Nach 18 Monaten in Südamerika bin ich wieder in Europa. Zu den Gründen hatte ich schon ausführlich geschrieben, hier meine ersten Eindrücke:
- Ihr könnt Euch mein Glücksgefühl nicht vorstellen, als ich in Funchal auf Madeira zum ersten Mal europäischen Boden betrat.
Grün, angenehmes Klima, wunderbare Architektur, kein Lärm mehr, nach eineinhalb Jahren zum ersten Mal Zeitungen auf Deutsch und Englisch, große Parks.
- Überhaupt hat mich Portugal beeindruckt. Allein in Sintra habe ich mehr verschiedene architektonische Stile gesehen als in ganz Südamerika.
- Wenn man mit dem Zug oder Auto durch Deutschland fährt, sieht es idyllisch aus. Grün, herausgeputzte Dörfer, hügelig, bewaldet, nicht alle fünfzig Meter eine Werbetafel.
- Aber Deutschland kommt mir auch zu herausgeputzt vor. Alles ist klinisch rein, täglich antiseptisch geputzt, selbst die Straßen so sauber, dass man davon essen könnte, Hecken und Rasen akkurater geschnitten als meine Haare, die Autos sauberer als mein Schreibtisch.
- Dabei fehlt das Leben. Man kann durch ganze Dörfer oder Wohnviertel spazieren, ohne einen Menschen auf der Straße, im Garten oder im Park zu sehen.
- Schön ist aber, dass man stundenlang durch den Wald spazieren kann, ohne dass einen Hunde anfallen.
- Südamerikaner, die schon mal in Deutschland gewesen waren, hatten mich manchmal gefragt: „Wieso gibt es bei Euch keine Kinder?“ Jetzt verstehe ich das. Es gibt wirklich wenig Kinder in Deutschland, und die wenigen verstecken sich anscheinend in ihren Zimmern.
- Meine Couchsurfing-Gastgeberin in Portugal stellte die vollen Einkaufstüten vor der Haustür ab, und wir mussten nochmal ums Eck, um weitere Tüten aus dem Auto zu holen. „Soll ich auf die Tüten aufpassen?“ fragte ich. „Nein“, lachte Joana, „Du bist jetzt wieder in Europa. Die können da stehenbleiben, kein Mensch klaut hier etwas.“
- Der größte Luxus ist es, wieder ohne Unterbrechungen durch Hundegebell/Musik/Feuerwerke/Prozessionen/Geschrei/Hupkonzerte jede Nacht durchschlafen zu können.
- Am ersten Tag gönnte ich mir eine Currywurst und ein MezzoMix, beides kulinarische Genüsse, die es noch nicht um die Welt geschafft haben. Um richtig in Deutschland anzukommen, muss ich mir aber noch einen Döner gönnen.
- Warum sind in Deutschland alle Restaurantportionen ausreichend für zwei normal essende Menschen? Das ist ja fast wie in Cochabamba.
- Aus Antigua habe ich noch ein paar Ostkaribische Dollar übrig, die umzutauschen sich nicht lohnt. Falls jemand unter meinen Lesern Münzen und Scheine aus fernen Gefilden sammelt, möge er sich melden.
- Was ich am meisten an Südamerika vermisse, ist dass man dort fast zu jeder Uhrzeit aus dem Haus gehen konnte und im Umkreis von 500 Metern von Hamburgern, frisch gepressten Fruchtsäften, Hackfleisch, Glühbirnen, Notizblöcken zu Toilettenpapier alles bekam, was man brauchte. In Deutschland hingegen muss man Einkaufen zeitlich und örtlich planen wie einen Feldzug.
