Sekundärtugenden

Bei einem Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen in Österreich las ich an einer der Häftlingsbaracken diesen Spruch:

Es gibt einen Weg zur Freiheit. Seine Meilensteine heißen: Gehorsam, Fleiß, Ehrlichkeit, Ordnung, Sauberkeit, Nüchternheit, Wahrhaftigkeit, Opfersinn und Liebe zum Vaterland.

Das ist an so einem Ort – die Heinrich Himmler zugeschriebene Parole ist auch in Dachau, Sachsenhausen und Neuengamme zu finden – an Zynismus kaum zu übertreffen.

Daran muss ich immer denken, wenn mir die kleinbürgerlich-spießige Verherrlichung von Sekundärtugenden wie Ordnung, Fleiß oder Sauberkeit sauer aufstößt. Allenthalben begegnet man ihnen, den Menschen, die öfter ihr Auto waschen als ein Buch lesen. Die peinlich darauf bedacht sind, dass ihre Wohnung picobello sauber ist, aber sich nicht stören, wenn in jener Wohnung rassistischer Unsinn gefaselt wird. Die Diktaturen loben, weil dort die Straßen so sauber sind. Und all die oberflächlich-dämlichen Lebensregeln, denen man bei Instagraph, LinkedIn und Jordan Peterson begegnet.

Den Leuten, die auf Letzteres stehen, könnte man wahrscheinlich sogar obigen Spruch unterjubeln, ohne dass sie es merken.

Nein danke, ich bleibe lieber ungehorsam, faul, trinke von Zeit zu Zeit, und lasse Schreibtisch, Wohnung und mein Leben unaufgeräumt. Und das Vaterland, das kann mir sowieso gestohlen bleiben.

Links:

Über Andreas Moser

Travelling the world and writing about it. I have degrees in law and philosophy, but I'd much rather be a writer, a spy or a hobo.
Dieser Beitrag wurde unter Österreich, Deutschland, Geschichte, Holocaust, Sprache abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

12 Antworten zu Sekundärtugenden

  1. Pingback: Mauthausen | Der reisende Reporter

  2. danysobeida schreibt:

    Sagradamente libre … bueno quito lo sagrado, impecablemente libre, me parece mas adecuado. Estimulante corto.

  3. Leela schreibt:

    unglaublicher Zynismus…

  4. André Motzer schreibt:

    Was man zwischen den Zeilen liest: Du bist du ein absoluter Versager, der aus Deutschland ausreisen sollte. Deine verallgemeinernde Art und verschobene Ansicht und Auffassung lassen deine Äußerungen irrational erscheinen. Du bist ein Selbstdarsteller und Narzisst im Schafspelz.

  5. tinderness schreibt:

    Den Ausführungen von Andreas kann ich nur zustimmen: sie haben das Wesen der (kleinbürgerlichen, rechtslastigen) Doppelmoral in unserer Gesellschaft ehemals wie gegenwärtig gut getroffen. Was den Motzer betrifft: er muss auf das losschlagen, was er nicht leisten kann. Ein Armutszeugnis!

  6. Kasia schreibt:

    Das Schönste an potentiell polarisierenden Beiträgen sind oftmals die Kommentare. Es ist interessant zu lesen, wer sich inwieweit auf die Füße getreten fühlt und wie sachlich (oder auch nicht) er oder sie in eine Auseinandersetzung geht…

    • Andreas Moser schreibt:

      Genau!
      Bei solchen Artikeln erwarte ich schon fast die Kommentare wie „Jetzt muss doch mal Schluss damit sein“.

      Normalerweise kommt immer noch „Aber mit den deutschen Tugenden führt man eben auch eine effiziente Verwaltung, weshalb wir das erfolgreichste Land der Welt sind, bla bla“ – aber das hat seit der Corona-Pandemie ein bisschen nachgelassen. 🙂

    • Kasia schreibt:

      Na ja, eigentlich habe ich noch schreiben wollen, dass ich nichts gegen Ordnung habe, aber naja… Es ist ja genau dieses spießige Bild, das du zeichnest und das so treffend ist. Etwas pauschalisierend – ja, sicher. Aber manchmal braucht es die Überzeichnung, um Dinge deutlich zu machen. Ein aufmerksamer Leser wird erkennen, worauf der Artikel hinaus will.

    • Andreas Moser schreibt:

      Ich habe auch nichts gegen Ordnung, vor allem im Schriftlichen. Deshalb zB die pedantische Verlinkung von Quellen und thematisch verwandten Artikeln auf meinem Blog.

      Aber Leute, für die Ordnung ein Selbstzweck ist, erscheinen mir oft ziemlich langweilig und eindimensional. Wenn ich in eine Wohnung komme, die jeden Tag so aussieht, wie wenn sie verkauft werden soll, und keinerlei Bücher, Zeitungen oder sonstiges Papier herumliegt, dann werde ich misstrauisch.

      Und hier ging es tatsächlich darum, Sekundärtugenden nicht wichtiger als Primärtugenden wie Hilfsbereitschaft oder Mut zu nehmen.

    • Kasia schreibt:

      Das ist auch so angekommen 🙂 Hm, wenn ich in eine Wohnung komme, wo nichts herumliegt, werde ich neidisch. Das krieg ich nicht hin, egal, wie ich mich bemühe. Aber ich muss ehrlicherweise zugeben, dass ich da oft einfach andere Prioritäten setze. Wandern und Freizeit zum Beispiel statt putzen und schrubben… 🙂

  7. Pingback: Häftlingsdisziplin | Der reisende Reporter

Hier ist Platz für Kommentare, Fragen, Kritik:

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s