Was werdet Ihr als erstes machen, wenn die Corona-Pandemie zu Ende sein wird?
Ich weiß es: Sobald das Vakzin in meinen Arm injiziert wurde, werde ich mich an die Landstraße stellen und eben jenen Arm dazu nutzen, um nach Brest-Litowsk, Babylon oder zumindest Buxtehude zu trampen.

Die Wartezeit überbrücke ich mit Tramperliteratur, heute mit „Warm Roads“ von Stefan Korn. Eines Nachmittags steht er in Leipzig am Straßenrand, um am nächsten Morgen wacht er in Südfrankreich auf. So schnell kann das gehen, und so beginnt die Weltumtrampung.
Korn macht Sachen, von denen ich nur träumen kann: Segeltrampen über den Atlantik! (Nichts für mich.) Flugzeugtrampen in Alaska! Güterzugtrampen!

Passend zu den Güterzügen schreibt Korn ziemlich zügig. Das Tempo reißt einen auch beim Lesen mit. Aber andererseits ist das Tempo auch das Problem: Als er nach Manaus kommt, sieht er im Hafen ein Schiff, das in 20 Minuten abfährt. Also düst er weiter nach Uruguay. Wie kann man eine Stadt wie Manaus links liegen lassen? Da kommt man doch nie mehr hin!
In Südamerika denkt er sich: „4000 km von Peru nach Kolumbien, das sollte ich in drei Tagen schaffen.“ Ja, kann man schaffen, aber warum sollte man? Warum diese Eile, junger Mann?

Man merkt, dass Korn nicht auf der Suche nach Begegnungen, nach Erkenntnis, nach Geschichten ist, sondern Trampen als Extremsport begreift. So schnell wie möglich will er einmal um die Welt, so schnell wie möglich von Feuerland nach Alaska, so schnell wie möglich in die vier Ecken Chinas. Alles schnell, schnell, schnell.
Seitenweise gibt es Aufzählungen von Uhrzeiten, Fahrtzeiten, Kilometern, was er isst und wie wenig Geld er ausgibt. Manche Leute glauben, dass sich ihr Tagebuch zum Buch eignet. Hier war es nicht einmal ein Tagebuch, sondern eher ein Logbuch. Der Wettbewerbstramper kommt wie ein Workaholic rüber, der an seinen Statistiken feilen muss. Mit Freiheit und Abenteuer hat das gar nicht so viel zu tun.
Selbst wenn ich nur 500 km oder 900 km trampe, erlebe ich mehr Menschliches als in diesem teilweise fast buchhalterischen Bericht. Ich weiß zwar nichts über meine durchschnittliche Wartezeit oder Reisegeschwindigkeit, aber dafür unterhalte ich mich auf dem Autobahnrastplatz bis 23 Uhr mit einem Linguisten über finno-ugrische Sprachen, obwohl ich merke, dass sich der Rastplatz Hunsrück gefährlich leert und ich bald keine Mitfahrgelegenheit mehr finde.
Apropos Sprache: Die etwas häufige und manchmal unpassende Verwendung von „Pisser“, „Scheiße“, „verfickt“ u.s.w. lässt die Gereiztheit ahnen, mit der Korn wegen des ihm selbst auferlegten Zeitdrucks unterwegs ist. Er ist sauer auf Fahrer, die ihm zu langsam fahren oder zu viele Pausen machen. Und er lässt es die Fahrer merken. Manchmal habe ich mich richtig fremdgeschämt, denn als Tramper ist eine Sache für mich klar: Ich bin Gast in einem fremden Auto. Niemand schuldet mir etwas. Und ich bin dankbar für jeden Kilometer.
Außerdem frage ich mich, was Begriffe wie „Blockwart“ oder „Alltags-Hitler“ bei der Schilderung eines Protests in Peru zu suchen haben, insbesondere von einem deutschen Autor. Straßenblockaden sind in Südamerika eben ein gängiges Mittel des Protests. Na und? Dann wartet man halt ein paar Tage. Oder geht zu Fuß.

Aber dann gibt es auch wieder lustige Geschichten, von einer Fahrt im Leichenwagen, direkt neben dem Sarg, Polizisten, die sich mit einem Becher Kaffee bestechen lassen, und dem bolivianischen Polizisten, der dem Reisenden seine Militärjacke schenken will und voller Vertrauen vorschlägt: „Du kannst mir dafür ja etwas anderes schicken, wenn du wieder in Deutschland bist.“
Und es gibt viele Momente, in denen deutlich wird, wie freundlich und hilfsbereit die Menschen sind, für mich die wichtigste Erkenntnis beim Trampen. In Kanada fährt ihn ein Polizist nach einem Verkehrsunfall 400 km weit. In Alaska wird er in Hotels eingeladen und die Fluglinie nimmt ihn kostenlos mit. Und immer wieder Leute, die ihm Essen, Wasser und Geld schenken, von Mexiko bis China.

Es ist ein ständiges Auf und Ab beim Lesen. Und das passt ja dann wieder zur Erfahrung beim Trampen, denn auch da schwankt man von Höhen zu Tiefen und zurück. Und dankbar bin ich dem Autor auf jeden Fall für die Klarstellung, dass man auch ohne Smartphone um die Welt kommt.
Ich selbst werde weiterhin lieber langsam unterwegs sein und mir Zeit für die Menschen nehmen, die sich Zeit für mich nehmen. Ich glaube, dass so die besseren Geschichten entstehen als bei einer In-80-Tagen-um-die-Welt-Raserei.
Links:
- „Warm Roads“ bei Amazon.
- Der Blog von Stefan Korn.
- Meine Anhaltergeschichten.
- Weitere Buchrezensionen und meine Wunschliste, um die reisefreie Zeit zu überbrücken.
Stimme zu!
Ich muss mich wohl doch mal selbst an ein Buch mit Anhaltergeschichten machen…
Reisepläne schwirren um meinen Kopf wie ein Bienenschwarm.
Ich hoffe, du hältst dann an, wenn du mich unterwegs am Straßenrand stehen siehst?
Siehst du noch aus, wie auf dem Profilbild 😉 Dann könnte das sein.
Das erste Bild in diesem Artikel, wo ich patschnass vom Regen an einer Straße auf Pico stehe, ist das aktuellste (März 2020).
Ich sehe immer seriös, sauber und sympathisch aus. 🙂
Sehr gut, da freue ich mich doch, dir mal fahrtechnisch behilflich zu sein.
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