- Apropros Feldzug: Meine beiden Eltern merken, dass ihnen nicht mehr viel Zeit bleibt, und haben mich verspätet mit der Ahnenforschung bezüglich unserer Familie beauftragt. Obwohl ich schon in 55 Ländern war, kam dabei ans Tageslicht, dass die Angehörigen der Großelterngeneration Gegenden gesehen haben, in denen selbst ich noch nicht war: Sie überfielen Norwegen, Polen, Russland und Nordafrika und waren in Kriegsgefangenschaft in den USA und in Jugoslawien. Zwei Großonkel sind in die USA ausgewandert.
In den nächsten Monaten werde ich also auch immer mal wieder über meine Familie schreiben, soweit ich die Nachforschungen für interessant halte. Vielleicht stehen ja auch andere vor der Frage, an welche Archive man sich wendet und wie man systematisch vorgeht.
- Außerdem würde mich interessieren, die „Reiserouten“ meiner Großväter im Zweiten Weltkrieg zu rekonstruieren und sie nachzureisen, um zu erfahren und beschreiben, wie sich Europa in nur zwei Generationen verändert hat.
- Aber die nächsten paar Monate werde ich vorübergehend an einem geheimen Ort in Deutschland verbringen, um die Erlebnisse der letzten paar Jahre zu Papier zu bringen.
- Es ist schön, wieder in einem Haus mit Tausenden von Büchern zu wohnen.
- Ein emotionales Heimatgefühl stellt sich bei mir aber nicht ein. Ich bin zwar froh, in Europa zu sein, aber wenn ich nach Jahren der Abwesenheit wieder nach Bayern komme und sehe, dass alles genauso ist wie vor 2, 5 oder 7 Jahren, dann bestärkt das eher meine Gewissheit, hier nichts verpasst zu haben.
Nach eineinhalb Jahren in Südamerika nach Deutschland zurückzukehren, ist, was die Attraktivität der Mitmenschen angeht, etwas enttäuschend. Und das ist noch milde ausgedrückt. Schon allein deshalb könnte Deutschland mehr Einwander(innen) vertragen.
- Toll ist aber, wie lange es abends hell ist! Um den Äquator herum ist ja Sommer wie Winter um 18 Uhr Schicht im Schacht, und eine lange Dämmerung gibt es auch nicht.
- Ein freudscher Verleser am Flughafen in Frankfurt: Statt „Weiterreise mit der Bahn“ lese ich „Weltreise mit der Bahn„.
- Manchmal träume ich noch auf Spanisch. Hoffentlich werde ich es nicht allzu schnell verlernen.
- Außerdem, liebe Europäer, was soll denn diese Unsitte, ohne Hut aus dem Haus zu gehen?
Selbst die Kinder in Südamerika haben mehr Stil.
- So, jetzt muss ich bald meine Geburtstagsreise an einen noch nicht bekannten Ort planen.
Herzlich willkommen von einem Deiner hunderttausend begeisterten Lesern!!
Vielen Dank!
Und vielen Dank für die wohltuende Übertreibung. 😉
höchstens minimal übertrieben …
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Auch von mir ein herzlich Willkommen zurück. Das Projekt, über Deine Familiengeschichte zu recherchieren, finde ich interessant. Ich hoffe, auf spannende Erkenntnisse.
Ich habe auch gelesen, dass Du die Ukraine bereisen willst. Dieses Land interessiert mich auch.
Ich plane eine Wanderung von Iasi über Chisinau und Tiraspol nach Odessa. Das sind etwas mehr als 300 km. Du kennst diese Ecke gut, ich überhaupt nicht. Aber vielleicht treffen wir uns ja auf einem Teilstück. Beste Grüße.
Vielen Dank für das herzliche Willkommen!
Dieser Wanderplan hört sich sehr gut an. Iasi hat mich sehr fasziniert als ich dort war, sehr kulturell, viel Theater und Konzerte.
Chisinau ist eine meiner Lieblingsstädte in Europa. Sehr großzügige Stadtplanung, riesige Parks, eine Menge Straßen beidseitig von Bäumen umrahmt.
Tiraspol ist wesentlich ruhiger und sieht noch ein bisschen mehr wie zu Sowjetzeiten aus. Musst Du über Bender? Das war eine schöne Stadt.
