Wenn seit dem Ende einer Diktatur genügen Jahre ins Land gezogen sind, werden manche Menschen nostalgisch. Sie überbetonen dann die positiven Aspekte der Diktatur und vergessen die Arbeitslager, die politischen Gefangenen, die Zensur. Sie nehmen ihren Lieblingsdiktator in Schutz, indem sie darauf hinweisen, dass er nicht so schlimm war wie andere Diktatoren, wie wenn das der Maßstab wäre. Oft vermengen sie die Erinnerung an die Zeit, in der sie noch jung und gesund waren, mit einer Verklärung der „guten alten Zeit“, ohne zu bemerken, dass sie in einer Demokratie mindestens genauso jung und gesund gewesen wären.
Ein Aspekt, den ich jedoch auf Reisen vom Iran bis zu den Nachfolgestaaten Jugoslawiens und der Sowjetunion gelernt habe, ist, dass Menschen echt sauer sind, wenn sie jetzt ein Visum benötigen, um in Länder zu reisen, die sie früher visumsfrei bereisen konnten. Teilweise liegt das daran, dass einige osteuropäische Staaten Schengen-Mitglied wurden, manchmal liegt es an einer generellen Verschärfung der Visumsregeln, vor allem in den USA, und teilweise ist es eine natürliche Folge des Auseinanderfallens alter Reiche.
Wie mir ein Mann in Transnistrien sagte: “Als wir die Sowjetunion noch hatten, konnte ich frei reisen. Ich konnte nach Lettland, Weissrussland, Kirgistan, Kasachstan, überall hin. Jetzt brauche ich für all diese Länder ein Visum.“ Trotz der gewonnenen politischen, wirtschaftlichen und persönlichen Freiheiten wiegt der Verlust eines bestimmten Aspekts der Reisefreiheit mehr. Dabei wird oft übersehen, dass es in jener Zeit oft die eigenen Staaten waren, die ihre Bürger nicht ziehen ließen.
Immer wenn ich diese Art der Nostalgie für Diktaturen oder unterdrückerische Regime, inklusive der DDR-Ostalgie, sehe, frage ich mich, was wohl diejenigen dabei empfinden, die Verfolgung, Gulag oder politische Haft überlebt haben.
Und wenn Jugoslawien, die DDR oder die Sowjetunion tatsächlich so großartig waren, warum sind sie dann kollabiert?
(Die Fotos habe ich in Cetinje, Montenegro gemacht. – To the English version of this article.)
Kollaps allein würde ich noch nicht als Kriterium sehen, ob ein Reich/System großartig war oder nicht. Allein schon der Faktor Zeit bringt es wohl mit sich, dass jedes Reich/System einmal kollabiert. Oder man male sich eine friedliche Kultur A aus, die von einer kriegerischen Raubkultur B erobert wird. Das geht auch innerhalb der Kultur, man denke nur an die erste deutsche Demokratie W, die von einer Diktatur N abgelöst wurde. Trotzdem war W weitaus besser als N. Oder man denke an ein bösartiges System, das viele tausend Jahre besteht.
Vielleicht könnte man die Ausgangsfrage präzisieren:
Warum erfolgte der Kollaps schon nach relativ kurzer Zeit?
Und warum erfolgte der Kollaps, ohne dass bösartige Kräfte ihn bewirkten?
Wobei „bösartig“ natürlich immer sehr wertend und subjektiv ist.
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