Geburtstagsreise 2024 zum Mittelpunkt Europas

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Vergangenes Jahr koinzidierte mein Geburtstag mit der – letztlich erfolgreichen – Wohnungssuche, so dass 2023 keine der klassischen Geburtstagsreisen stattfand. Stattdessen nur eine kleine Tageswanderung, die aber immerhin zu drei Artikeln verwurstet wurde (Teil 1, Teil 2, Teil 3).

Seither arbeite ich wieder als Rechtsanwalt und unterliege damit der erdrückenden Urlaubshöchstgrenze von zwei Wochen nach § 53 I Nr. 2 BRAO. Aber diese zwei Wochen will ich voll und bis zur letzten Stunde nutzen, um die Tradition der allsommerlichen Geburtstagsreise zu reaktivieren.

Also werde ich nächste Woche die Reise zum Mittelpunkt Europas wieder aufnehmen.

Dieses Projekt wird sich wahrscheinlich noch einige Jahre hinziehen, aber Ihr habt ja Zeit, oder? Ende Juni geht es nach Polen, wo in Suchowola, ganz im Nordosten des Landes, nach den ältesten diesbezüglichen Berechnungen von 1775 der geografische Mittelpunkt Europas liegt oder lag.

Suchowola ist eine kleine Ortschaft mit nur 2200 Einwohnern, aber das ist ja gerade das Schöne an dieser Reihe: Dass man vom Zufall bzw. von Mathematikern, Astronomen und Geodäten irgendwelchen Punkten zugewürfelt wird, die man ansonsten nie besucht hätte. Und dann muss man sehen, was man daraus macht.

Außerdem kann ich mir gar nicht vorstellen, dass es in Polen irgendwo langweilig ist. Wenigstens nicht für einen historisch interessierten Reisenden. Notfalls expandiere ich den Radius um ein paar Kilometer, dann bin ich in Augustów. Das liegt am Augustów-Kanal, der, weil dieser Blog sowohl auf schreibender als auch auf lesender Seite Kanalfetischisten aus aller Welt vereinigt, eine lohnende Wanderung abgäbe.

Und dann geht es weiter nach Litauen.

Das ist das Land, wo ich einst zum ersten Mal auf die Idee eines geografischen Mittelpunkts Europa gestoßen wurde, nicht zuletzt jedes Mal, wenn ich den Fauxpas beging, Litauen Osteuropa zuzurechnen. Oh, oh, da sank die Stimmung gleich um 10 Grad, und Freundschaften wurden abrupt storniert.

Einer der Mittelpunkte liegt im Europa-Park, einem wirklich wunderbaren Freiluftmuseum.

Aber Litauen hat – anscheinend gehen die Berechnungen ein bisschen auseinander – noch einen zweiten Ort, der die geografische Mitte Europas für sich beansprucht: Purnuškės.

Ich weiß nicht, wie ich diesen zweiten Punkt damals, als ich in Litauen lebte, übersehen konnte.

Jedenfalls freue ich mich darauf, wieder in dieses sympathische Land zu kommen. Das eine Jahr in Vilnius war wirklich paradiesisch. Wenn Litauisch nicht absichtlich die komplizierteste Sprache der Welt wäre, dann wäre ich möglicherweise sogar geblieben.

Litauen passt auch perfekt zu meiner Geburtstagsreise, denn am 6. Juli feiern die Litauer ihren Nationalfeiertag. Wenn man an dem Tag durch die Wälder streift, stößt man überall auf Menschen in Trachtenkostümen und mit Blumen im Haar, die durch die Natur tanzen. Und am Abend versammelt sich das ganze Land zum gemeinsamen Singen. Mit Gesang haben die baltischen Völker ja einst sogar die Sowjetunion bezwungen.

