Die Bestseller 2021

Schriftsteller, Dichter und Autoren müssen arm sein. So will es die Tradition.

So will es auch der Kapitalismus. Denn wenn man mit Denken und Schreiben Geld verdienen könnte, dann fänden sich nicht mehr genügend Menschen zur Ausbeutung in Schlachthöfen, auf dem Spargelfeld oder als Pizzalieferanten bereit.

Nun macht es sich für das Image des Landes aber nicht so gut, wenn man aus den Bibliotheken und Intellektuellenkneipen jeden Abend verhungerte Schriftsteller wegkarren muss. Was tun? Ein Grundeinkommen für alle wäre eine Lösung. „Viel zu einfach!“, protestierten Politiker und Verbände und erfanden die „Verwertungsgesellschaft zur Wahrnehmung der gesetzlichen, vertraglichen und finanziellen Rechte und Ansprüche der Urheber und Urheberinnen sowie Übersetzer und Übersetzerinnen von schöngeistigen, dramatischen, journalistischen und wissenschaftlichen Texten, Textkomponenten und textähnlichen Werken“ (VG Wort).

Zur Finanzierung herangezogen werden alle, die Geräte kaufen, betreiben, herstellen, importieren u.s.w., mit denen sich vorgenannte Texte lesen, drucken, vervielfältigen, anzeigen u.s.w. lassen. Jeder, der ein Faxgerät, einen Kopierer und wahrscheinlich auch eines dieser modernen schnurlosen Telefone kauft, zahlt unbemerkt einen kleinen Beitrag an die VG Wort. Und diese Millionen werden dann nach dem folgenden undurchsichtig-komplizierten Schlüssel an die darbenden Autoren ausgeschüttet.

Warum sollte Euch das interessieren? Keine Ahnung.

Aber für mich ist es interessant, weil auch Blogger aus diesem Finanztopf bedacht werden. Und zwar schon seit 2008, was ich immerhin rechtzeitig für 2021 bemerkt habe. :/ Allerdings zählen dabei nur Artikel, die in einem Jahr mindestens 1500 Zugriffe aus Deutschland erhalten haben. Ich mache mir ja eigentlich nichts aus Zahlen. Ich finde, das lenkt vom Schreiben ab. Aber durch die Abrechnung bei der VG Wort habe ich so endlich mal erfahren, welche meiner Artikel die beliebtesten waren. Und das ist dann vielleicht doch wieder interessant für Euch.

Zuerst einmal freut mich, dass einige der ausführlichen, gründlich recherchierten und historisch fundierten Beiträge dabei sind, nämlich die Auseinandersetzung mit den Argumenten der Reichsbürger sowie die Nazi-Geschichte der Hohenzollern. Obwohl letztere von Twitter gelöscht wurde, nachdem sich die Hohenzollern oder einer ihrer Vasallen darüber beschwert hat.

Da Twitter meinen Beitrag nur in Deutschland aus dem Verkehr gezogen hat, nehme ich an, dass die im Beitrag gezeigten Hakenkreuze als Vorwand für die Zensur gedient haben. Denn Hakenkreuze sind pfui, das sagt sogar § 86a I Nr. 1 StGB.

Aber was soll ich machen, wenn sich die deutsche Herrscherfamilie so kleidet, wenn sie Pressefotografen ins Haus lässt? Außerdem fallen meine Beiträge gleich unter mehrere Ausnahmen des § 86a III StGB in Verbindung mit § 86 III StGB (staatsbürgerliche Aufklärung, Kunst, Wissenschaft, Berichterstattung über Vorgänge der Geschichte).

Leider nicht in die Bestenliste geschafft hat es mein Beitrag zur unendlichen Schlussstrich-Debatte. Aber dennoch nehme ich den Hinweis auf, dass es sich manchmal lohnt, richtig in die Tiefe zu gehen. (Hoffentlich kommt nie jemand und will so einen Überblicksartikel über den Nordirlandkonflikt oder das Konzil von Nicäa.)

