So, jetzt bin ich aber wirklich länger als genug in Ammerthal geblieben. Mietfreies Wohnen und ein gemütliches Zimmer voller Bücher böten eigentlich angenehme Voraussetzungen für einen Studenten, aber es fehlen einfach die sozialen, intellektuellen und kulturellen Kontakte und Möglichkeiten. Wenn man in die Bibliothek, zu einem Vortrag, ins Kino, ins Café oder zum Bahnhof will, muss man erst eineinhalb Stunden durch den Wald in die nächste Kleinstadt laufen.
Im Sommer ging das ja noch, aber spätestens seit November wurde es ungemütlich und deprimierend. Zu der geistigen Einöde ist die graue Nieselregeneinöde der oberpfälzischen Provinz hinzugetreten, die die Bewohner jedes Jahr mit dem ewig gleichen kitschig blinkenden Weihnachtsfirlefanz bekämpfen wollen, dabei aber nur ein Zeichen setzen für die unendliche Monotonie der Leben, die Jahr für Jahr das Gleiche tun. Schon heute wissen sie, was sie an Weihnachten 2018 zum Abendessen kochen werden.
Ich muss hier dringend weg. Auf jeden Fall noch vor dem alljährlichen Horrorfest Ende Dezember.
Mir fehlt das Stadtleben. Es muss nichts großes sein. Nur genug, dass man nicht jeden Tag die gleichen Menschen trifft, wo man in Cafés über den Tageszeitungen gebeugt heftig diskutiert und wo sich in Kellerkneipen rauchende Schriftsteller ihre Manuskripte vorlesen.
So etwas gibt es nur in Osteuropa.
Die spannendste Gegend Osteuropas – und damit Europas überhaupt – ist der Balkan. Eine Menge kleiner Staaten, die kaum ein Europäer vollständig aufzählen kann, viele so klein, dass man an einem Tag drei verschiedene Länder besuchen, drei unterschiedliche Sprachen sprechen und in ganz unterschiedliche Kirchen und Moscheen gehen kann. Mir gefällt diese Vielfalt.
Jedes dieser Länder ist interessant und verlockend, aber bei einem früheren Besuch habe ich entschieden, dass Montenegro für mich das schönste Land Europas ist. Die Kombination von Adria und Bergen, von Bergdörfern und Königspalästen, alles in einem relativ kleinen Land, macht es einen Besuch wert.
Außerdem ist Montenegro eines der jüngsten Länder Europas. Es wurde erst 2006 unbhängig. In Osteuropa habe ich oft fasziniert erlebt, dass in so jungen Staaten noch mehr Dynamik und Bewegung herrscht, dass noch über die Wege gestritten wird, die das Land nehmen soll. (Seit diesem Jahr ist Montenegro übrigens unser jüngster NATO-Kollege.)
In Kotor, dessen Innenstadt autofrei und dafür voller Katzen ist, wo sich das Meer und die Berge treffen und wo es bei meinem letzten Besuch eine Ausstellung über Jan Karksi gab, habe ich eine gemütliche kleine Wohnung gefunden. Dort kann ich bis Ende Februar 2018 günstig wohnen, weil die Zeit außerhalb der Touristensaison liegt. Hoffentlich bedeutet das nicht, wie einst in Malta oder Sizilien, dass es den ganzen Winter über saukalt sein wird. (Falls doch, ziehe ich nächsten Winter gleich nach Sibirien, ich schwör’s.)
Im März 2018 muss ich für die ersten Klausuren meines Geschichtsstudiums schon wieder nach Deutschland, und danach – ach, das erzähle ich später mal.
Apropos Geschichte: Mein Großvater lebte bis November 1948 in Jugoslawien, allerdings eher unfreiwillig. Vielleicht kann ich bei diesem längeren Aufenthalt im früheren Jugoslawien endlich mal herausbekommen, wo genau er die Kriegsgefangenschaft verbrachte und mir den Ort ansehen.
Wenn jemand mehr über Kriegsgefangenenlager in Jugoslawien weiß, würde ich mich über Hinweise freuen. Ich weiß nur, dass er in einem Salzbergwerk arbeitete, falls das die Suche etwas einengt.
Oh, und ich sollte noch klarstellen, dass mein Umzug nach Montenegro nichts, aber auch gar nichts mit dem Pokertournier im Casino Royale zu tun hat.
Wie sagte Professor Walter Höllerer so schön: Provinz ist nicht gut. Provinz ist nicht schlecht. Provinz ist, was du daraus machst. Grüße dad
Hat er das gesagt bevor oder nachdem er Sulzbach-Rosenberg verlassen hat, um in Erlangen, Göttingen und Heidelberg zu studieren und in Frankfurt, Berlin und den USA zu arbeiten?