Die erste Infografik der Welt

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Bei der Lektüre über Alexander von Humboldts Forschungsreise in Südamerika bin ich auf sein Naturgemälde gestoßen, das er nach der nicht ganz bis zum Gipfel durchgeführten Besteigung des Chimborazo in Ecuador im Jahr 1802 angefertigt hat.

Es zeigt einen Querschnitt des Chimborazo, dem je nach Messmethode höchsten Berg der Welt, mit verschiedenen Vegetationsstufen. Hunderte, wenn nicht Tausende von Pflanzen sind in liebevoller Detailarbeit aufgeführt. (Wenn Ihr auf das Foto klickt, gelangt Ihr zu einer enormen Auflösung von 15.000 x 10.000. Jetzt fehlt nur noch der passende Drucker, und Ihr habt ein wunderschönes Poster.)

Naturgemälde

Dazu Angaben zu Höhe, Luftdruck, Strahlenbrechung, elektrischen Erscheinungen, Feuchtigkeit, Bodenbeschaffenheit und etlichen andere naturwissenschaftliche Parameter, die mir nichts sagen. (Was zum Teufel ist ein Kyanometer?) Aber auch für den Wanderer praktische Hinweise wie Temperaturen in verschiedenen Höhen, Schneegrenze, welche Tiere in welcher Höhe leben. Und das alles in einem Detailreichtum, in dem man sich stundenlang verlieren kann. Praktischerweise und zur globalen Nutzung dieses Gemäldes werden zum Vergleich die Höhenmeter der anderen damals bekannten Berge gegenübergestellt.

Naturgemälde Detail2
Naturgemälde Detail1

Alexander von Humboldt hat also nicht nur

  • eine monatelange beschwerliche und gefährliche Reise durch den südamerikanischen Urwald überstanden,
  • dabei schon 1800 die Theorie vom menschlich verursachten Klimawandel aufgestellt,
  • anschließend die Anden überquert,
  • Tausende von Tier- und Pflanzenarten gesammelt, abgezeichnet und katalogisiert,
  • das erste nützliche Kartenmaterial über einige der von ihm bereisten Gebiete erstellt,
  • den Chimborazo bis zu einer Höhe von 5.600 m bestiegen,
  • trotz Höhenkrankheit, Verletzungen, Eiseskälte und gefährlichen Klettereien alle hundert Meter seine Geräte ausgepackt, Messungen angestellt und Aufzeichnungen angefertigt,
  • nach diesem mehrtägigen Selbstversuch eine erste ausführliche Schilderung der Symptome der Höhenkrankheit verfasst,
  • ganz nebenbei den damaligen Rekord für die von Menschen erreichte Höhe aufgestellt (höher als die damaligen Heißluftballone),

sondern darüber hinaus

  • seine Forschungsergebnisse in ansprechender und intuitiv lesbarer Form dargestellt.

Man könnte sagen, dass das Naturgemälde die erste Infografik der Welt war und selbst die meisten der heutzutage publizierten Infografiken hinsichtlich Informationsgehalt, Anschaulichkeit und grafischer Gestaltung in den Schatten stellt.

Humboldt war 1817 auch der erste, der Isotherme verwendete, die Linien auf Wetterkarten, die verschiedene geographische Punkte mit den gleichen Temperaturen verbinden. Bis dahin waren zwar schon globale Temperaturen gesammelt und ausgewertet worden, aber diese wurden immer in langen Tabellen dargestellt, die einen Vergleich schwierig machten. Dank der Visualisierung durch Humboldt ermöglichte ein Blick auf die Isothermenkarte das Erkennen von weltumspannenden Klimazonen. Erst so konnte man den Wald des Weltklimas zwischen all den Bäumen der lokalen Wetterdaten sehen.

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Wer jetzt Lust auf Humboldt bekommen hat, dem lege ich Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur von Andrea Wulf ans Herz. Ganz besonders schön ist Das graphische Gesamtwerk von Alexander von Humboldt. Wer es etwas amüsanter und lockerer mag, der wird mit Die Vermessung der Welt von Daniel Kehlmann ein köstliches Lesevergnügen genießen.

Über Andreas Moser

I am a lawyer in Germany, with a focus on international family law, migration and citizenship law, as well as constitutional law. My other interests include long walks, train rides, hitchhiking, history, and writing stories.
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5 Antworten zu Die erste Infografik der Welt

  1. kunstschaffende schreibt:

    Vielen Dank, für diese wertvollen Informationen! Meine Neugierde ist geweckt!
    Jetzt werde ich mich mal intensiver mit Alexander von Humboldt beschäftigen.

    LG Babsi

    • Andreas Moser schreibt:

      Er ist wirklich extrem interessant, weil er nicht nur Wissenschaftler war, sondern auch abenteuerliche Reisen unternommen hat (wenn auch aus naturwissenschaftlicher Motivation) und ebenso über sozialwissenschaftliche und politische Themen schrieb. Er war zB ein ausgesprochener Gegner der Sklaverei.

  2. Pingback: Who made the first infographic? | The Happy Hermit

  3. Pingback: Tagesnotizen 8 | Der reisende Reporter

  4. Andreas Moser schreibt:

    Die Kollegen vom „Geschichten aus der Geschichte“-Podcast behaupten, dass in Wirklichkeit William Playfair als Erfinder der Infografik zu gelten habe:
    https://www.geschichte.fm/archiv/gag421/

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