Und in Odessa war ich selbst noch nicht, aber jeder schwärmt davon.
Für wann planst Du diese Wanderung?
Nachtrag: Soweit ich mich erinnern kann, war das Gelände relativ flach. Ich bin nur einmal länger zu Fuß gewandert, von Tiraspol zum Kloster Kizkany und dann den halben Weg nach Bender.
Das war im Juli und es war extrem heiß.
Ich stelle mir an der Wanderung vor allem die kleinen unbekannteren Orte zwischen den großen Städten interessant vor.
Und wahrscheinlich wird Dir auch jeder in Rumänien davon abraten, nach Transnistrien zu gehen, weil die Leute noch immer den Krieg von 1991 im Gedächtnis haben. Es ist jetzt aber vollkommen sicher und freundlich, allerdings gibt es nicht zu viele Menschen, die mehr als Russisch sprechen.
Danke für die interessanten Infos. Also, ich hätte Lust, es dieses Jahr zu machen, aber es wird realistischerweise wohl etwas knapp. Ich bin zunächst Ende September in Marseille auf einer Tagung und wollte dann die westliche Schleife des GR2013 um das Binnenmehr (Etang de Berre) wandern. Ich weiß nicht, ob ich dann noch Zeit für Rumänien und Ukraine habe.
Braucht man für Moldavien und Transnistrien Visen?
N.B. ich bin auch auch nicht so ein Dogmatiker, von mir aus kann es auch ein Wechsel aus wandern, trampen und Zugfahren sein.
Je länger die Reise, desto weniger dogmatisch wird man. 🙂
Für Moldawien braucht man als EU-Bürger vorab kein Viusm.
In Transnistrien bekam ich es auf dem Bahnhof. Ich weiß nicht, wie das bei Überqueren der Grenze zu Fuß ist. Ich sah reihenweise Menschen durch den Dnestr laufen (wahrscheinlich Schmuggler, weil sie riesige Pakete auf em Kopf hatten). Das war am hellichten Tag und niemand hat sie aufgehalten.
Das anfängliche Visum für Transnistrien gilt für einen oder zwei Tage. Da ich länger bleiben wollte, ging ich zur Einwanderungsbehörde, füllte einen Antrag aus und bekam ein längeres Visum für einige Tage. Ich glaube sogar, es war kostenlos. Ich war der einzige Kunde in der Einwanderungsbehörde, weil die meisten Besucher wohl nur ein paar Stunden in Tiraspol bleiben. Ich glaube, man erweckt also eher Neugier als Misstrauen. Und ich habe jemanden mitgenommen, der Russisch sprach.
Wie sieht denn Deine Wander- und Aktivitätenplanung für das verbleibende Jahr aus?
Im Juli fliege ich in den Kaukasus: Georgien, Armenien und Aserbaidschan.
Ansonsten habe ich bisher noch gar nichts geplant.
Toll. Diese Länder würde ich auch gerne mal sehen.
Ich bin auch schon gespannt. Für mich war das immer die exotischste Ecke Europas, in die es ich schon lange zog.
Zur Zeit wohne ich bei meinem Vater, und anscheinend ist es ihm schon zu viel geworden, denn er sagte: „Flieg doch zu Deinem Geburtstag mal wohin, wo Du schon immer hinwolltest. Ich zahl Dir den Flug.“ Wobei man mit einer Vorlaufzeit von ein paar Monaten einen Hin- und Rückflug nach Georgien für unter 100 EUR bekäme. Und wenn man erst einmal dort ist, scheint es ziemlich billig zu sein, denn ich habe Hotels ab 4 EUR/Nacht gefunden.
Aber gespannt bin ich, wie ich sprachlich zurecht komme, denn zu Armenisch und Georgisch habe ich überhaupt keinen Zugang. Schon die Schrift sieht für mich reichlich mysteriös aus.
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