Das Licht am frühen Morgen versprach einen sonnigen Tag, und am Horizont tauchte schon die erste Burg auf.

Zur Zeit ist es so grau, kalt und regnerisch, dass man solch einen Tag nicht ungenutzt verstreichen lassen darf. Also ließ ich die To-do-Liste links liegen, packte stattdessen Zigarren, Zeitung und Gummibärchen ein, schnürte die Schuhe und war schwuppdiwupp aus dem Haus.
In dieser Gegend um die Löwensteiner Berge kann man wunderbar von Burg zu Burg wandern. Hat man eine erklommen, sieht man vom Hügel aus schon die nächsten Türme, Festungen oder Ruinen. Wer allergisch gegen Burgen ist (zum Beispiel wegen eines vererbten Kreuzrittertraumas), muss woanders wandern.
Und so führte mich der spontane Weg über die Burgen Lichtenberg, Beilstein, Helfenberg, Wildeck bis nach Stettenfels.
Das monumental auf dem Weinberg thronende Schloss Stettenfels war leider geschlossen und wurde von einer kauzigen Eule bewacht. Diese Burg war einst als NSDAP-Ordensburg vorgesehen, wozu es wegen des Zweiten Weltkriegs jedoch nicht mehr kam.
Mir selbst sind diese Burgen aber eigentlich zu pompös. Für meine Zwecke würde eines der kleinen Häuschen am Hang oder auch nur eine Bank in der Sonne genügen.
In dem unterhalb des Spukschlosses liegenden Ort Untergruppenbach finde ich mysteriöse Markierungen und, aufgeknüpft an einem Pfahl in der Mitte des Dorfes, eine ausdrückliche Warnung.
Weil auch der Himmel drohend schwarz und dunkel wird, nehme ich die Warnung ernst und mache mich auf den Rückweg. Als ich an der Straße stehe und versuche, nach Oberstenfeld zurückzutrampen, kommt ein älterer Herr auf mich zu und informiert mich: „Das ist aber gefährlich, was Sie da machen.“
„Aber nein, das ist doch nicht gefährlich“, wiegele ich ab und denke, dass ich zum hundertsten Mal die Vorurteile übers Trampen widerlegen muss.
„Ich hatte einen Verwandten, der wurde beim Trampen ermordet“, sagt er. Da schlucke ich und nehme den ausgestreckten Arm runter. „Er war 22 Jahre alt. Bei Tübingen ist das passiert. Allerdings schon vor 40 Jahren.“
Mir selbst macht das eigentlich keine Angst, aber ich will die Gefühle des Hinterbliebenen nicht verletzen. Zum Glück weiß er, dass in fünf Minuten ein Bus fährt. Um sicherzustellen, dass mir unterwegs nicht passiert, steigt er auch ein. Allerdings weiß er zu jedem Ort eine Horrorgeschichte: „Hier an der Kreuzung sind schon viele Autofahrer tödlich verunglückt.“ „In Abstatt wohnte ein Ehepaar, die sind bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Haben vier Kinder hinterlassen.“ „In Beilstein müssen Sie aufpassen. Hier residiert die Spätregenmission.“
Hm, dabei schien während der Wanderung alles so friedlich.
Ich habe später versucht, etwas über den Mord an dem jungen Tramper herauszubekommen. Aber alles, was ich gefunden habe, war ein Bericht über Richard Schuh, ein Tramper, Mörder und der letzte Mensch, der in Westdeutschland hingerichtet wurde.
Irgendjemand muss sich wirklich darum kümmern, das Image des Trampens aufzupolieren. Und ich habe sogar eine Ahnung, wer das machen könnte.

Links:
- Diese Wanderung erfolgte im Rahmen meines allwöchentlichen säkularen Sabbats.
- Falls Euch das mit der NSDAP-Ordensburg interessiert, empfehle ich meinen Bericht aus Vogelsang.
- Wenn ich das nicht in Bolivien gelernt hätte, wüsste ich nicht, was die aufgeknüpften Menschenpuppen bedeuten sollen.
- Und ganz ehrlich: Meine Erfahrungen per Anhalter sind bisher zu 99% positiv. Und bei dem einen Prozent habe ich einfach gebeten, früher aussteigen zu dürfen. War auch kein Problem.
Gefällt mir ausgesprochen gut, auch Vogelsang!!
Vielen Dank, das freut mich!
Das in Vogelsang war wirklich ein Burgenbesuch der anderen Art. Sehr eindrückliches Erlebnis.
Cierto, en Bolivia los muñecos colgados en postes en la calle son una advertencia de linchamiento para los delincuentes que sean descubiertos in fraganti. Y en mas de una ocasión, las personas llevadas por el odio de la turba han linchado a personas que no eran delincuentes. Terrible.
Me impresionan los muñecos de tu publicación, parecen niños.
En serio no sé cual es la intención de los muñecos en este pueblo, porque no creo que hay linchamientos aqui.
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