Grüne Hauptwege in Berlin

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Ganz Deutschland schimpft auf Berlin. Nicht immer weiß man, ob echte Abscheu, heimlicher Neid oder einfach nur die Lust am Meckern dahinter steckt. Diejenigen, die am lautesten tönen, dass Berlin ein Moloch, ein Sündenpfuhl oder die Welthauptstadt des Chaos sei, waren wahrscheinlich noch nie dort.

Kurioserweise schimpfen aber auch die Berlinerinnen und Berliner den ganzen Tag. Hier sind wiederum diejenigen am lautesten, die Berlin noch nie verlassen haben und deshalb glauben, dass überall anders jede U-Bahn pünktlich ist, dass man in anderen Großstädten ohne Termin zum Einwohnermeldeamt gehen kann oder dass sich im Rest der Republik alle Straßen und Brücken über Nacht selbst reparieren, ohne Baustellen und Umleitungen, ohne Zeit- und Budgetüberschreitung.

Berlin, in der Vorstellung der Menschen außerhalb Berlins

Ich selbst bin eigentlich kein Großstadtmensch. Aber jedes Mal, wenn ich in der größten Stadt der Europäischen Union weile, bin ich positiv überrascht. Und als Garant der guten Laute, als Oberoptimist, als Streiter für das Wahre und Schöne, als den Ihr mich kennt, möchte ich Euch ein wenig teilhaben lassen an meinen Spaziergängen durch unsere sympathische Bundeshauptstadt.

Es gibt in Berlin, leider relativ unbekannt, ein Netzwerk von Wegen, Routen und Pfaden, auf denen man einen ganz anderen Eindruck von Gotham City bekommt. Grüne Hauptwege heißen diese, und es gibt derer zwanzig. Auf insgesamt 550 km schlängeln sich diese Routen hauptsächlich in Grünanlagen, in Wäldern und entlang der Wasserläufe durch Berlin.

Ich weiß nicht, ob ich alle abspazieren werde. Man hat ja auch noch andere Pläne im Leben (Babylon, Bagdad, Buxtehude, um nur einige zu nennen). Und manche der Wege sind doch ein wenig lang, bis zu 63 km, wie beim Grünen Hauptweg Nr. 1 (Spreeweg).

Andererseits, und das ist das Schöne an Berlin und an den Grünen Hauptwegen, kann man jederzeit pausieren, in den Bus oder die Bahn steigen, nach Hause fahren, und die Wanderung am nächsten Tag oder Wochenende fortsetzen. Und für zwischendurch gibt es auch ganz kurze Wege, ab 7 km, wie beim Grünen Hauptweg Nr. 20 (Bullengrabenweg).

Als ersten Weg habe ich eine zwischen diesen beiden Extremen liegende Route gewählt: Die 33 km des Grünen Hauptweges Nr. 2 (Spandauer Weg). Der ausführliche Bericht dazu erscheint in den nächsten Tagen, aber hier schon mal ein kleiner fotografischer Vorgeschmack.

Ganz ehrlich: Ich war vollauf begeistert! Ich wusste natürlich, dass Berlin grüner ist als Tokio. Aber dass man hier wirklich kilometerweit durch die Natur laufen kann, ohne auch nur einen anderen Menschen zu sehen, das hätte ich nicht geahnt. Ein langer, sehr abwechslungsreicher und absolut lohnenswerter Weg.

Die Idee für die Grünen Hauptwege ist übrigens eine alte. Der Stadtplaner Hermann Jansen hatte sie bereits in seinen Plänen für das 1920 gegründete Groß-Berlin vorgesehen. Leider kamen dann die Inflation, die Weltwirtschaftskrise, der Nationalsozialismus, der Zweite Weltkrieg, die weitgehende Zerstörung der Stadt und die Teilung Berlins dazwischen. So wurde das Projekt erst ab 1994 verwirklicht.

Diejenigen, die diesen Blog kennen, werden es bereits ahnen: All diesen dramatischen historischen Einschnitten werden wir auch auf den Wanderungen begegnen. Ein Spaziergang mit mir ist eben auch immer ein Vor- und Zurückspringen auf der Zeitachse, ein wildes Hin und Her durch die Jahrhunderte.

