Ich weile, weil ich endlich wissen wollte, wo der gleichnamige Turm herkommt, gerade für zwei Wochen in der Eifel. Daraus wird, soviel sei versprochen und angedroht, ein längerer Bericht, aus dem ich vorab ein Kapitel teile.
Weil die Statuten der Eifelreiseberichterstattervereinigung verlangen, dass aus jedem Eifelbericht ein Eifelkrimi wird, habe ich mich beim Wandern in ein militärisches Sperrgebiet verlaufen, von wo ich mit Waffengewalt vertrieben wurde.
Um den Schusswechsel nicht vorwegzunehmen und die Spannung aufrecht zu erhalten, setzt diese kurze Episode erst danach ein:
Also ziehe ich weiter durch Felder und Wälder, über Hügel und Wiesen, bis ich – zielsicher wie ein Marschflugkörper – ein weiteres militärisches Geheimprojekt entdecke. Nur notdürftig getarnt steht mitten auf einem Feld ein Betonpfeiler. Die meisten Wanderer würden sich täuschen lassen und an eine langweilige landwirtschaftliche Nutzung denken, aber meine Kenneraugen erspähen sofort die fünfeckige Form. (Pentagon!)

Vorsichtig nähere ich mich, aber dieses Objekt scheint unbewacht. Als ich ankomme, merke ich warum: Montag ist hier Ruhetag.
Der Betonbunker ist nämlich eine Kapelle. Und zwar trotz seines Standortes nicht irgendeine Feld-, Wald- und Wiesenkapelle, sondern die architektonisch einzigartige Bruder-Klaus-Kapelle.
Auf der Bank hinter der Kapelle, im betongespendeten Schatten, sitzt ein urlaubendes Ehepaar aus dem sympathischen Süden unserer Republik, das zum Glück nicht ganz so weit wie ich gewandert, aber auch von der Nichtrundumdieuhrgeöffnetheit des dem allzeit präsenten Gott gewidmeten Bauwerks enttäuscht ist. Die beiden waren jedoch früher schon einmal da und schwärmen mir von der Innenarchitektur vor: Aus Bäumen wurde ein Gerüst aufgebaut, um das der Beton herumdrapiert wurde. Dann wurde ein Mottfeuer entfacht, wie bei einem Köhler, vielleicht durch eine unachtsam hinterlassene Zigarre, vielleicht mit Plan, Absicht und dolus directus, so dass die Innenwand durch die verkokelten, rußschwarzen Bäume in die Finsternis getaucht wurde, die bis zu Genesis 1:3 der Aggregatzustand allen Daseins war. Den einzigen Licht- (und Regen-)Einlass bietet das nicht vorhandene Dach.
Weil das Ehepaar äußerst freundlich und interessant ist und weil es auch mich in den Schatten drängt, setze ich mich zu ihnen. Die beiden kommen seit 20 Jahren in die Eifel, und das ist nicht so langweilig, wie es sich anhört. Es gibt da die Vulkaneifel, die Schneeeifel, die Kalkeifel, die Waldeifel, die Hocheifel, die Rureifel, und allein anhand der Ratschläge, die sie mir für die nähere Umgebung geben, lässt sich die Vielfalt dieser Region erahnen: Das Freilichtmuseum in Kommern. Das Westwall-Museum in Irrel. Quellfassungen und Wasserleitungen aus der Römerzeit. Die Tuchfabrik in Euskirchen. Eine V1-Abschussrampe bei Kelberg. Das Eifel-Literatur-Festival, unter anderem mit der Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk. Ruinen des Führerhauptquartiers Felsennest bei Rodert. Und vieles mehr, das zu memorieren ich vergessen habe.