Überhaupt war Geschichte sehr populär. Meine neue Reihe „Vor hundert Jahren …“ ist sehr gut angenommen worden. Gleich 8 Beiträge haben den Sprung in die Bestenliste geschafft, nämlich über Kaiser Karl I. von Österreich und seine Putschversuche, über vor hundert Jahren gegründete und mittlerweile total vergessene Staaten, über das Sprachenwirrwarr in Belgien, über die deutschen Kolonialverbrechen, über das Begräbnis der letzten deutschen Kaiserin, über den armenischen Attentäter, der das Völkerstrafrecht begründete, über die im Bermudadreieck verschwundenen Katzen sowie über den völlig durchgedrehten baltischen Baron, der die Nazis in die Mongolei brachte. (Dessen Familie ist übrigens viel lockerer als die Hohenzollern. Ein aktueller Baron von Ungern-Sternberg überraschte mich sogar mit einer freundlichen E-Mail und einer Spende für den Blog.)

Ach verdammt, schon wieder Hakenkreuze! Aber das wird im Artikel über Roman von Ungern-Sternberg erklärt.

Schade, dass die Republik von Fiume und die Black Wall Street es nicht unter die beliebtesten Artikel geschafft haben. Denn ersterer war der Auftakt zu der Reihe und setzte insofern den Ton, während zweiterer eine ausnahmsweise ernste Folge darstellt. Auch das wird immer wieder einmal vorkommen, wofür ich mich bei all den Spaßvögeln entschuldige. Aber wenn man jeden Tag lacht, ist es nichts Besonderes mehr.

Auch an Reiseartikel mit historischem Schwerpunkt besteht durchaus Interesse, wie ich erfreut feststellte. Das Referat über den Schlachtfeldtourismus an die Westfront des Ersten Weltkriegs sowie mein Besuch der Nazi-Ordensburg Vogelsang in der Eifel schafften es auf die Liste.

Schade nur, dass meine Besuche in Mauthausen und in Babi Jar nicht genauso oft gelesen wurden. Anscheinend herrscht mehr Interesse an den Tätern als an den Opfern.

Aber auch vollkommen unbeschwerte Reiseberichte stießen auf Zuspruch, und zwar quer über alle Fortbewegungsmethoden hinweg.

Unter den Zugreisen schaffte es die Fahrt nach Stockholm auf die Liste. Das ist schön, denn der dort praktizierte assoziative und unkontrollierte Gedankenstrom ist relativ einfach zu schreiben, weil er nicht von Recherche unterbrochen wird. Wenn ich ankomme, tippe ich mein unterwegs vollgeschriebenes Notizbuch ab, und fertig. Das könnte ich eigentlich öfter machen.

Für Eisenbahnfreunde gibt es übrigens noch viel mehr Berichte, insbesondere meine Trilogie über eine Durchquerung Kanadas mit der Eisenbahn.

Von den Wanderungen war die Geburtstagswanderung nach Levico Terme am beliebtesten, sowie zwei kleine Geschichten, die ich am Rande von Wanderungen aufgeschnappt habe: Einmal die Einsilbigkeit der Schweden. Und mein unerwarteter Spaziergang durch ein Atomkraftwerk. Wenn Ihr das auch erleben wollt, müsst Ihr Euch übrigens beeilen, denn Ende 2022 wird das AKW Neckarwestheim abgeschaltet. (Ich kann das echt empfehlen, denn seit ich mir dort eine Strahlendosis abgeholt habe, verspüre ich viel mehr Energie und bin jeden Tag um 4:30 Uhr wach.)

Auch für Wanderfreunde hält dieser Blog noch Unmengen an weiteren Artikeln bereit. Wenn ich etwas herausheben sollte, so wären dies die Anleitung zum Abenteuer sowie die Wanderung zu den bayerischen Königsschlössern.

Fehlt noch die letzte meiner Fortbewegungsarten, nämlich das Trampen. Hier war die Trilogie über eine Fahrt per Anhalter von der Schweiz nach Bayern erfolgreich, was praktischerweise meine im Hotel in Ulm vorgetragene Notlüge, ich sei Schriftsteller, nachträglich rechtfertigt.

