Und noch eine Insel!

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9. Juni, das nach drei Monaten doch herbeigesehnte Ende der unfreiwilligen Robinsonade. Mittlerweile freue ich mich schon wieder aufs Festland. Alle Bücher, die ich dabei hatte, sind gelesen. Alle Zigarren sind schon lange geraucht, und das Schiff hat keinen Nachschub gebracht. In der letzten Woche hatte ich schon dreimal von Zigarren geträumt, so schlimm sind die Entzugserscheinungen.

Aber gestern ging endlich der Flug nach Lissabon. Reisen ist derzeit ziemlich trostlos, weil es überall Einschränkungen und Verbote gibt. Kein Handgepäck, kein Essen im Flughafen, keine Sitznachbarn, ein bisschen wie auf einem Gefangenentransport.

Ich blickte auf den Ozean, auf Faial, auf Pico, São Jorge, auf die Inseln, die ich hinter mir ließ.

flying to Sao Miguel

Und bald döste ich ein, was sollte ich auch sonst machen. Irgendwann weckte mich gleichzeitig eine scharfe Kurve nach backbord sowie die Stimme eines der Typen, die das Flugzeug lenken:

„Meine Damen und Herren, es tut uns leid, aber die Regierung Portugals hat ein Landeverbot für Flüge von den Azoren verhängt.“

Oh scheiße, dann würden wir wohl wieder umkehren müssen.

„Unser Treibstoff reicht nicht aus, um nach Faial zurückzukehren.“

Na, vielleicht würde die Reise doch noch lustig. Zum Glück können die Flugzeuge hier im Wasser landen. Und da kann man sich dann treiben lassen, bis ein Schiff vorbeikommt. Das Meer schien sehr ruhig, ich machte mir also keine großen Sorgen. Nur einschlafen konnte ich nicht mehr.

Aber der Navigator hatte eine andere Lösung:

„Die nächstgelegene Insel, die wir erreichen können, ist São Miguel.“

Noch nie gehört. Aber da leben sicher auch Leute. So schlimm kann es also nicht sein.

Beim Aussteigen fragte ich den Piloten, wann es weiter nach Lissabon ginge.

„Das Landeverbot gilt noch mindestens eine Woche. Am 15. Juni erfahren wir dann mehr.“

Eine Woche. Schon wieder gestrandet auf einer Insel mitten im Atlantik! Und weil ich Dummie all meine Ersparnisse für die Weiterreise von Lissabon nach Wien (es war der billigste Flug) und von dort nach Deutschland ausgegeben hatte, war ich bei der Landung so knapp bei Kasse, dass ich entscheiden musste: Zigarren oder ein Bett?

Es war ziemlich warm. Eine Woche sollte ich es aushalten, im Wald zu schlafen und mich im Meer zu waschen. Vielleicht gibt es hier auch so viele leerstehende Häuser wie auf Faial, dann kann ich mich gut verstecken.

empty house near Eremite church

lighthouse storm

Ich sag’s Euch noch mal: Plant für dieses Jahr keine Reisen! Es wird alles schief gehen.

Mit diesen trüben Gedanken ging ich durch die Stadt, anscheinend etwas trüb dreinblickend, denn aus einem Kosmetiksalon kam eine Dame ganz aufgeregt auf die Straße gelaufen:

„Entschuldigen Sie, sprechen Sie Englisch?“ fragte sie mich, wie wenn sie um Hilfe suchte, dabei wollte sie, ganz im Gegenteil, ihre Hilfe anbieten: „Sie sehen etwas verloren aus. Kann ich Ihnen helfen?“

Ich erklärte die missliche Lage. Sie war mitfühlend, wohl auch weil sie eigentlich in den USA wohnt (wie so viele Azoreaner) und nur für einen Monat nach São Miguel kommen wollte. Aber jetzt steckt sie auch auch schon seit ein paar Monaten fest.

Sie war so typisch amerikanisch-optimistisch, dass sie mich mit ihrem „Don’t worry!“ richtig ansteckte. Sie nahm ihr Telefon und rief einen Bekannten an: „Hey Marcos Flavius, how are you? Hör mal, hier ist ein junger Mann, der ist auf der Insel gestrandet. Du hast doch freie Zimmer, oder?“

Der Mann mit dem Namen eines Volkstribuns traute sich anscheinend nicht, nein zu der überschwenglich-resoluten Dame zu sagen. Mir war das äußerst unangenehm, bis sich herausstellte, dass er gar nicht zu Hause war (wahrscheinlich unfreiwillig auf dem Festland gestrandet) und ich ihm daher nicht zur Last fallen würde. Das Haus war praktischerweise gleich gegenüber, und der Schlüssel lag unter dem Blumentopf.

Marcos („you can call me Flave“) sagte, ich solle einfach mal reingehen und mich umsehen, ob es mir gefalle, und dann entscheiden, ob ich bleiben würde. (Sehr großzügig gegenüber jemandem, der sonst im Freien geschlafen hätte.)

yellow palace

Es gefiel mir sehr, und so wohne ich jetzt eine Woche unverhofft in einem kleinen Palast in Ponta Delgada, was übrigens gar keine so kleine Stadt ist. Beim Erkundungsspaziergang im Viertel entdeckte ich sogar noch zwei Zigarrenfabriken in unmittelbarer Nachbarschaft.

Na gut, meinetwegen können diese Flüge noch für ein paar Monate ausgesetzt bleiben. Denn falls ich es jemals nach Lissabon schaffen sollte, dann sind die gebuchten Flüge, Züge und sonst alles lange verfallen, und ich werde per Anhalter nach Bayern zurückkehren müssen. Falls Ihr gerade keinen Atlas zur Hand habt: Das ist wirklich weit.

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Über Andreas Moser

Travelling the world and writing about it. I have degrees in law and philosophy, but I'd much rather be a writer, a spy or a hobo.
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11 Antworten zu Und noch eine Insel!

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  2. Was für ein Glück manchmal resolute Frauen sein können 😉

    • Andreas Moser schreibt:

      Vor allem für so Leute wie mich, die zu schüchtern sind, um selbst nach Hilfe zu fragen. (Eine Sache, an der ich hoffentlich noch etwas ändern kann.)

  3. Katja Kubiak schreibt:

    eigentlich doch alles gut gelaufen, oder ? 😀

    • Andreas Moser schreibt:

      Ja, da habe ich mir zwischenzeitlich wieder ganz umsonst Sorgen gemacht.

      Aber ich bin doch froh, wenn ich endlich wieder auf dem Kontinent sein werde, wo ich weiß, dass ich notfalls zu Fuß überall hinkomme.

    • Katja Kubiak schreibt:

      wie war es den in dem Haus, so ganz alleine? 🙂

    • Andreas Moser schreibt:

      Es war schon ganz angenehm, aber wegen der ständigen Unsicherheit, ob ich jetzt noch nach Lissabon und dann weiter reisen könnte, war ich leider so gar nicht mehr in Urlaubsstimmung.
      Diesmal war ich wirklich froh, als ich wieder auf dem Kontinent ankam und das touristenleere Lissabon sah. (Über Lissabon zu Coronazeiten kommt bald ein Bericht.)

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