Mein Valentinstag

Es ist der herzchenüberfrachtete und geträllerzerstörte 14. Februar, aber für mich ein Arbeitstag wie jeder andere. Also gehe ich am Abend ins Café, um bei Torte, Mineralwasser und Zigarre ein Buch zu lesen.

Die gemütlichen Sofas sind leider schon besetzt mit Paaren, die sich selbst als Pärchen bezeichnen würden, so wie man Dummchen sagt, wenn man nicht wirklich weh tun will, oder Schnittchen, wenn man nicht wirklich satt wird.

Zwei Jungs, die auf der Musikhochschule allenfalls in Mikrofon und Lautsprecher graduiert haben, singen die kitschigen Songs (etwas mit „Love“ und „Heart“ und „Forever“) so schlecht, dass man sich stattdessen eine Wiederholung des Eurovision Song Contest wünscht.

Wie Galgen hängen Pappherzen von der Decke, natürlich in blutrot, die entweder Kindergartenkinder oder Chinesen oder chinesische Kindergartenkinder ausgeschnitten haben.

Die Mädchen sind noch mehr herausgeputzt und aufgedonnert als sonst. Die Jungs sind mal ohne Jogginghose und -schuhe ausgegangen. Auf den Tischen stehen Weinflaschen, denn an einem besonderen Tag muss man etwas Besonderes trinken. Dass das Besondere fast an jedem Tisch das Gleiche ist, ist ein Widerspruch, der entweder nicht auffällt oder nicht weiter stört.

Das wirklich Besondere bin ich, denn ansonsten traut sich in dieser Stadt anscheinend niemand allein aus dem Haus oder zumindest nicht ins Café. Nur zu zweit oder zu viert. Auch nicht zu dritt. Die Freunde sind hauptsächlich dabei, damit man sich gegenseitig fotografieren, die Fotos sogleich posten und unverzüglich kommentieren kann. Da eine Vierersitzgruppe mindestens vier Mobiltelefone hat, die alle mindestens ein Facebook, ein Instagraph, ein SnapApp und etliche WhatsUp-Gruppen haben, ist das fast ein Vollzeitjob.

Ich beobachte viele Paare, die an diesem vorgeblich romantischen Tag weniger Augen- und Gesprächskontakt untereinander als Klick- und Like-Kontakt mit einem Gerät (ebenfalls aus chinesischen Kinderhänden) haben. Wenn sie mal miteinander sprechen, dann, um sich kleine Bildschirme vor die Nase zu halten und bestätigende Kommentare für die vorgenommenen Verzierungen mit Herzen einzuholen. Die Herzen sind natürlich genau die gleichen, die all die anderen Paare hier und weltweit heute Abend verwenden.

Das ist in Ordnung. Wer so leben will, soll so leben. Aber man bezeichne diesen kitschigen, kommerzialisierten, kleinbürgerlichen Klamauk bitte nicht als romantisch.

Wer ein romantisches Leben führt, dem ist es egal, was er am 14. Februar macht. Und dem ist es erst recht egal, wieviele Likes er innerhalb einer Stunde bekommt.

Je mehr ich mich umsehe und je mehr Paare ich sehe, die bald heiraten werden weil ihre Freunde geheiratet haben, die bald ein Kind bekommen weil ihre Freunde Kinder bekommen, die sich für eine Eigentumswohnung verschulden werden weil ihre Freunde es ebenso machen, und die sich nach fünf bis sieben Jahren scheiden lassen weil die Hälfte ihrer Freunde sich scheiden lässt (und das ist noch die relativ glücklichere Hälfte), umso mehr erkenne ich, dass ich der einzig echte Romantiker hier bin, keine Ahnung davon habend, wo ich in einem Jahr sein werde.

Stadtmauer Kotor beleuchtet

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Über Andreas Moser

Travelling the world and writing about it. I have degrees in law and philosophy, but I'd much rather be a writer, a spy or a hobo.
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11 Antworten zu Mein Valentinstag

  1. Wie waren die Torten denn so, gab es da Spezialitäten, von denen man hier nichts weiß?

  2. Pingback: Links am Sonntag, 16.02.2020 – Eigenerweg

  3. Pingback: My Valentine’s Day | The Happy Hermit

  4. Katja Kubiak schreibt:

    so romantisch 😀 gefällt mir

    • Andreas Moser schreibt:

      Danke!
      Meistens gehe ich allerdings gar nicht aus, nicht einmal allein.

    • Katja Kubiak schreibt:

      Rennst du vor irgendwas davon?

    • Andreas Moser schreibt:

      Eigentlich nur vor Monotonie, würde ich sagen.

    • Katja Kubiak schreibt:

      Dafür lese ich zu oft das Wort „allein“. Aber gute Antwort. Ich gehe immer, weil mich im Prinzip nichts hält…vlt ändert sich das ja irgendwann.

    • Andreas Moser schreibt:

      Das Alleinsein ist eine Voraussetzung für ein abwechslungsreiches Leben, finde ich. Mit anderen Menschen spielen sich doch meist irgendwelche Routinen ein. Angefangen vom täglich gleichen Frühstück, über die tägliche Fahrt in die Arbeit, bis zu meist über Jahrzehnte unveränderten Gedanken.
      Das Alleinsein gibt mir die Freiheit, ständig neue und andere Menschen, verschiedene Orte und neue Ideen kennenzulernen.

  5. Pingback: Zigarrenschmuggel nach Polen | Der reisende Reporter

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