Ich habe schon öfter im Leben meine Meinung geändert. Ich finde das ganz selbstverständlich. Schließlich erfährt und lernt man ständig etwas Neues, denkt immer mal wieder von vorne nach und kommt dabei zu neuen Schlussfolgerungen. Menschen, die heute in allen Punkten der gleichen Meinung sind wie vor zehn oder zwanzig Jahren, sind mir suspekt. Und ja, das ist ein nettes Wort für langweilig.
Aber in einem Punkt bin ich mir ziemlich sicher, dass ich ihn keiner baldigen Revision unterziehe: Die beste Literatur kommt aus Osteuropa.

Ein aktuelles Beispiel ist „Rote Kreuze“ des belarussischen Autors Sasha Filipenko.
Schwere Kost, könnte man meinen, wenn ich mich auf die Inhaltsangabe beschränkte: Der junge Ich-Erzähler verliert seine Frau, braucht einen Tapetenwechsel, zieht nach Minsk, lernt die 91-jährige Nachbarin kennen. Die erzählt, soweit der Alzheimer es noch zulässt, aus ihrem Leben. Oktoberrevolution, Zweiter Weltkrieg, ihr Mann gerät in rumänische Kriegsgefangenschaft, alle Spuren verlieren sich. Sie wird verhaftet, kommt in den Gulag, die Tochter in ein Waisenhaus in Kasachstan. Späte Suche nach der Familie, im Belarus von Lukaschenko, in einer Gesellschaft voller Stalin-Bewunderer.
Immer wieder musste ich an „Secondhand-Zeit“ von Swetlana Alexijewitsch denken. Aber während man jenes Werk nur kapitelweise verkraften kann und dazwischen lange Pausen zum Erholen und Verarbeiten braucht, kommt „Rote Kreuze“ ganz leicht erzählt daher. Stellenweise sogar humorvoll. Aber nie gekünstelt, nie kitschig. Es trifft in jeder Situation den richtigen Ton, ganz schnörkellos, wobei auch die Übersetzerin Ruth Altenhofer einmal lobend erwähnt sei.
Ein starkes Buch, das einem die Stärke nicht aufdrängt.
Und das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen, deren Leidenszeit nach der Rückkehr in die Sowjetunion nicht zu Ende war, hat mich wieder einmal fragen lassen, was eigentlich aus „unserem“ Kriegsgefangenen wurde.
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- Vielen Dank an Achim Haubelt, der das Buch auf meiner Wunschliste entdeckt und mir ein Bücherpaket geschickt hat!