Kiew – Tag 3/21 – Tauben

Ach, müsste ich doch keine Fotos des Maidan Nesaleschnosti für diesen Blog machen, dann würde man mich vielleicht nicht als Tourist erkennen. Aber so kommt ein Mädchen mit zwei Tauben auf mich zu und fragt, woher ich bin.

„Deutschland“, sage ich, obwohl ich es besser wissen müsste.

„Oh, Deutschland! Aus Berlin, Hamburg oder München?“

Ich erkläre, dass Deutschland auch andere Städte und Regionen aufweist, hauptsächlich um sie von ihrem Drehbuch abzubringen. Aber sie spult ihr Programm ab wie ein Roboter, setzt mir Tauben auf den Arm, nimmt meine Kamera, macht ein paar Fotos.

Hinzu kommt ihr Kollege, ebenfalls mit zwei dummen Tauben. „Woher kommen Sie?“ „Aus Deutschland.“ „Oh, Deutschland! Aus Berlin, Hamburg oder München?“ Anscheinend arbeiten alle für die gleiche Taubenfirma, die nicht sehr kreativ ist. Er addiert seine zwei Tauben zu den bereits zwei überflüssigen Tauben.

Das Mädchen wird immer nerviger, sagt dass ich lächeln soll, dies und das machen soll. Menschen, die wie Roboter sind, wollen gerne dass alle anderen Menschen auch wie Roboter funktionieren. Das kennt Ihr ja aus der Arbeit oder der Ehe. Nur weil das Mädchen meine Kamera hält, werfe ich die Tauben nicht in die Luft, um ihnen zu zeigen, dass sie wegfliegen können. Der Platz heißt schließlich Unabhängigkeitsplatz.

Tauben

Als die beiden mir die Tauben abnehmen und die Kamera zurückgeben, rücken sie mit dem Motiv hinter dem Stunt heraus: Es geht , wie sich die Weitgereisten unter Euch schon gedacht haben, um Geld. „Kinder geben normalerweise 200 Hryvna, Erwachsene 300 Hryvna“. Das sind 11,50 €, wirklich zu viel für etwas, das ich weder wollte noch brauche.

Ich biete jedem der beiden Taubenzüchter 50 Hryvna an. „Das sind ja nur 2 €“, erklärt das Mädchen mir und den Lesern meines Blogs dankenswerterweise. „Ich arbeite hier auf Kommission, ich bekomme kein festes Gehalt. Ich bin Studentin“, jammert sie mit einer Leidensmiene, wie wenn Russland gerade einen Teil ihres Landes abgezwackt hätte.

Ich bin auch Student„, erkläre ich und zeige, da das Portemonnaie schon offen ist, meinen Studentenausweis, stoße jedoch auf keine Sympathie. „Aber Sie sind ein alter Mann“, erwidert der Junge, der offensichtlich nicht viel vom Konzept des lebenslangen Lernens hält.

„Was studieren Sie?“, fragt das Mädchen.

„Geschichte. Deshalb bin ich eigentlich auf diesen Platz gekommen, um mich umzusehen und die Informationen zu lesen“, sage ich in der Hoffnung, dass sie merkt, wie ungelegen mir die columbidäische Gaukelei kommt.

„Ich studiere Medizin.“ Tja, hätte sie mal besser Jura studiert. Dann wüsste sie, dass Tauben-auf-den-Kopf-von-fremden-Menschen-Setzen keinen Fall von Artikel 205 Absatz 3 des ukrainischen Zivilgesetzbuches darstellt und deshalb keinen vertraglichen Vergütungsanspruch begründet.

Am Ende nimmt sie die 50 Hryvna, der Junge verzichtet stolz darauf. Vielleicht muss am Abend eine der Tauben in den Kochtopf.

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Über Andreas Moser

I am a lawyer in Germany, with a focus on international family law, migration and citizenship law, as well as constitutional law. My other interests include long walks, train rides, hitchhiking, history, and writing stories.
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4 Antworten zu Kiew – Tag 3/21 – Tauben

  1. Ana Gertrud Cretoiu schreibt:

    “ich komm , weiss nicht woher,ich bin und weiss nicht wer,…mich wundert,dass ich so froehlich bin.“

  2. Pingback: Kyiv – Day 15/21 – Pigeons | The Happy Hermit

  3. Pingback: Reise zum Mittelpunkt Europas – Kruhlyj, Ukraine | Der reisende Reporter

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