Für die Berlinerinnen und Berliner, die mir jetzt ihren Lieblingsweg zeigen wollen: Vielen Dank, ehrlich, aber wenn ich schreiben und fotografieren will, dann muss ich alleine losziehen. Ich mache ja auch viele Umwege, klettere da hinab, steige dort hinauf. Und immer wieder lange Schreib- und Rauch- und Nachdenkpausen.

Aber wenn Ihr entlang eines der Wege wohnt und zufällig Kola und Kuchen im Garten stehen habt, wenn ich vorbeikomme – so wie hier beim Gutshaus Neukladow -, dann ruft und winkt mich gerne herbei!

Alle anderen können die Wanderungen (und vor allem die Artikel darüber) durch eine kleine Spende unterstützen. Dafür schicke ich Euch dann eine Postkarte von unterwegs. – Jetzt ärgern sich die Rudolf-Heß-Fans, dass sie die Wanderung durch den Bezirk Spandau verpasst haben. 😉 Aber die Schnittmenge zwischen diesen Ewiggestrigen und der stets der Zukunft zugewandten Leserschaft meines Blogs dürfte gering sein. Hoffe ich.

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About Andreas Moser

I am a lawyer in Germany, with a focus on international family law, migration and citizenship law, as well as constitutional law. My other interests include long walks, train rides, hitchhiking, history, and writing stories.
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24 Responses to Grüne Hauptwege in Berlin

  1. Avatar von Dirk Dirk sagt:

    Heimlicher Neid steckt dahinter, sonst nix! 😊 Tolle Bilder und eine super Inspiration….

  2. Avatar von Richard Richard sagt:

    Danke für den Bericht aus der alten Heimat, ich freue mich auf die Fortsetzungen.
    Übrigens sind diejenigen, die am lautesten über Berlin meckern, die Ur-Berliner. Meckern liegt uns nun mal im Blut – deshalb ist das größte Kompliment, das ein Berliner machen kann: „Da kannste nich meckern…“ 😉

    • Kompliziert wird’s wenn die Ur-Berliner über die Neu-Berliner meckern, weil die so viel meckern. Oder falsch meckern. Oder zu wenig.

      Ich bin gerade nach Chemnitz gezogen (Berlin ist nur wieder ein Housesitting), da scheint das ähnlich zu sein. Wenn ich mich positiv über die Stadt äußere, werde ich von den Eingesessenen bestenfalls argwöhnisch beäugt, schlimmstenfalls beschimpft.
      Ich komme mir vor wie die amerikanischen Touristen, die nach Europa kommen, immer lächeln und alles „great“ finden, und von denen die Europäer dann glauben, sie wären auf Drogen.

  3. Avatar von Wander Dude Wander Dude sagt:

    Hey, ich muss sagen, dieser Blogartikel hat mich echt zum Schmunzeln gebracht! 😄

    Es ist so erfrischend, einen Beitrag über Berlin zu lesen, der nicht in das übliche „Berlin-Bashing“ einstimmt, sondern die Stadt aus einer positiven Perspektive betrachtet. Deine Begeisterung für die grünen Seiten Berlins und die Grünen Hauptwege kommt richtig gut rüber. Es ist beeindruckend zu erfahren, wie viel Natur Berlin zu bieten hat und wie man hier kilometerweit durch Wälder und Grünanlagen spazieren kann. Deine Fotos vermitteln wirklich einen tollen Eindruck von deinem Abenteuer auf dem Spandauer Weg.

    Außerdem finde ich es super, wie du historische Fakten und Anekdoten in deine Wanderungen einbaust. Das macht die ganze Sache nicht nur unterhaltsam, sondern auch lehrreich. Ich freue mich schon auf den ausführlichen Bericht zu deiner 33 km langen Tour und bin gespannt, welche Geschichten du dabei entdeckt hast. Also, weiter so, und lass uns an deinen Berliner Abenteuern teilhaben! 👍🚶‍♂️🌳

    • Vielen Dank, deine Worte motivieren sehr zum Schreiben und Weiterwandern!

      Der Spandauer Weg koinzidiert weitgehend mit dem Mauerweg, darauf war ich vorbereitet. Aber dann lagen noch ein paar historische Überraschungen am Wegesrand, die ich vorher überhaupt nicht auf dem Schirm hatte. Und sogar ein Drehort aus „Inglourious Basterds“.

      Jetzt schreibe ich erst einmal den Bericht über den Spandauer weg fertig, und dann geht es an den nächsten Weg… Bis Mitte Oktober bin ich noch in Berlin, da müssen noch zwei oder drei Wanderungen drin sein.

