Kyselka, Kurort für Könige, Kaiser und Kobolde

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„Es wird sich nicht viel verändert haben“, dachte ich mir und hatte für die Reise in die Tschechische Republik einen etwas älteren Reiseführer eingepackt.

Wenn Ihnen Karlsbad zu betriebsam ist und Sie der immer gleichen Begegnungen beim Flanieren in den Kolonnaden überdrüßig sind, so empfehlen wir, nach Kyselka auszuweichen. Dieser Kurort ist klein, aber nicht weniger fein.

Der Mineralwasserfabrikant Mattoni hat hier einen exklusiven Erholungsort geschaffen, an den sich schon das Kaiserpaar, der Erzherzog sowie ausländische Regenten wie König Otto von Griechenland, der Schah von Persien und der Kaiser von Abessinien zurückgezogen haben.

Nun bin ich eher Republikaner als Monarchist, worin mir die seit Erscheinen des Reiseführers für Österreich-Ungarn ins Land – beziehungsweise die seither neu entstandenen Länder – gestrichene Zeit Recht gegeben hat, aber dieses Kyselka hört sich interessant an.

Und es ist nur eine Halbtageswanderung von Karlsbad entfernt. Man geht dazu hinter der Synagoge und der Marienstatue in den Wald, bis man die weiß-rot-weiße Markierung findet und folgt dieser, scheinbar immer bergauf. Es ist einer der schönsten Wanderwege rund um Karlsbad, oft auf ganz engen, kaum ausgetretenen Pfaden, dann auf in den Berg gehauenen Wegen, auf denen linker Seite steile Abhänge zum Fluss Eger abfallen.

Immer wieder schöne Ausblicke und von Zeit zu Zeit ein Schild, das anzeigt, dass man auf dem richtigen Weg ist, dass von Kyselka ein Bus zurückführt, und dass man noch 10 km vor sich hat. Der Weg windet sich jedoch dermaßen um Berge, über Anhöhen und um die Biegungen des Flusses, dass sich die Entfernungsangabe über mehrere Stunden nicht verringert.

Ich friere, hungere und dürste, aber egal. In Kyselka werde ich mir ein königliches Mahl an einem warmen Kachelofen gönnen.

Nach vielen Stunden Klettertour erblicke ich durch den Wald die ersten noblen Anzeichen von Kyselka. Je näher ich komme, umso mehr bestätigt sich das Prädikat als ruhigster aller böhmischen Kurorte. Ich höre keinen Laut, keinen Menschen, keine Autos, nicht einmal Hunde.

Herr Mattoni, der Gründer dieses exklusiven Ortes, ist anscheinend im Winter nicht zu Hause, denn seine Villa sieht etwas verlassen aus.

„Vielleicht ist er in der Mineralwasserfabrik“, denke ich mir, doch auch dort sprudelt nichts mehr.

Um es kurz zu machen: Die ganze Stadt sieht inaktiv und verlassen aus.

Hier werde ich nichts zu essen bekommen, dämmert mir langsam. Nur in der Grotte oberhalb des künstlich angelegten Wasserfalls gibt es noch Wasser, und sogar eine Tasse steht neben dem Becken. Wahrscheinlich hat der König von Montenegro zum letzten Mal aus ihr getrunken. Oder die Kobolde und Gnome, die Kyselka jetzt anstelle der Könige und Grafen bewohnen. Aber es schmeckt.

Ein Auto hält, und eine Familie steigt aus. Vater, Mutter, Kind und ein Plastikeimer mit Spielsachen. Das Kind läuft ein bisschen herum. Nach fünf Minuten packen sie alles wieder ins Auto und düsen davon, offensichtlich schwer enttäuscht von diesem deprimierenden Ort. Schon wieder ein Familienausflug, der in die Hose gegangen ist.

Das einzige andere Auto ist ein Feuerwehrauto, das allerdings schon lange nichts mehr gelöscht oder getütatat hat. Aus den Reifen ist genauso die Luft raus wie aus dem hiesigen Unterhaltungsprogramm.

Es wird dunkler. Es wird kälter. Und obwohl ich gehört habe, dass sich Städte, die sonst nichts zu bieten haben, als Luftkurort anpreisen, werde ich von der Luft allein kaum überleben können.

Der versprochene Bus kommt heute nicht, weil Samstag ist.