Auch übers Trampen findet Ihr natürlich noch viele weitere Geschichten.

Überhaupt frage ich mich oft, ob Euch Zugreisen, Wanderungen oder Anhalterabenteuer mehr interessieren. Und warum. Oder warum nicht.

Eine wirkliche Überraschung auf der Bestseller-Liste war mein Schriftwechsel mit dem Arbeitsamt. Schade, dass ich sonst keine Probleme mit Behörden habe, wenn das literarisch so ergiebig ist. Da bekommt man fast Lust, sich absichtlich in halblegale Situationen zu manövrieren, um endlich wieder das juristische Handwerkszeug auspacken zu können. Aber nicht einmal Francois von den Azoren hat seine Klagedrohung wahr gemacht. Bourgeoises Ferienwohnungsbesitzerweichei! – Also, wenn Ihr mal eine lustig zu lesende Verfassungsbeschwerde braucht, meldet Euch. (Wahrscheinlich der Satz in diesem Beitrag, den ich am meisten bereuen werde.)

Und jetzt zur Dekonstruktion dieser Bestenliste:

Das Ganze beruht natürlich nicht auf Qualität. Sonst wäre Dirk Roßmann nicht auf der Bestseller-Liste. (Ehrlich, ich kenne Mülltonnen, die bessere Thriller schreiben.) Und sonst wäre diese kleine Geschichte von den Azoren und diese große Geschichte von den Azoren nicht übersehen worden. Oder meine Einführung in die persische Kultur. Ganz zu schweigen von meinen Schachtelsätzen. Leider hängt der mathematische Erfolg von Blogs allein davon ab, dass er von vielen Menschen auf Facebook, Twitter, Instagraph, TikTak, und was es da noch so alles gibt, geteilt wird.

Also, wenn Ihr hier etwas lest, das Euch gefällt oder aufregt, teilt es. Kommentiert es. Kritisiert es. Verlinkt es in Euren Blogs. Übersetzt es ins Chinesische, Rumänische oder Montenegrinische. (Mein absoluter Traum wäre, wenn mal ein Artikel ins Schwizerdütsch übersetzt würde.) Und seid Euch meines ewigen Dankes sicher. Ich weiß, ich melde mich manchmal erst mit ein paar Monaten – oder Jahren – Verspätung. Aber ich bin allen Unterstützerinnen und Unterstützern wirklich sehr dankbar! Ohne Euch hätte ich den Blog schon lange enttäuscht in die Ecke gefeuert. Oder im Fluss versenkt.

Das gilt übrigens auch für alle anderen Blogs. Die Leute machen sich eine Riesenarbeit, bekommen einen krummen Rücken und ruinieren ihre Beziehungen. Es ist eine einsame Tätigkeit. Da tut jede Reaktion gut. Mit Ausnahme der Drohanrufe. Und der Typ, der in Ritterrüstung und mit Schwert vor meiner Wohnung auf und ab läuft und „Rache für die Hohenzollern!“ ruft, der nervt auch.

Über Andreas Moser

I am a lawyer in Germany, with a focus on international family law, migration and citizenship law, as well as constitutional law. My other interests include long walks, train rides, hitchhiking, history, and writing stories.
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9 Antworten zu Die Bestseller 2021

  1. dany sobeida schreibt:

    Que bueno, eres famoso y pronto recibirás regalos.

  2. peregrina schreibt:

    warum wundert es mich nicht ,dass claudia roth,die aus rumaenien stammt mit Wappentraeger abrechnet?einfallsreich des ende des beitrags mit dem typ in ritterruestung ,der nach rache sinnt….😂👍

  3. Jens Philip Höhmann aka Dante schreibt:

    Großartiger Text!🤣🤣🤣

  4. Pingback: Vor hundert Jahren passte die Weltgeschichte in einen einzigen Satz – Februar 1922: Tag des Schachtelsatzes | Der reisende Reporter

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