatsmacht hat sich Wissarion geschnappt, und Gott hat nicht eingegriffen, um seinen zweiten Sohn, den Jesus Sibiriens, den Messias der Taiga zu retten. Wird auch Wissarion am Kreuz enden?

Fragen über Fragen, vor allem: Wer zum Teufel ist überhaupt dieser Wissarion?

Das und vieles mehr über Russland erfährt man in dem Buch „Couchsurfing in Russland“. Der deutsche Journalist und Autor Stephan Orth fährt und fliegt darin kreuz und quer durch Russland. Wie der Name des Buches nahelegt, spart er sich die Kosten fürs Hotel und übernachtet bei Menschen, die eine freie Couch oder ein Gästezimmer haben. (Auch ich nütze diese Methode des Reisens gerne.)

Der Sektenführer Wissarion, der mit bis zu 4000 Anhängerinnen und Anhängern in einer Kommune im sibirischen Sajangebirge lebt, ist dabei einer der schillerndsten Typen. Anscheinend bin ich bisher zu vorsichtig bei der Auswahl meiner Gastgeber gewesen. Denn Couchsurfing hat Vor- und Nachteile. Zum einen lernt man ein Land natürlich schneller, intensiver und anders kennen als wenn man von Hotel zu Hotel reist. Zum anderen ist man Gast in jemandes Wohnung. Orth muss ein betrunkenes Beziehungsdrama miterleben. Ich habe schon Hunderte von schönen Morgenstunden vergeudet, weil die Gastgeber keine Frühaufsteher waren.

Und manchmal muss man sich einen Abend lang krude Theorien anhören. In Russland ist das anscheinend schlimmer als anderswo, und im Sektendorf Tiberkul am allerschlimmsten. Zum Glück für die Leser setzt sich Orth kritisch mit der Jesus-Reinkarnation, mit der Filterblase in der religiösen Kommune, mit der Propaganda von RT und Sputnik auseinander. Der Autor ist ein guter Beobachter und ein guter Zuhörer, aber man merkt, dass er auch den Informationsrahmen hat, um nicht alles glauben zu müssen. (Ein Grund, warum ich nicht viel davon halte, unvorbereitet in ein Land zu fahren. Wenn man nichts weiß, werden einem nämlich oft ziemlich krasse Mythen aufgetischt.)

Auf seiner Reise durch Russland fährt Orth nicht nur in die Großstädte, sondern besucht auch abgelegene Republiken und Dörfer, einschließlich Krim und Nordkaukasus. So wird er zum Russlandversteher im eigentlichen, positiven Sinn des Wortes,.

Ein Buch darüber, wie viel man verpasst, wenn man sich für Sehenswürdigkeiten und Fotos anstatt für Menschen und Gespräche interessiert. – Jetzt müssen wir nur noch warten, bis alle gegen Covid-19 geimpft sind, und dann geht das Reisen wieder los! Apropos Impfstoff, ich glaube, da gibt es auch so eine kuriose Behauptung aus Russland.

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Über Andreas Moser

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3 Antworten zu „Couchsurfing in Russland“ von Stephan Orth

  1. christahartwig schreibt:

    Ich hatte dieses Buch vor Jahr und Tag bei Globetrotter erstanden. In deren Buchabteilung finde ich eigentlich immer etwas für meine persönlichen „Zimmerreisen“, die mit Couchsurfing allerdings wenig zu tun haben. Stephan Orths Buch ist unterhaltsam zu lesen, und ich habe viel Wissenswertes daraus erfahren.

    • Andreas Moser schreibt:

      Ja, ich fand das Buch auch sehr erhellend, vor allem, weil man merkt, dass man diese Eindrücke und Erfahrungen auf einer „einfachen“ touristischen Russland-Reise nicht selbst machen könnte. Vor allem, wenn man nicht Russisch spricht.

      „Couchsurfing im Iran“ fand ich weniger gut – https://andreas-moser.blog/2019/04/10/couchsurfing-im-iran/ -, vielleicht auch, weil ich den Iran aus eigener Erfahrung kenne.
      Aber trotzdem bin ich schon gespannt auf „Cuchsurfing in China“ und „Couchsurfing in Saudi-Arabien“.

    • christahartwig schreibt:

      Ja, die beiden zuletzt von Dir genannten Bücher sollte man beachten. Danke, dass Du mich daran erinnerst.

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