Warum man am besten mit wenig Geld reist

In dem Buch Slow Travel: Die Kunst des Reisens schreibt Dan Kieran:

Wenn man sich auf andere Menschen verlassen muss, wird man gezwungen, offen zu sein und sich mit ihnen abzugeben, was schnell zu einem Gefühl von Freundschaft und Gemeinschaft führt. Eine Person führt zur anderen auf Ihrem Weg oder drängt Sie in eine etwas andere Richtung, als Sie selbst eingeschlagen hätten. Es ist ein Kontrollverlust, aber ein vollkommen lebensbejahender und befreiender Kontrollverlust.

Wenn Sie jedoch eine Menge Geld haben und auf niemandes Hilfe angewiesen sind, können Sie um die ganze Welt reisen, ohne einen einzigen Ortsansässigen kennenzulernen.

Dem kann ich voll und ganz zustimmen.

Hätte ich genug Geld, um immer in Hotels zu übernachten, so wäre ich niemals auf Couchsurfing gekommen, worüber ich eine Menge inspirierende und hilfsbereite Menschen getroffen und deren lustige Geschichten gehört habe. Sie haben meine Reisen viel interessanter gemacht als diese ohne Kontakte vor Ort gewesen wären. Vor ein paar Monaten kam ich zum Beispiel bei einem jungen Couchsurfing-Gastgeber in Abchasien unter, der mich in Galerien und zu Ausstellungen mitnahm und mich mit Künstlern, Wissenschaftlern und sogar dem früheren Außenminister des Landes bekannt mache.

Wäre ich einem Hotel abgestiegen, hätte ich nichts von alledem erlebt. (Bei AirBnB mag das auch manchmal klappen, aber nach meiner Erfahrung haben die Gastgeber dort weniger Zeit/Interesse als Couchsurfing-Gastgeber. Vielleicht liegt das aber auch an der anderen Erwartungshaltung der Gäste.)

Hätte ich genug Geld, um ein Auto zu mieten, würde ich niemals am Straßenrand stehen, den Daumen rausstrecken und darauf hoffen, dass mich Fremde ein Stück mitnehmen. Ein besonders netter Fahrer in Montenegro lud mich sogar zu sich nach Hause ein, bereitete ein Abendessen mit ausreichend Selbstgebranntem und überreichte mir noch einige Geschenke, bevor er mich genau dort absetzte, wo ich hin musste. In Bolivien war es während eines Ausflugs in die Berge schon etwas spät geworden und ich wäre wahrscheinlich erfroren, wenn nicht ein LKW mit Bergarbeitern angehalten hätte, um mich durch ein atemberaubend schönes Tal zu fahren. Der einfachste Ort, um per Anhalter vorwärtszukommen, war bisher die Osterinsel: Autos, Quads und Pick-Up-Trucks hielten manchmal sogar ohne Aufforderung. „Spring rein“, riefen die Fahrer, ohne nach meinem Ziel zu fragen, da alle Straßen sowieso zu der einzigen Siedlung auf der Insel führten.

In Brasilien wurde ich sogar mal in einem Helikopter mitgenommen.

Hätte ich genug Geld für ein Auto, hätte ich nicht eine lange, eiskalte Nacht an einem Bahnhof in Rumänien verbracht, die zu einer unvergesslichen Begegnung führte.

Hätte ich immer genug Geld, um in Restaurants zu essen, würde ich niemals auf dem Markt einkaufen und mein Mittagessen im Park einnehmen, wo sich Menschen zu mir setzen und mir ein Gespräch anhängen. Dieser Kontakt mit Zufallsbekanntschaften, insbesondere mit Armen und Obdachlosen anstatt mit Angehörigen meiner Profession oder meiner sozialen Schicht, ist das Interessanteste am Reisen.

Hätte ich genug Geld für Interkontinentalflüge gehabt, hätte ich nicht schon zweimal den Atlantik auf einem Schiff überquert.

Hätte ich genug Geld, um von einer Hauptstadt in die nächste zu fliegen, würde ich niemals die kleinen Städte und Dörfer dazwischen kennenlernen, diese vergessenen und übersehenen Orte, wo der Müll abgeladen wird und die Armen in Slums hausen und wo die Entwicklung 20 Jahre hinterherhinkt. Mit anderen Worten, ich hätte die Realität nicht gesehen. Ich würde die Welt weniger gut kennen und weniger verstehen.

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(Das Buch von Dan Kieran kann ich übrigens nicht empfehlen. Bis auf ein paar gute Zitate ist es ziemlich überflüssig und langweilig. Da findet Ihr auf meinem Blog bessere Geschichten und Überlegungen. – Click here to read this article in English.)

Über Andreas Moser

Travelling the world and writing about it. I have degrees in law and philosophy, but I'd much rather be a writer, a spy or a hobo.
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2 Antworten zu Warum man am besten mit wenig Geld reist

  1. Pingback: Why travelling with little money is the best | The Happy Hermit

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