Eine Postkarte aus Jerewan

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„Sie sind aus Deutschland?“ fragt Alex, der sehr freundliche Besitzer (und wahrscheinlich auch Eigentümer) der sehr gemütlichen Unterkunft in einem Plattenbauviertel von Jerewan.

„Ja.“

„Dann muss ich Ihnen einen Stahlhelm zeigen.“

Er steht auf, und ich folge ihm ins Esszimmer, wo nicht nur ein hakenkreuzverzierter Stahlhelm, sondern auch Arbeitsbücher des Reichsarbeitsdienstes, Wehrmachtsoffiziertrillerpfeifen, ein SS-Abzeichen und die Brille von Heinrich Himmler liegen, alles schön hergerichtet wie in einem Museum.

Ich will mit dem Gastgeber keine Diskussion vom Zaun brechen (v.a. weil ich kein Armenisch oder Russisch kann), aber die fehlende Begeisterung sieht er mir an. Alex zeigt mir dann doch lieber mein faschismusdevotionalienfreies Zimmer, den Balkon und das Bad.

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Über Andreas Moser

I am a lawyer in Germany, with a focus on international family law, migration and citizenship law, as well as constitutional law. My other interests include long walks, train rides, hitchhiking, history, and writing stories.
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10 Antworten zu Eine Postkarte aus Jerewan

  1. Pingback: A Postcard from Yerevan | The Happy Hermit

  2. Kasia schreibt:

    Ach du liebe Zeit, da weiß man kaum, wie man reagieren soll… Und dann meinen die leidenschaftlichen „Sammler“, man müsse sich freuen… Ich bin gespannt auf den Beitrag und vor allem, ob ihr später nochmal darüber geredet habt..?

    Liebe Grüße
    Kasia

    • Andreas Moser schreibt:

      Manchmal denke ich mir, ich fahre nur mehr nach Polen und Tschechien, um wenigstens einigermaßen sicher zu sein vor Nazi-Verherrlichern. Aber wer weiß, vielleicht werde ich da auch schockiert.

      Alex, der Wohnungseigentümer hat mich jeden Morgen abgefangen, wenn ich mir die Stadt anschauen wollte. Er saß schon im Wohnzimmer und hatte „Frühstück“ vorbereitet: Pfirsiche und Aprikosen und eine Flasche Wein.
      Ich konnte auf nüchternen Magen nur ein halbes Glas trinken, aber das Frühstück war erst vorbei, wenn die Flasche leer war. Alex trank also 9/10.
      Er sprach noch ein paar Mal übers „Sammeln“ und dass er sogar bis Deutschland fuhr, um auf Flohmärkten nach Fundstücken zu suchen. Er war ganz traurig, dass ich selbst nichts sammle. Das tat ihm wirklich weh, also sagte ich irgendwann, dass ich alte Bücher sammle. (Was ich tatsächlich mal eine Weile gemacht habe, aber nie exzessiv.)
      Aber ich habe das Nazi-Thema nicht angeschnitten, weil ich ja irgendwie Gast in seinem Haus war, und weil wir uns sowieso kaum verständigen konnten.

      Das sind so Momente, wo ich mir nur denke: „Krass. Unglaublich. Aber wenigstens kann ich später darüber schreiben.“ So kann ich Vieles tolerieren, was mich ansonsten vielleicht auf die Palme brächte.

    • Kasia schreibt:

      Da hast du dich geschickt aus der Affäre gezogen. Es war wohl das beste, was du aus der Situation machen konntest. Geändert hätte es eh nichts, weder an seiner Weltanschauung noch an seiner Sammelleidenschaft… Aber manchmal ist man einfach fassungslos. Was es nicht alles gibt…

    • Andreas Moser schreibt:

      Apropos Polen, da fällt mir ein:
      Als ich in Krakau war, lernte ich eine Frau kennen, die mich beim romantischen Abendspaziergang bis zu dem Haus führte, wo sie wohnte.
      Den Eingang zum Hof schmückte ein Torbogen us Metall, der – ich schwöre – genauso wie der berüchtigte Torbogen aus dem KZ Auschwitz aussahe (ohne die zynische Inschrift immerhin).
      Sie bemerkte meinen Blick und entschuldigte sich: „Keine Ahnung, was sich der Eigentümer dabei gedacht hat.“

      Ich hatte keine Kamera dabei, muss also wohl noch einmal nach Krakau.

    • Kasia schreibt:

      Sowas muss doch festgehalten werden…

      Vielleicht waren diese Torbögen aus Serienproduktion…?

    • Kasia schreibt:

      Die Polen sind bei diesen Dingen eher pragmatisch. Während ein Deutscher sich denkt: OMG, das ist ein Torbogen wie aus dem Ausschwitz, wie kann man nur? – ist es für einen Polen einfach nur ein Torbogen…

    • Kasia schreibt:

      Mir scheint manchmal, die Polen sind da schmerzbefreiter als wir es hier in Deutschland sind, was den Umgang mit dem Thema Nazideutschland und KZ betrifft. Es gibt in Polen dieses Sprichwort, welches anorektische Personen beschreibt und welches by the way meine Oma sehr gerne verwendet hat: „Er (sie) sieht aus (…so mager) wie aus dem Ausschwitz kommend.“ Relativierung des Holocaust? Hm, ich weiß nicht – jedenfalls hat dieser Einzug in den allgemeinen Sprachgebrauch erhalten. Und bei dieser Gelegenheit wissen selbst die kleinsten Kinder, was denn Ausschwitz ist, weil sie in der Regel nachfragen und man es ihnen erklärt.

  3. Andri Florin schreibt:

    Deutschland hat seinen Teil an der Zeitgeschichte viel intensiver gestaltet, auch früher waren die Ausschläge heftig. Daran anschliessend muss es hart an sich arbeiten und alles auf den Punkt bringen. Alles in allem recht sentimental, eine gewisse Nüchternheit in der Betrachtung und weniger Enthusiasmus wären ihm zu wünschen. Als Einzelner ist der Deutsch sehr tüchtig und gibt sich Mühe, zu gefallen, er wirkt unterwürfig. Im Verbund resultieren daraus Kraftmeierei und Selbstgefälligkeit, so ist es auch heute noch zu beobachten, und dann drängt er sich auf. Er schätzt die Lage so ein, ob er unter- oder überlegen ist. Danach handelt er, und wird rasch masslos. Man darf ihn nicht nur begegnen, das reicht nicht hin, sondern muss ihm entgehen oder besser „entgegnen“. Kommentar aus der Schweiz CH – man lese nach bei Caesar, De bello gallico, 1.Seite, jeder Gymnasiast erhält das vorgesetzt.

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