Als ich den Auftrag auf den Azoren bekam, suchte ich sofort nach einem Schiff, um auf abenteuerlichere und romantischere Art dorthin zu kommen als mit dem Flugzeug.
Vergebens.
Aber ich buchte keinen Rückflug, in der Hoffnung, in drei Monaten auf Faial genug Bekanntschaften mit Fährleuten, Fischern und Weltumseglern zu machen, um vielleicht per Anhalter zurück zum Kontinent schippern zu können.
Und dann gab es noch immer die Möglichkeit, mich als blinder Passagier an Bord eines Frachtschiffes zu schleichen.
Auch die anderen Inseln des Azoren-Archipels würden sich perfekt per Schiff erkunden lassen. 7 Stunden nach Terceira, 9 Stunden nach Flores, so entschleunigt und entspannt kann man selten reisen.
Aber heute geht es erst einmal nach Pico, die nahe Nachbarinsel. 30 Minuten dauert die Überfahrt.
Ich entere das Oberdeck, um den besten Ausblick zu haben. Es ist eine kleine Fähre, mit etwa zehn Sitzreihen auf jeder Etage, die meisten davon in Fahrtrichtung. Wie in einem Flugzeug. Nur mit freier Platzwahl. Ich setze mich direkt neben die offene Tür, um Sonne, Wind und Wasser zu genießen.
Fast unbemerkt löst sich das Fährboot von der Anlegestelle. Die kräftigen Motoren schieben es mit Leichtigkeit durch den Hafen, ganz sanft Richtung Ausgang.
Als es die beiden schützenden Kaimauern verlässt und aufs offene Meer hinausfährt, beginnt das Schiff aber schon zu schaukeln. Oder eher zu wippen, von vorne nach hinten. Das ist wohl so, beim Übergang von Hafen zu Meer, versuche ich mich zu beruhigen.
Aber die Bewegungen hören nicht auf, sondern werden stärker. Immer höher hebt sich das Boot. Immer tiefer fährt es hinab. Mein Magen hebt und senkt sich ebenso. Ich bin froh, noch nichts gegessen zu haben.
Warum fährt man bei so Monsterwellen raus aufs Meer? Andererseits, versuche ich mich wieder zu beruhigen, der Kapitän wird auch nicht sterben wollen. Sicher hat er den Wetterbericht angeguckt bevor er „Leinen los!“ gerufen hat.
Durch die Tür kommt frische Luft. Ich atme tief und bewusst. Aber auch immer mehr Wasser spritzt mir ins Gesicht. Auf den Wellen tanzt weißer Schaum. Fotos kann ich keine machen, weil ich mich mit beiden Armen ganz fest in den Sitz kralle. Es gibt keine Gurte, und wenn ich mich nicht festhielte, fiele ich aus der Halterung. Wenigstens sitze ich gleich neben der Tür, denke ich mir, so kann ich rausspringen, wenn das Boot kentert.
Aber was dann? Die Wellen sind mittlerweile höher als das Boot. Wenn wir auf dem Grund des Wellentals sind, sehe ich vorne nicht mehr Pico, sondern nur mehr wuchtige Wassermassen. Niemals könnte ich gegen diese Wellen anschwimmen. Das ist der Atlantik, kein Mittelmeer oder so. Und das Meer hat endlose Kraft, endlose Energie, endlos Wasser, wie ein Perpetuum Mobile. Es wird nie müde werden. Ich dagegen habe schon kaum mehr Kraft, mich festzuhalten.
Ein Matrose läuft durch den Flur, ganz schief, weil das Boot jetzt auch von backbord nach steuerbord und zurück schlingert. Er schließt die schwere Eisentür vor meinem Sitz und schlägt einen Holzkeil ein, damit sie nicht mehr aufzubekommen ist. Der Fluchtweg ist versperrt.
Das Auf-und-Ab war schlimm, aber das seitwärtige Schlingern ist hundertmal schlimmer. Das Boot legt sich nach steuerbord, wo ich sitze, und ich kann den Hammerhaien in die Augen schauen. Dann legt es sich nach backbord, und ich hänge in der Luft wie die Aasgeier. Währenddessen gewinnt und verliert das Boot etwa 10 Meter an Höhe. Alles zusammen, alles durcheinander, alles außer Kontrolle.
Ich bin mir gar nicht sicher, ob wir uns noch nach vorne bewegen oder nur auf der Stelle tanzen wie ein Spielball Poseidons. Eines Poseidons, der heute ziemlich wütend ist. Vielleicht ist seine Fußballmannschaft abgestiegen.
30 Minuten soll die Überfahrt dauern. Ich traue mich nicht, auf die Uhr zu sehen. Ich versuche, an etwas anderes zu denken, aber komme nur so weit, dass ich irgendwann von Pico zurück nach Faial muss. Wieder mit dem Schiff!
Aber alle weitere Pläne streiche ich. Die Überfahrt mit dem Schiff auf andere Azoreninseln. Die mindestens siebentägige Rückfahrt nach Portugal sowieso. Die Idee, von Odessa nach Georgien zu fahren. Die Kreuzfahrt nach Sankt Petersburg. Die Überquerung des Ärmelkanals. Alles gestrichen! Ich will nur mehr festen Boden unter den Füßen haben, möglichst weit weg von diesem alles verschlingenden Meeresschlund.
Irgendwie taucht dann doch Madalena auf, der Hafen von Pico. Das Schiff taumelt noch an zwei gefährlichen Felsen vorbei. Aber dank der Felsen kann ich wenigstens erkennen, dass wir gute Fahrt machen. Als wir in den Hafen einfahren, liegt da schon eine andere Fähre, auf Grund gelaufen. Mit dem Meer ist also wirklich nicht zu spaßen.
