„Die Reise ins Reich: Unter Reichsbürgern“ von Tobias Ginsburg

Ich habe zwar die ultimative Anleitung für Diskussionen mit Reichsbürgern geschrieben, aber persönlich kenne ich keinen. Soweit ich weiß. Wahrscheinlich halten sie sich fern von mir. Die Zeugen Jehovas diskutieren ja auch lieber mit Laien als mit Theologen.

Wer wissen will, wie es unter den Reichsbürgern aussieht, kann aber auf ein Buch von Tobias Ginsburg zurückgreifen, der sich unter Verschleierung seiner echten und teils mit falscher Identität monatelang in dieser Szene bewegt hat.

„Die Reise ins Reich“ heißt sein Bericht, der gleichzeitig einen tiefen Einblick gewährt, einen aber umso ratloser zurücklässt. Das liegt nicht am Autor, sondern an den Beobachtungsobjekten. Die Reichsbürgerszene ist so arg zersplittert, dass er sich in verschiedene Kommunen, Workshops, Seminare und etliche stark alkoholisierte Hinterzimmertreffen einschleichen muss.

50462112zZu inhaltlichen Diskussionen kommt es dabei weniger, denn Ginsburg darf ja nicht auffallen. Die Diskussionen zwischen den verschiedenen Gruppen drehen sich eher ums Strategische. Viele aus der Reichsbürgerszene sind sich bewusst, dass sie als Idioten und/oder Nazis angesehen werden, und versuchen, mit alternativen Begriffen wie „Souveränität“ oder „Freiheit“ zu agieren. Das kennen wir ja mittlerweile von den Demonstrationen gegen die Einschränkungen aufgrund von COVID-19, wo sich auch wieder die Leute tümmeln, die sowieso überall eine (jüdische) Weltverschwörung wittern.

Dabei erfährt man von Verbindungen in die AfD, von Verbindungen nach Russland und, was mich überrascht hat, ganz viel Überschneidung mit Esoterik. Da fangen Leute mit Homöopathie und Energiesteinen an, bekommen Panik vor Impfungen und beginnen so, alles zu hinterfragen. Das Anzweifeln von Experten und Autoritäten, seien es Mediziner, Historiker oder Juristen, führt anscheinend manchmal dazu, dass die Leute stattdessen jeden Unsinn glauben, den sie auf YouTube sehen. Und so treten im Buch eine ganze Menge Esoteriker und Hippies auf, die keinesfalls rechtsradikal sind, aber immer mehr in Verschwörungstheorien abgleiten. Und dann gibt es eben auch eine Heilpraktikerin, die den Holocaust leugnet.

Ich fand „Die Reise ins Reich“ manchmal zu wenig systematisch, aber es ist eben kein Sachbuch. Es ist ein Bericht. Die Stärke liegt im Beobachten und Beschreiben der Personen, die sich von der Reichsbürger-Szene angezogen fühlen. Teilweise ist es klischeehaft und peinlich, aber was soll man machen, wenn sich die Leute in klischeehaften Hinterzimmern von klischeehaften Kneipen besaufen und auf den Zusammenbruch der Bundesrepublik Deutschland hoffen. Meist erzählt Ginsburg durchaus mit Empathie für die Menschen, die ihm viel (an)vertraut haben. Viele von ihnen sind einsam, haben Kriesen durchlebt und fühlen sich besser, wenn sie zu einem erlesenen Zirkel gehören, der „die Wahrheit“ kennt und „das System durchschaut“.

Reichsbürger Königreich Deutschland

Ein interessanter Einblick in eine Welt, die nicht kleiner zu werden scheint.

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Über Andreas Moser

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3 Antworten zu „Die Reise ins Reich: Unter Reichsbürgern“ von Tobias Ginsburg

  1. Katja Kubiak schreibt:

    Ich kenne beide. Zeugen J. und überzeugte Reichsbürger. Die letzteren sind mit sympathischer, wenn man das so sagen kann. Z.J. haben mir von 1976 bis 1996 gelinde gesagt, die Kindheit und Jugend ruiniert…in der DDR..
    Irgendwann erzähl ich mal drüber XD

    • Andreas Moser schreibt:

      Oje, das hört sich schlimm an, schon wegen der langen Zeit.
      Ich habe keine näheren Bekanntschaften mit denen gemacht, außer dass sie überall auf der Welt immer mal wieder vorbeikamen. Aber da war ich schon erwachsen und gefestigter Atheist.

    • Katja Kubiak schreibt:

      Mich konnten die auch nicht beeinflussen XD

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