  4. Avatar von Unbekannt Anonymous sagt:

    Mir war gar nicht bewußt, wie viel mehr Einwohner Berlin verglichen mit Paris als Stadt hat und wie wenig, egal wie groß der Speckgürtel definiert wird, verglichen mit der kleinen Krone um Paris.

  5. Avatar von Majik Majik sagt:

    My soul was refreshed just scrolling through the pictures.
    My God, what must it have been like to actually stroll through such beauty!

    • It was so gorgeous, and even more fantastic because of its unexpectedness.
      There were stretches for several hours where I wouldn’t have thought that I am still in Berlin.

  6. Mal wieder etwas ganz Neues erfahren. Das wird beim nächsten Berlinbesuch aber direkt ausprobiert, ist ja richtig toll!!

    • Zwischen all den Museumsbesuchen, mit der S-Bahn im Kreis fahren und dem Beiwohnen von Parlamentsausschüssen ist das wirklich eine wohltuende Abwechslung.

      Wenn mir nicht mein Housesitting-Gastgeber davon erzählt hätte, so wüsste ich auch nichts davon. Die Wege werden nicht gerade offensiv beworben und sind nur sehr zurückhaltend beschildert.
      Ganz anders als die Stadtwanderwege in Wien zum Beispiel.

  7. Avatar von Unbekannt Anonymous sagt:

    Chemnitz wurde ziemlich zerstört im 2. WK wie Berlin auch, Halle z.b. weniger

  8. Danke für die Fotos und vor allem für die Entdeckung dieser Wanderwege, von deren Existenz ich vorher nichts wusste. Ich werde mir beim nächsten Aufenthalt mal eine Strecke vornehmen.

    • Vorgestern habe ich am Potsdamer Platz ein Paar aus Aschaffenburg getroffen, die verzweifelt die U-Bahn nach Spandau suchten.
      Also bin ich ein Stück mit ihnen gefahren, damit sie nicht verloren gehen, und habe ihnen von dem Spandauer Weg vorgeschwärmt.
      Sie haben mich entsetzt angesehen: „Wenn wir in den Wald wollen, müssen wir doch nicht nach Berlin kommen.“

      Aber ich finde gerade diese Kombination aus Stadt und Natur interessant. Während ich unterwegs war, habe ich immer wieder an deine Wanderung rund um Marseille gedacht.
      Nur dass ich nicht so cool war und draußen übernachtet habe. :/

  9. Avatar von auserbia auserbia sagt:

    Ich freue mich schon auf den ganzen Bericht – und geschichtlich lerne ich immer gerne dazu! Ich bin schon einen Teil des Spandauer Weges gegangen und fand ihn großartig. Vor einiger Zeit bin ich den Grünen Hauptweg 7 – auch nur teilweise – gegangen und hab so eine völlig neue Sichtweise auf Marzahn bekommen. Diese Wege sind ein Hit. Danke für deine Inspiration – werde hoffentlich demnächst wieder einen gehen – vielleicht sogar den 2er 🙂

    • Von dem Spandauer Weg war ich wirklich begeistert!

      Ich bin seither noch den Weg Nr. 4 (Lübarser Weg) gegangen. Der war okay, aber kein Highlight.

      Mal sehen, wie viele Wege ich diesen Herbst noch schaffe…

  10. Pingback: Berlins Grüner Hauptweg Nr. 2: Spandauer Weg (erster Tag) | Der reisende Reporter

  11. Pingback: Green Walks in Berlin | The Happy Hermit

  12. Avatar von Unbekannt eimaeckel sagt:

    Wirklich wunderschöne Bilder. Wenn du demnächst mal den Weg Nr. 18 (Innerer Parkring) versuchen willst, kommst du zwischen Rehbergepark und Schillerpark fast genau an meinem Hinterhof vorbei. Cola und Kuchen sind versprochen.

    • An diesen Weg habe ich mich beim letzten Berlin-Aufenthalt nicht gewagt, weil er so wahnsinnig lang ist und weil da einfach so viel an Geschichte auf dem Weg ist. Da werde ich so oft wo hängen bleiben, dass ich es wahrscheinlich auf 7 oder 8 Tage aufteilen muss.

      Aber das mit der Einladung merke ich mir für den nächsten Berlin-Aufenthalt!

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