Weil es Leser gibt, die sagen „ach, der Andreas übertreibt immer“, habe ich hier noch zwei Videos von Fähren auf der gleichen Strecke. Aber denkt dran, diese Filme zeigen nur die Ausfahrt aus dem Hafen. Auf hoher See wird es dann erst richtig wild.
Für die Rückkehr nach Portugal habe ich dann gleich einen Flug gebucht.
Links:
- Die Insel Pico war ganz schön.
- Die Rückfahrt nahm ich von einem anderen Hafen, weshalb sie volle 2 Stunden anstatt 30 Minuten dauerte. Aber diesmal war es ein bisschen ruhiger. Ein bisschen.
- Da fällt mir ein, dass ich endlich über meine zwei Atlantiküberquerungen schreiben muss. Aber das ist so ein Riesenprojekt, es waren ja insgesamt drei Wochen auf dem Meer mit Stopps auf Madeira, Sint Maarten und Antigua, da muss ich noch ein bisschen Unterstützung für diesen Blog einsammeln. Vielen Dank!
Habe vollstes Verständnis für die Buchung. Schiff auf bewegtem Wasser ist auch nicht meins 😲
Wobei ich auch sagen muss, dass meine diesbezüglichen Vorsätze nie lange halten. Das Erlebnis ist jetzt schon zwei Monate her, und ich glaube, ich würde schon wieder auf ein Schiff steigen. Am Ende gewinnt immer die Abenteuerlust. 🙂
Die Atlantiküberquerungen waren eigentlich gar nicht schlimm, obwohl ich da ärgste Befürchtungen hatte. Vielleicht hatte ich Glück, vielleicht umfahren diese Kreuzfahrtschiffe die Stürme.
Aber bei vielen an sich kurzen Überfahrten hat es mich schon ganz schön durchgeschaukelt. Der Ärmelkanal kann echt wild sein (aber auf die Kanalinseln will ich trotzdem nochmal). Oder zwischen den Äolischen Inseln und Sizilien war es im Winter manchmal so fuchtig, dass sogar Fähren abgesagt wurden.
Die bisher ruhigste und schönste Fährfahrt, die fast zu schnell vorüber war, war im Sommer über die Adria, von Albanien nach Italien: https://andreas-moser.blog/2014/07/22/auf-nach-westen/
Die Kanalinseln haben wir uns für dieses Jahr abgeschminkt… aber dann.
Aber das ist ein wirklich lohnenswertes Ziel! Ich weiß gar nicht, wieso selbst die meisten Europäer nichts davon wissen.
Perfekt zum Wandern. Interessante Kombination aus französischer und englischer Kultur. Ein abstruses Rechtssystem mitten in Europa. Und schockierende Zeugnisse des nationalsozialistischen Größenwahns.
Ich war nur mal ein paar Tage Wandern auf Jersey, Guernsey und Sark. Damals habe ich einfach draußen geschlafen, es war Juli, da war das kein Problem. Es war wirklich wunderschön.
Leider habe ich damals noch nicht richtig geschrieben, weshalb die wenigen Notizen/Erinnerungen nicht für einen Artikel ausreichen. Aber es war so interessant, dass ich gerne mal wieder hinfahren würde.
Ich kann mich aber erinnern, dass die Leute dort schlauer waren, was die Fähren zwischen den Insel anbelangt. In Sark ging ich runter zum Hafen, wo angeblich mittags immer das Boot nach Guernsey kam. Eine Frau wartete schon an der Anlegestelle. „Mal sehen, ob das Boot heute kommt“, sagte sie. Ich fragte verwundrt, ob es denn manchmal nicht kommt. „Wenn die See zu stürmisch ist, dann fährt es nicht.“
Ich, damals noch voll naiv, fragte, was man denn dann mache. Mir schwebte so etwas wie ein Helikopter durch den Kopf.
Sie sagte ganz nonchalant: „Dann geht man halt wieder nach Hause und versucht es am nächsten Tag nochmal.“ Da denke ich oft dran, wenn jemand sagt, etwas sei dringend.
Wir werden im nächsten Jahr ganz sicher fahren, es ist ein wirklich spannendes Ziel.
Vielen Dank!
Ich fand die Idee, mit Fähren die Azoren-Inseln zu erkunden, ebenfalls reizvoll. Aber sowohl eine (für einen Binnenlandler) recht bewegte Überfahrt nach Helgoland als auch dein Bericht machen solche Gedanken absolut hinfällig 🤣
Wir können ja immer noch auf dem Chiemsee oder Bodensee herumfahren! 🙂
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Wow, diese Schiffe sind definitiv zu klein für die Wellen! Ich als Bodensee-Anrainer habe schon Respekt, wenn eine Welle größer als 50 cm ist 😰
Die Rückfahrt von Pico nach Faial dauerte sogar ein paar Stunden, weil ich von einem anderen Hafen losfuhr. Aber da war es dann relativ entspannt. Also, ich war immer noch froh, nichts gegessen zu haben, aber wenigstens hatte ich keine akute Todesangst mehr.
Aber zu iner von den weiteren Inseln, wo man den ganzen Tag unterwegs ist, hui, das stelle ich mir schrecklich vor.
Den Bodensee habe ich dieses Frühjahr mit der Fähre überquert, aber das war wirklich gemütlich und herrlich:
https://andreas-moser.blog/2021/05/13/autostoeppeln-1/