To the English version of this story.
Das Museum in Narihualac war geschlossen, und so blieb mir nur ein Spaziergang durch die staubigen Straßen des kleinen Dorfes, das Beobachten einer der in Peru alltäglichen religiösen Prozessionen und der Besuch einer Bar, um Schatten, Wasser und Chicha zu tanken.

Für mich war der Chicha zu stark, aber die Kinder des Dorfes leerten den Krug in Sekundenschnelle.


Die wichtigste Industrie in Narihualac ist allerdings nicht der Alkohol, sondern die Anfertigung von Hüten, die unter dem Namen des 1500 km entfernten Panama bekannt sind. Also schaute ich noch in einem Hutladen vorbei, wo mich ein Ausstellungsstück mit einem Durchmesser von mindestens vier Fuß faszinierte.

Die Tochter der Hutmacherfamilie war mehr fasziniert von meinem Hut, der die 11.500 km aus Transsilvanien nach Peru gereist war. Sie wollte den Gabor-Hut unbedingt anprobieren und gab ihn nur widerwillig zurück.

Von da an wich Margarita, das 10-jährige Mädchen, nicht mehr von der Seite, obwohl mir zwei etwa gleichaltrige Jungs zuriefen, ich solle lieber sie als ortskundige Führer engagieren, denn das Mädchen sei schlecht in der Schule. Apropos Schule, „wieso bist Du nicht in der Schule?“ fragte ich. Es war Montag. „Heute ist frei“ antwortete sie, und da überall Kinder herumliefen, blieb mir nichts anderes übrig, als es zu glauben.
Das neugierige Mädchen fragte mich aus über Europa, ob ich schon mal in einem Flugzeug war, welche Sprachen ich spräche, wie viel mein Hut gekostet hat, wohin ich als nächstes reise, ob sie den Hut nochmal aufsetzen dürfe, ob ich Haustiere habe, wieso ich so groß sei, ob es in Europa schon Tablet-Computer gäbe und ob ich Spiele in meinem Telefon hätte.
Schließlich wollte Margarita wissen, was mein Beruf sei. Gegenüber Erwachsenen erkläre ich auf diese Frage manchmal das Konzept des Freelancing oder des digitalen Nomaden. Aber auch wenn ich es einfach halten will, stehen mir mehrere Möglichkeiten zur Verfügung: Jurist, Übersetzer, Publizist, Blogger, Journalist, Spion. In anderen Sprachen fällt es mir leichter, das im Deutschen großspurig klingende Wort Schriftsteller zu verwenden. So antwortete ich, dass ich escritor sei.
Das Mädchen machte einen Satz und zwei Schritte nach vorne, stellte sich mir in den Weg und sah mich mit einem begeisterten Blick an, Augen und Mund weit aufgerissen vor Staunen: „Sie schreiben Geschichten?“ Sie hätte nicht entzückter sein können, wenn sie einen Astronauten vor sich gehabt hätte.
„Ja.“
„Und Romane?“ fragte sie hoffnungsvoll.
„Noch nicht“ begann ich zu erklären.
„Aber Sie werden einen Roman schreiben?“ Und bevor ich antworten konnte: „Schreiben Sie auch Märchen?“
In jenem Moment, in einem staubigen Dorf in der Sechura-Wüste, bei über 35 Grad Hitze, während ein kleines Mädchen in Sandalen alle ihr bekannten Literaturgattungen durchging wie andere Kinder in diesem Alter nur Fernsehsendungen oder Fußballspieler und dabei den Eindruck machte, dass Schriftsteller der großartigste Beruf auf Erden sei, beschloss ich, nach der Reise nicht mehr in meinen Beruf als Rechtsanwalt zurückzukehren, sondern mich ausschließlich dem Schreiben zu widmen.
Egal, wenn die meisten Erwachsenen anders reagieren, mit „häh?“ anstatt „wow“, mit der Frage nach dem finanziellen Ertrag, nach Krankenversicherung oder Altersvorsorge anstatt mit Neugier und Begeisterung. Egal, dass fast niemand mehr Geschichten liest, sondern die meisten Menschen nur mehr gedankenlos durch ihre Handys scrollen. Egal, dass selbst Freunde immer wieder raten, ich solle doch Videos von meinen Reisen machen, weil sie zu faul zum Lesen sind.
Alles egal. Ich will schreiben und erzählen und erklären. Und wenn es nur eine Handvoll Menschen gibt wie die junge Literaturliebhaberin in Peru, dann ist es die Mühe wert.

Links:
- Die Fotos enstanden, weil ich mal wieder mit Edward Allen unterwegs war.
- Mehr übers Schreiben.
- Und mehr aus Peru.
Pingback: The little Literature Lover | The Happy Hermit
Gratuliere zu dem Entschluss! Freue mich bereits jetzt schon auf Deine Bücher – wann auch immer! Liebe Grüße!
Schöne Story! Ist doch wunderbar, dass es noch Kinder gibt, denen Bücher wichtiger sind als Fernsehen. Ich wünsche dir viel Erfolg mit dieser Entscheidung. Bring dein Buch als EPUB raus, ja? Dann lese ich das auch 🙂
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In gewisser Hinsicht sind Geschichten das Wichtigste auf der Welt. Das hier, das ist eine schöne Geschichte; danke.
Vielen Dank!
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