Irgendwie will keiner von uns wirklich aufstehen und weiterwandern, und so verquatschen wir uns. Der Mann erzählt von Reisen nach Indien, wo er als Arzt bei Mutter Teresa gearbeitet hat. Die Frau erzählt, wie sie ein Jahr mit dem Rucksack durch Europa gewandert ist, bis ihr in Málaga das Geld ausging. Wir alle schwärmen von der Gastfreundschaft gerade der ärmeren Leute, die uns überall aufgefallen ist. Wir tauschen Erfahrungen aus dem Baltikum und Reisepläne für Kaliningrad aus. Wir reden über das, was das Leben ausmacht und dass Karriere, Konsum und Kapitalismus nicht zwingend dazu gehören. Wir sprechen über Bücher, Bildung und die Philosophie Einsteins.
Nach schätzungsweise eineinhalb Stunden schlägt der freundliche Herr vor: „Jetzt haben wir Sie so lange aufgehalten, fahren Sie doch mit uns zurück nach Bad Münstereifel.“ Die beiden müssen sowieso in die Richtung, und dankend – auch wegen der Möglichkeit, die höchst interessante Konversation zu verlängern – nehme ich an.
„Unsere zufällige Begegnung und unser Gespräch waren der Höhepunkt des heutigen Tages“, versichern wir uns gegenseitig zum Abschied. Ich meine das ehrlich, kann ich doch zu jenem Zeitpunkt noch nicht wissen, dass dieser sich dem Ende zuneigende Tag eine weitere überraschende Begegnung in petto haben wird.
Aber dazu mehr im endgültigen Eifelbericht.
Links:
- Wenn Ihr Euch auf das Milieu vorbereiten wollt, in dem das nächste Kapitel spielen wird, sind die Geschichten über das kleine Darlehen sowie den Obdachlosen vom Bahnhof in Klausenburg die richtige Einstimmung.
- Die Bruder-Klaus-Kapelle ist internetaffin und hat eine eigene Website.
- Alle Beiträge der Reihe „Eine Postkarte aus …“.
- Unterstützer dieses Blogs bekommen echte Postkarten von unterwegs. Bald auch wieder von internationalen Reisen.
Bad Münstereifel ist ein herrliches, kleines Städchen, welches ich jahrelang im Rahmen des Außendienstes mehrmals im Jahr besucht hatte. Leider kam ich noch nicht dazu, mir den Ort genauer anzuschauen, mit viel Zeit und Ruhe. Wenn dich Eifelkrimis interessieren, fahr (wander…) doch mal ins Krimimuseum in Hillesheim. Dort gibt es auch ein Krimi-Hotel, wo jedes Zimmer nach einem bekannten Krimi benannt und auch so gestaltet wurde. Ich weilte zuletzt im Columbo-Raum 🙂
Auch der Besuch im Freilichtmuseum war toll, auch wenn es geschüttet hat und die Häuser wegen COVID nicht begehbar waren. Die Eifel hat so viel zu bieten, dort könnte man ganze Wochen verbringen.
Ja, das habe ich schon gemerkt, es ist wirklich sehr vielseitig hier! Und dann ist man ja auch noch gleich in Luxemburg oder Belgien, wenn man will.
Ich finde es auch zum Wandern wunderbar, weil man viel im Wald ist, und zwar meist in schönen Buchenwäldern, aber dann immer wieder ins Freie mit weiten Ausblicken kommt. Und dann wieder ein enges Tal mit einem kleinen Fluss. Sehr abwechslungsreich.
Bad Münstereifel hat auch die richtige Größe für einen Aufenthalt von zwei Wochen, weil man bald jeden kennt. Wenn man zum zweiten Mal zur gleichen Pommesbude geht, wird man schon gefragt, was man denn eigentlich hier macht. 🙂
Lach, das ist mir noch nicht passiert… gut, ich war ja auch nicht an der Pommesbude. Und dort, wo ich war, kennt man mich, also stimmt wohl deine Theorie 🙂
Und die Briefträger, die Alkis auf der Parkbank und die hunde-ausführenden Damen hängen einem auch ein Gespräch an.
Auf Dauer wäre mir das ein bisschen zu klein, aber man fühlt sich schnell aufgenommen und angekommen in so einem Städtchen.
Danke für diesen tollen Blog. War sehr interessant zu lesen. Weiter so.
Vielen herzlichen Dank!