Man merkt, dass man in der Provinz lebt, wenn man sich über jedes Buch freut, das in der Region, der man entstammt, und die Provinz zu nennen sich die hier mit unangebrachtem Stolz verwurzelten Zeitgenossen verwehren würden, angesiedelt ist. Ich bin mir sicher, in New York, Berlin und Hildesheim kräht kein Hahn, wenn dort mal wieder ein Roman oder eine Fernsehserie spielt. Da kräht wahrscheinlich gar kein Hahn, weil die Menschen schon Funkwecker haben, die sich sogar von selbst auf Sommer- und Winterzeit umstellen, wobei ihnen dieser Spaß bald genommen wird und man dann eigentlich auch wieder auf die Sonnenuhr vertrauen kann. „Wia hamsa scho imma gwusst, dass ma des neimodische Zeig ned bracha“, werden die Leute in der Oberpfalz dann sagen, und damit wird jedem klar, wieso ich als Sprachästhetiker schon immer weg wollte.
Aber heute geht es um ein in der Oberpfalz angesiedeltes Buch, nämlich Wie ich Fälschte, log und Gutes tat von Thomas Klupp. Der Autor verbrachte seine Kindheit oder Jugend in Weiden, der meiner Heimatstadt Amberg im ewigen Wettstreit verbundenen nächstgelegenen Ansiedlung, die gerade noch die Bezeichnung Stadt verdient. Eben dort lässt er den 15-jährigen Benedikt Jäger als Ich-Erzähler vom Kepler-Gymnasium, vom Tennis, von seinen Eltern und von zu vielen Drogen erzählen.

Wie im Leben von wohlbehütet aufwachsenden Kindern der gehobenen Mittelschicht üblich, passiert da nichts Besonderes, außer Stress in der Schule, Verwunderung über die Eltern, andere Erwachsene und Mädchen, sowie die ersten kritischen Beobachtungen zur Gesellschaft.
Was mich allerdings verwundert hat, ist die Ubiquität von Drogen. Ich weiß nicht, ob das früher auch so war. Mir hat jedenfalls nie jemand etwas angeboten. Vielleicht gibt es in Weiden aber auch mehr Drogen als in Amberg, weil dort die Lage noch aussichtsloser ist. Die im Roman auf die Schippe genommene Anti-Drogen-Initiave „Need no Speed“ wurde nach Veröffentlichung von Wie ich fälschte, log und Gutes tat übrigens eingestellt, wie der im Buch als „kulturlos wirkend“ bezeichnete Neue Tag berichtet.
Das ist sehr flott erzählt, unterhaltsam und amüsant, aber durchaus mit bösem und meist treffendem Humor. Benedikt ist, wie der Titel nahelegt, gewieft und gerissen. Er fälscht, lügt, klaut und betrügt, wobei die Kriminalität mehr dem Durchmogeln dient als der langfristigen Bereicherung. Trotz allem bleibt er ein liebenswürdiger Charakter.
Etwas zu offensichtlich fand ich die Anleihen, die Thomas Klupp beim Fänger im Roggen genommen hat, dem Buch, das wohl unübertreffbar die Welt aus der Sicht eines Jugendlichen beschreibt. Zum einen bei der betont lockeren Sprache, aber auch das Entlarven der Erwachsenenwelt als verlogen.
Ich habe das Buch mit großem Vergnügen und ruckzuck ausgelesen, vielleicht weil ich ähnlichen Alters wie der Autor bin und mich an meine Schulzeit zurückerinnert habe. Es war ein bisschen so, wie wenn um 23 Uhr plötzlich ein paar alte Klassenkameraden vor der Tür stünden und sagten, „komm, wir fahren zum Burger King“. Auch wenn man am nächsten Morgen früh raus müsste oder noch das erwachsene Äquivalent von Hausaufgaben zu erledigen hätte, würde man keine Sekunde zögern. Manchmal nützt man Lebenszeit am Besten, indem man sie genüsslich verschlumst. Dieses Buch eignet sich dazu hervorragend.
Links:
- Wie ich fälschte, log und Gutes tat bei Amazon.
- Mich hat das Buch neugierig auf Thomas Klupps ersten Roman Paradiso gemacht.
- Der Fänger im Roggen.
- Die Tourismus-Website von Weiden. Aber ganz ehrlich, wenn Ihr schon bis ins letzte Eck von Deutschland gefahren seid, fahrt lieber weiter nach Marienbad oder Pilsen.
- Meine Bücherwunschliste. Schließlich ist bald Weihnachten.
Ach das waren noch Zeiten mit Thomas Klupp an der Uni Hildesheim, wahrlich einem Ponyhof, und einem noch wahrlicherem Hahn, der unter lauter Hühnern krähte… Kann ich jedem nur empfehlen, der zufällig mal in Hildesheim strandet: Domäne Marienburg, wo die kreativen Schreiber gezüchtet werden und es die besten Sahnetorte gibt!