Im Baltikum fehlt dann nur noch der europäische Mittelpunkt auf der Insel Saaremaa. Aber bei meinem gemächlich-gemütlichen Tempo wäre das alles zu viel für eine zweiwöchige Reise. (Meine Reiserichtschnur: Bei zwei Wochen Urlaub nur eine Woche verplanen. Der Rest ergibt sich spontan.) Außerdem sind diese estnischen Inseln so bezaubernd, dass ich gerne einmal zwei Wochen nur auf Saareema verbringe.

Und wenn ich Postkarten finde, bekommen diejenigen von Euch, die in den letzten Monaten und Jahren diesen Reiseblog so großzügig unterstützt haben, demnächst Post aus Polen oder Litauen.

Mal sehen, ob das noch immer so kompliziert ist, wie 2012, als ich in Litauen lebte. Damals ging man auf dem Postamt an den ersten Schalter, wo der Brief gewogen und der Tarif ausgerechnet wurde. Mit dieser Information ging man an den zweiten Schalter. Dort bezahlte man den Betrag und erhielt eine Quittung. Mit der Quittung ging man an den dritten Schalter, wo man die Briefmarke bekam. Dann musste man zurück an den ersten Schalter, wo die strenge Postinspektorin kontrollierte, dass man die Briefmarke auch auf den richtigen Brief klebte. Wenn ich dann den Brief abgeben wollte, erhielt ich die Auskunft: „Das ist ein internationaler Brief, den können Sie hier nicht aufgeben. Da müssen Sie zur internationalen Abteilung des Zentralpostamtes gehen.“ Dort musste ich für jeden Brief ein Formular ausfüllen und vom internationalen Postversandkommissar kontrollieren und abstempeln lassen. Als ich den Brief endlich aufgeben wollte, wurde ich angeblafft: „Einwerfen müssen Sie schon selbst. Draußen sind die Kästen.“ Es war eigentlich alles noch so wie in der Sowjetunion.

Vilnius City archive

Wie gesagt, ich habe mich dort sehr wohl gefühlt.

Ach ja, und wenn jemand von Euch in der Ecke wohnt: Meldet Euch doch!

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About Andreas Moser

I am a lawyer in Germany, with a focus on international family law, migration and citizenship law, as well as constitutional law. My other interests include long walks, train rides, hitchhiking, history, and writing stories.
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12 Responses to Geburtstagsreise 2024 zum Mittelpunkt Europas

  1. Avatar von christingrossheim wanderschoenat sagt:

    Ich bin neu hier und folge deinem Blog! Finde es sehr spannend das Projekt reisen zum Mittelpunkt Europas. Vielen Dank für die tollen Einblicke.

    Ich wünsche dir noch einen schönen Sonntag,
    Christin von https://wanderschoen.at

    • Willkommen auf meinem kleinen Blog mit den obskuren Reiseideen!

      Eigentlich komisch, dass diese Mittelpunkte viel weniger bekannt und besucht sind als so unwichtige Randstädte wie Venedig oder London oder Barcelona.

  2. Pero estás comentando.

  3. Pingback: Birthday Trip 2024 to the Center of Europe | The Happy Hermit

  4. Avatar von T.Head T. sagt:

    Bewusst, dass verschiedene Länder claimen, der Mittelpunkt zu sein … aber stimmt schon, warum sollen nicht auch Länder, wie die Menschen, Im Mittelpunkt stehen wollen können

    • Zum Teil liegt es natürlich auch an unterschiedlichen Messmethoden (Mitte eines Kreises, Schnittpunkt von Achsen, Schwerpunkt, u.s.w.). Dazu noch die Frage, ob man die Inseln mitzählt. Wenn ja, welche. Liegt die Grenze Europas am Bosporus oder im Kaukasus?
      Und der Mittelpunkt der Europäischen Union verschiebt sich natürlich jedes Mal, wenn Länder bei- oder austreten.

    • Avatar von T.Head T. sagt:

      Verstehe schon … ein moving Mittelpunkt … alles relativ und für den Moment … gönnen wir es Ihnen

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