Für die Zeit nach dem Ende der Corona-Pandemie freuen sich die Menschen schon auf das Schwimmbad, auf die Eisdiele und auf das Großraumbüro. Ich freue mich am meisten darauf, wieder spontan reisen zu können. Sich einfach wieder an die Straße zu stellen und anstatt des auf diesem Blog überstrapazierten erhobenen Zeigefingers den Daumen rauszustrecken, bei Fremden ins Auto zu steigen und auf der Bundesstraße nach Buxtehude oder über die Balkanroute nach Babylon zu düsen.
„Hui, das ist aber gefährlich“, höre ich die ängstlicheren unter den Leserinnen bei letzterem Vorschlag flöten.
„Ganz und gar nicht“, entgegen ich dann immer, unter Verweis auf verrückte Radikaltramper oder mehr oder weniger empirisch begründeten Optimismus. Ab jetzt kann ich auf ein lesenswertes Buch verweisen: „Per Anhalter durch den Nahen Osten“ von Patrick Bambach. Der hat sich nämlich autostoppend auf die, so der Untertitel, „16.000 Kilometer vom Sauerland über den Iran nach Tel Aviv“ gemacht.

Das Buch ist ein großes Lesevergnügen, wunderbar witzig, ironisch, sarkastisch. Auf jeder zweiten Seite musste ich laut lachen. Da nimmt sich jemand selbst nicht zu ernst, weder in esoterischer Selbstbespiegelung wie in „aWay“, noch als größter Abenteurer aller Zeiten wie in „Warm Roads“, zwei ebenfalls dieses Jahr erschienene Tramperbücher.
Während jene beiden Bücher ziemlich egozentrisch sind, kommt Patrick Bambach als humorvoller und sympathischer Kerl rüber, mit dem man gerne ein paar Stunden im Auto verbringen würde. Und endlich mal jemand, der sich nicht nur so schnell wie möglich von A nach B schnorren möchte, sondern der übers Reisen, über Kulturkontakte, über Politik und über Gastfreundschaft reflektiert.
So ist sich Bambach zum Beispiel des Privilegs bewusst, „über die Konfliktgrenzen springen zu können, von Türken zu Kurden, von der türkischen Polizei zur PKK, von bewaffneten Irakern zu iranischen Polizisten. […] Geschützt hat mich dabei nicht meine Offenheit, sondern die Angehörigkeit zur ‚richtigen‘ Gruppe.“ Wenn ihm Menschen in Israel erzählen, wie gefährlich es ist, im Westjordanland zu trampen, dann bemerkt er zu seinem eigenen Entsetzen, warum es für ihn nicht gefährlich ist: Weil er kein Jude ist.

Und wenn ein besonders hilfsbereiter Gastgeber im Oman den überschwenglichen Dank Bambachs mit der Bemerkung „Ach, das ist doch kein Thema. Wenn ich nach Deutschland reise, würden mich die Menschen schließlich genauso freundlich und zuvorkommend behandeln!“ beiseite wischt, dann weiß der Autor nicht, was er sagen soll. Ihm ist klar, dass ein bärtiger Araber in Deutschland wahrscheinlich nicht so herzlich behandelt wird wie ein weißer Junge überall auf der Welt.
Aber das Buch ist auch voller Abenteuer: unfreiwillige Opiumräusche, Schlägereien in Georgien, ein Ausflug mit den Peschmerga, und immer wieder überraschende Begegnungen mit interessanten Menschen, der Essenz des Trampens. Was mich als Technikskeptiker besonders freut: Bambach hat die Reise – trotz Ingenieursstudium – ohne Smartphone zurückgelegt! Für Interessierte, die sich auch mal ans Trampen wagen wollen, hat er viele praktische Tipps parat, locker in den Text eingestreut.
Ich muss zugeben, ich habe selbst schon manchmal davon geträumt, per Anhalter nach Israel zu reisen. Dass der Weg entweder durch Syrien oder den Irak führt, hat mich bisher immer abgehalten, aber jetzt gibt es kein Halten mehr. Obwohl, Babylon wäre auch interessant… Ach, es gibt so viel zu erleben. Hoffentlich hält jemand an!
Links:
- „Per Anhalter durch den Nahen Osten“ bei Amazon.
- Patrick Bambach auf Twitter.
- Mehr Anhaltergeschichten.
- Meine Berichte aus dem Iran und aus Israel.
- Weitere Buchrezensionen und meine Wunschliste, um die reisefreie Zeit zu überbrücken.
Hi Andreas, thanks for pointing me towards this book. Obviously my German isn’t good enough to read it yet, but someday.
It is interesting that the author addresses the question of privilege as this is the one thing that puts me off most of these kind of books where mostly a white person travels freely through regions in a way that would be off limits to me as a non-white female with a passport that doesn’t open every door. I am not saying I have no privilege but just not the kind of access that most of these travel chroniclers do. So it’s good that this is at least discussed.
I am really glad that you mention that, because we white folks wouldn’t notice it otherwise. That’s why this book stood out for me. (Two other hitchhiking books I reviewed before were terrible.)
I became a bit more aware of this when I had an Iranian girlfriend for several years. The process to obtain visas was really degrading. I remember that we once went to the German Embassy in London to get a visa for Germany, and when they saw her Iranian passport, she was handed an extra sheet of paper about links to terrorism.
And I am sure it’s even worse as a male with an Iranian passport. Especially if one happens to wear a beard.
In other countries, it was sometimes rather obvious to me that I was treated better once people knew I was from Germany. It was easier to get through border controls in South America, it was easier to find an apartment, and in Bolivia nothing serious happened to me even as I overstayed the visa by four months: https://andreasmoser.blog/2016/08/05/bolivia-overstay/
Maybe people like me should just stop writing about their travels – although I justify it by focusing on traveling with very little money, trying to make it accessible for wider parts of society. But that still doesn’t address any of the race/gender issues. And even the class issue is tricky in my case, because although I am relatively poor by European standards, I don’t look or sound like it, so people still treat me differently.
Very complicated. But I still prefer blogs or books over Instagraph, where everything is always superficially shiny and pretty.
The „enraptured white male“ is a genre that exists in nature/ travel writing. But I don’t believe that people should stop writing because they are privileged- I think they just need to be conscious about their advantages when writing. Bolivia sounds like a nice country.
Ich trampe zwar nicht, aber ich lese gerne drüber, daher ist das Buch in meiner Leseliste und auf der Wunschliste der gebrauchten Bücher. Bin mal gespannt, wann ich es lese.
Es ist wirklich sehr erfrischend und reflektiert geschrieben.
Wer dabei keine Lust aufs Trampen bekommt…
So wie ich das auf den ersten Blick gesehen habe, verlief die Tramperroute über die autonomen, kurdisch verwalteten Gebiete im Irak, die als gut gesichert gelten. Im Grunde spricht bei einer so gewählten Route tatsächlich nichts dagegen, loszulegen 🙂
Genau!
Das ist nicht gefährlicher als eine Fahrt nach Regensburg oder so.
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