Also stelle ich mich an die Straße, strecke den Daumen raus und hoffe, dass sich einer der Kurgäste aus dem frühen 20. Jahrhundert bei der Abreise dermaßen verspätet hat, dass er erst heute nach Karlsbad zurückfährt. Und in der Tat, bald hält ein Auto mit einem tschechisch-russischen Ehepaar, die noch weiter hinten im Egertal wohnen und Altglas in die Bezirksstadt bringen. Wie es sich in einer von Herrn Mattoni gegründeten Stadt gehört, entpuppt sich Italienisch als der kleinste gemeinsame linguistische Nenner im kosmopolitischen Kleinwagen.

Apropos Sprache: Die war wohl der Grund, warum Kyselka nie die Berühmtheit der anderen Kurstädte erreichte. Auf Deutsch heißt der Ort nämlich Giesshübl Sauerbrunn, und das macht sich auf Ansichtskarten einfach nicht so gut wie Marienbad, Karlsbad oder Franzensbad.

Links:

  • Wenn Euch Geisterstädte interessieren, dann folgt mir doch nach Humberstone!
  • Kyselka nähe Karlsbad ist nicht zu verwechseln mit Bílina-Kyselka, wo ebenfalls ungenutzte Kurschlösser herumstehen.
  • Weitere Entdeckungen in Tschechien.

Über Andreas Moser

Travelling the world and writing about it. I have degrees in law and philosophy, but I'd much rather be a writer, a spy or a hobo.
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5 Antworten zu Kyselka, Kurort für Könige, Kaiser und Kobolde

  1. Andreas schreibt:

    Wie immer schöne Geschichte und diesmal noch schönere Bilder ;-). Bin Himmelfahrt 2013 mit meiner Tochter mit dem Rad da vorbeigefahren und habe mich dazu hinreißen lassen, dort eine Petition für die Sanierung des Areals zu unterschreiben (weil ich es wohl nicht ersehen konnte, wie alles verfällt). Die einzige Konsequenz war allerdings, dass ich danach lange Zeit ungefragt Werbemails und Angebote für Urlaub in tschechischen Kurbädern bekam (als wäre ich da Zielgruppe). Zum Glück für dich jedenfalls ;-). Nicht auszudenken, wenn dort noch ein luxussaniertes Kurhotel für russische oder saudische Millionäre entstanden wäre (mit meiner Mithilfe ;-)).

    • Andreas Moser schreibt:

      Haha, das ist ja noch eine bessere Geschichte!
      An einem Haus an der Hauptstraße werkelten zwei Handwerker, und an der Mattoni-Villa wurde auch gearbeitet. Aber ansonsten tat sich nicht viel.
      Die Fotos stammen vom November 2019, und ich war im September 2020 nochmal dort, habe aber keinerlei Veränderungen bemerkt.
      Aber wenn sich etwas tut, erfährst du es dank der Mailingliste sicher als erster! 😉

  2. Andreas schreibt:

    Aber sicher, kann es kaum erwarten, dort zu kuren ;-). Was ich dich aber mal fragen wollte. In Abchasien gibt es ja diese Youtubeweit bekannte Geisterstadt Akarmara, eine verlassene sowjetische Bergbaustadt. Bist du da mal gewesen? Bilder und Videos sehen sehr eindrucksvoll aus und wenn man bedenkt, wie der kolchische Regenwald wuchert, kann ich mir gut vorstellen, wie dort alles von Menschen geschaffene innerhalb weniger Jahrzehnte zuwächst und auch durch das extreme Wetter zerstört wird.
    Ich würde jetzt fragen, ob es sich lohnt, finde es aber albern, angesichts des Umstands, dass man seit heute wohl wieder nicht mal mehr nach Tschechien fahren kann (ohne Corona Test) und die Bundesregierung ihren Bürgern halb ernsthaft empfiehlt, fürs Vaterland zum Couchpotato zu mutieren ;-).

    • Andreas Moser schreibt:

      Für die Zeit als patriotischer Couchpotato empfehle ich ein Fernstudium. 🙂 (Oder ganz unbescheiden die Lektüre meiner Jahre zurückreichenden Berichte.)

      In Akarmara war ich leider nicht, wusste damals auch gar nichts von der Stadt. Mein Gastgeber in Sochumi hat das wahrscheinlich verschwiegen, weil er schon in der Hauptstadt jedes Mal sauer war, wenn ich Ruinen fotografiert habe.
      Er schickte mich dann nach Novy Afon, wo alles ziemplich proper und goldig ist.

      Nur ein bisschen westlich von Gali, an der Hauptstraße, sah ich vom Bus aus allerdings kurz dieses alte Gymnasium:

  3. Pingback: Kyselka, the Forgotten Spa Town | The Happy Hermit

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